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Vom Mythos der Arbeit
»Jeden Morgen, mein
Brot zu verdienen Diesen »Hollywood« betitelten Vierzeiler schrieb Bert Brecht vor fast siebzig Jahren und nahm mit ihm die nach der geistig-moralischen Wende einsetzende Transformation der modernen Arbeitsgesellschaft vorweg. Denn die gegenwärtige Welt der befristeten Jobs und der Zeitarbeit, der Praktika und ABM-Maßnahmen ist ein auf Lügen errichtetes System neopaternalistischer Beschäftigungsverhältnisse (Gorz), deren Leistungsmaxime die Ungleichheit der Ausgangspositionen auf dem Arbeitsmarkt geschickt zu vertuschen versucht, indem man von den Ausgeschlossenen verlangt, sich wie Macher und Manager zu verhalten.
Aus
diesem Grunde stehen wir, wie Robert Castel in seinem Buch über »Die Krise der
Arbeit« zu Recht anmerkt, vor einem völligen Verfall von Arbeit. Die Lügen, die
wir täglich einkaufen, heißen Mobilität, Anpassungsfähigkeit und
Eigenverantwortung, Flexibilität und Projektarbeit für eine ungewisse Zukunft.
Das gegenwärtige kapitalistische System kann nicht einmal für die soziale
Sicherheit sorgen, schafft es aber, dass Marktkriterien unseren Geist
unaufhörlich durchlöchern. Unser Verstand ist auf maximale
Unternehmensrentabilität und totale Wirtschaftsliberalisierung gepolt: Der Geiz,
und eben nicht der Geist, ist geil in dieser Welt, die eine Erziehung zur
Kritiklosigkeit mit allen Mitteln fördert. Ein mehr als umstrittenes Leistungsprinzip und der damit verbundene Zwang zur Mobilität macht restlos alle beteiligten Bewohner von Wissensräumen zur vagabundierenden Bildungsmasse einer Fast Education. Universitäten leisten sich heute gar ein »Office for Entrepreneurship«, das Mails mit Angeboten zu Workshops in Unternehmensgründung, Business-Plan, Marketing und Vertrieb über den Verteiler jagt. Einführungen in die Strategien des Elevator-Pitch werden mir, kaum habe ich diese Zeilen zu Ende geschrieben, vor dort angeboten. Der »Pitch« ist ein 30-Sekunden Überblick einer Idee für eine Dienstleistung oder ein Produkt, dessen Beherrschung bis dato wohlfrisierten Dummschwätzern vorbehalten war, nun jedoch auch Einzug in den akademischen Betrieb erhalten hat. Wenn Universitäten mit den Instrumenten und Methoden von Banken und Versicherungen operieren, wird ihre einst auf der Zirkulation von Sprache und Diskurs beruhende Idee stereotyp und geistlos wie Fließbandarbeit. Und die Politik verweigert nicht nur hier, sondern vor allem auf dem freien Arbeitsmarkt Regulierungsmaßnahmen, weiß Castel und ergänzt, der Staat könne seine Doppelaufgabe als Rechts- und Sozialstaat auch gar nicht mehr garantieren; diese Leistung, so Castel weiter, sei aber die Grundvoraussetzung zur Regulierung einer Gesellschaft von Individuen. Stattdessen greift eine politisch subventionierte Umschulungsindustrie und zementiert die Diskontinuität individueller Karrieren. Neue soziale Risiken und Prekarisierung treffen hierbei vor allem die so genannten bildungsfernen Schichten, wobei ich mich hin und wieder frage, wer hier in diesem Land eigentlich Bildungsferne zelebriert: Wenn auch die Universitäten inzwischen mehr Wert auf Critical Consulting als auf die Kritik der praktischen Vernunft legen, muss sich niemand über ein Volk von ordinär Ahnungslosen beklagen, deren Sprache nur noch aus Plattitüden ohne Poesie besteht. Und niemand sollte sich dann noch wundern, dass der Fall zu Guttenberg eben keine Ausnahme war, sondern nur eine von vielen Folgeerscheinungen des akademischen Mentalitätswandels. Copy&Paste-Produkte sind nur die logische Konsequenz der Fast Education. Ebenso wie der »Schwindel vor der eigenen Leere«, den Castel treffend in seinem Buch über die Krise der Arbeit beschreibt.
Die Situation auf dem
Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungsmarkt ist insgesamt außer Kontrolle geraten
und wird von Regulationsstörungen begleitet. Wer es immer nur darauf anlegt, die
Arbeitskosten zu senken, die Produktivität und das Wachstum zu steigern, wer
gleichzeitig Personal abbaut und Prozessabläufe ausgliedert, muss mit der
permanenten Unzufriedenheit seiner Kunden und Mitarbeiter rechnen, die
angesichts ihres übertriebenen Einsatzes und Leidensdrucks in der
transformierten Arbeitswelt in Depressionen verfallen. Wie Peter Munk sind wir in diesem System von Neid zerfressen und von einem krankhaften Kampf um Anerkennung beseelt. Auswirkungen eines solchen Kampfes sind narzisstische Störungen, Angst, Wut und stetig wachsender Leistungsdruck. Gleichwohl scheinen wir unfähig, erlittene Kränkungen in diesem System verarbeiten zu können. Der Drang zum Perfektionismus überfordert unser Ich; wir werden rücksichtslos und im Extremfall erleiden wir einen Realitätsverlust und sehen den Anderen bloß noch als Teil des erweiterten, widerstrebenden Selbst, das gebändigt, gezähmt, bezwungen werden muss. Unsere Inakzeptanz gegenüber dem Scheitern in bestimmten Situationen führt letztlich dazu, dass wir unser Selbst immer nur verteidigen, nicht jedoch reflektieren können. Wir sind wieder auf Brechts Situation zurückgeworfen: Was sich nicht verkaufen und zu Gold machen lässt, existiert nicht, ist überflüssig. »Spar dich reich« und »Brand yourself« sind die Imperative auf dem Markt der Lügen. Der Ruf nach immer mehr ökonomischem Wachstum ist sein Leitmotiv. »Greed is good«: Unsere Helden sind die Wirtschaftsmagnaten und Tycoons, die Workaholics und Top-Manager; die Leistungsgesellschaft ist zum Fundament der schönen neuen Arbeitswelt, Maßlosigkeit unsere Stärke geworden. Das Vokabular der Protagonisten dieser Warenwelt dreht sich um Begriffe wie Backoffice, Cooke Ratio, Korrelationsrisiko und Notches. Ihre ärgsten Feinde sind der Mindestlohn, die Kreditkrise, der hohe Ölpreis, Attac, Streiks, Neiddebatten, gesenkte Wachstumsprognosen und Übergewicht. Das traditionelle Verhältnis von Angebot und Nachfrage ist im Zuge komplexer Kapitalverflechtungen außer Kraft gesetzt. Die kommerzialisierte Gesellschaftsordnung, deren Superhelden sie sind, gehorcht dem Glaubensbekenntnis zur Profitmaximierung. In ihren Augen schafft diese Ordnung neue Entfaltungsmöglichkeiten und individuelle Chancen, sowie die perfekte Lösung sämtlicher Probleme, die sie selbst bedingt. Berufe gibt es nicht mehr, nur noch Jobs, Ich-AGs und flexible Menschen auf der Suche nach dem Sinn ihrer eigenen, nie enden wollenden Roadshow. Informelle Beschäftigung prägt längst den Arbeitsmarkt. Selbst die Politik ist nur noch Ware, und der Aktienkurs der Unternehmen ist wichtiger geworden als das Schicksal der Mitarbeiter und ihrer Familien. Haben sie politische Ämter inne, scheuen sie sich nicht, auch die öffentliche Daseinsfürsorge in private Hände zu geben. Politik ist nicht länger eine Frage des richtigen Handelns, sondern des nach Managementmaßstäben erfolgreichen Handels. Deshalb werden das Innen- und Außenministerium dieser Welt von Konzernen, Banken und Versicherungen beherrscht. Und die Medien spielen mit. Die Schmach der schlecht bezahlten Arbeit korrespondiert in dieser Welt mit dem Verfall des öffentlichen Lebens, in dem Schmier- und Bestechungsgelder, Spendenaffären, Insiderhandel und Kartellbildungen an der Tagesordnung sind. Soziale Probleme, das heißt Umstände, die die eigene Lebenssituation so beeinträchtigen, dass sie unter ein hinnehmbares Niveau sinkt, sind ebenso virulent. Doch eine Ungleichverteilung des Wohlstands, Massenarbeitslosigkeit, Migration, Ausbeutung, Entfremdung, Verarmung der Staatshaushalte, Beschaffungskriminalität und andauernde Wirtschaftskrisen sind mittlerweile hinnehmbare Begleiterscheinungen im scheinbar Heil bringenden turbokapitalistischen System. Unter der Rubrik »externe Effekte« werden sie als Nebenfolgen risikobelasteter Gesellschaften verbucht. Ebenso die Subprime-Krise im Sommer 2007 et passim mit globalen Folgen für die Zahlungsfähigkeit vieler Banken.
Hiervon
handelt auch Hugues Le Brets Buch über Jérôme Kerviel und dessen Spekulationen
in Höhe von rund 50 Milliarden Euro für die französische Société Generale. Le
Bret war damals Kommunikationschef der Bank und mit dem Krisenmanagement
befasst. Für Kerviel, den Rogue-Trader, war der Betrieb der Bank nur ein
virtueller Raum, die Konten und Zahlen Nullen in einem Videospiel. Le Bret gibt
Einblicke in die Arbeitswelt der Banker und Henker und ihre Geschäfte. Über
seinen früheren Chef, Daniel Bouton, schreibt er: »Alle Karrierestufen hat er
durch 16-Stunden-Arbeitstage, dreitägige Reisen rund um die Welt, mit vielen
Zigaretten und vielen Flaschen Whiskey absolviert.« Sein Leben hat er der Bank
gewidmet, die ihn zu ihrem Chef gemacht hat. Nächtelang wird angesichts der
Katastrophe, die Anfang 2008 über die Société Generale hereinbricht,
durchgearbeitet. Frauen und Kinder werden zu Nebendarstellern. Kritiker werden
als Idioten hingestellt, die sich undifferenziert und apodiktisch äußerten. Die
Stammtische hätten die Jagd eröffnet und die »Journalistenmeute« sei wie
elektrisiert. Dennoch wolle er »erörtern, was am nächsten Tag in den Zeitungen
stehen könnte, und versuchen, auf die schlimmste Berichterstattung … noch
Einfluss zu nehmen.« Währenddessen pumpt sich sein Chef mit Tabletten voll, um
durchhalten zu können. Es gibt keine Lösung, weil wir uns in einer Welt der kalten Herzen längst von Lösungen verabschiedet haben. Hier herrscht das Prinzip Konkurrenz ohne Chancengleichheit und Fairness, hier herrscht Abhängigkeit statt Freiheit, Standortfetischismus und Billiglöhne dominieren über ökonomische Gerechtigkeit, die es ebenfalls nicht mehr gibt. Schon machen die Phalanx der Globalisierungsgegner und das Heer der Zug-Kurz-Gekommenen allmählich mobil. Nicht nur in Frankreich. Selbst in der revolutionsresistenten Bundesrepublik regen sich erste Pflänzchen des Widerstands gegen die blinde Liebe zu einem Kapitalismus, der seine gesellschaftliche Verankerung verloren hat und gerade deshalb nicht mehr im Spannungsverhältnis zur Gesellschaft und Kultur steht, sondern sich zusehends von ihr entfremdet. Oder umgekehrt. Die Schar der Kritiker wird zumindest physisch begleitet von einer Armee gut ausgebildeter Proleten und den moralisch verwahrlosten Angehörigen der neuen Unterschicht, die das Produkt der Akkumulation von Verwundbarkeiten sind.
Die Elite der Ignoranz In seinem Buch betrachtet er die Rede von der seelischen Gesundheit als ein neues Sprachspiel mit eigener Grammatik und Rhetorik, das es ermögliche, persönliches Unheil und gestörte soziale Beziehungen in Relation zu setzen. Seelische Gesundheit werde spätestens seit dem Ende des 20. Jahrhunderts als Phänomen des Kollektivlebens begriffen. Die immer zahlreicher werdenden Darstellungen seien der Ausdruck der Sorge um den Substanzverlust des Sozialen.
Gegenstand von Ehrenbergs Untersuchung sind
dementsprechend Sprachspiele über die Vorstellungen sozialer Beziehungen sowohl
in Frankreich als auch in den USA. Charakteristisch für beide Gesellschaften
sei, dass die Psychoanalyse als Sprachspiel in das Feld der Soziologie migriert
sei. Eine psychoanalytisch geprägte Soziologie habe sich jedoch bereits in den
1950er Jahren herausgebildet, als erstmals Beschreibungen von Pathologien
aufkamen, »bei denen das soziale und moralische Ideal des Individuums«, sprich:
Identitätsstörungen und Störungen des Selbstbildes auf dem Spiel gestanden
hätten. Seither beherrsche der psychologische Mensch im Zustand der
Selbstanbetung die Welt. Das Psychologische wird zur Kompensationsform für den
Substanzverlust des Sozialen, die Psychoanalyse erfährt eine Transformation zur
Gesellschaftskritik, in der zwei Berufsgruppen besondere Aufmerksamkeit
widerfährt: Dem Manager und dem Therapeuten.
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Robert Castel
Hugues Le Bret |
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