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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Walter
Benjamin Kästners Gedichte liegen heute schon in drei stattlichen Bänden vor. Wer aber dem Charakter dieser Strophen nachgehen will, hält sich besser an ihre ursprüngliche Erscheinungsform. In Büchern stehen sie gedrängt und ein wenig beklemmend, durch Tageszeitungen aber flitzen sie wie ein Fisch im Wasser. Wenn dieses Wasser nicht immer das sauberste ist und mancherlei Abfall darin schwimmt, desto besser für den Verfasser, dessen poetische Fischlein daran dick und fett werden konnten. Die Beliebtheit dieser Gedichte hängt mit dem Aufstieg einer Schicht zusammen, die ihre wirtschaftlichen Machtpositionen unverhüllt in Besitz nahm und sich wie keine andere auf die Nacktheit, die Maskenlosigkeit ihrer ökonomischen Physiognomie etwas zugute tat. Nicht etwa, daß diese Schicht, die nur den Erfolg visierte, nichts als ihn anerkannte, nun die stärksten Positionen erobert hätte. Dazu war ihr Ideal zu asthmatisch. Es war das kinderloser, aus unbeträchtlichen Anfängen emporgekommener Agenten, die nicht wie die Finanzmagnaten auf Jahrzehnte für die Familie, sondern nur für sich selbst, und das kaum über Saisonabschlüsse hinaus, disponierten. Wer hat sie nicht vor sich: ihre verträumten Babyaugen hinter der Hornbrille, die breiten weißlichen Wangen, die schleppende Stimme, den Fatalismus in Gebärde und Denkungsart. Es ist von Haus aus ganz allein diese Schicht, der der Dichter etwas zu sagen hat, der er schmeichelt, indem er ihr vom Aufstehen bis zum Zubettgehen den Spiegel weniger vorhält als nachträgt. Die Abstände zwischen seinen Strophen sind in ihrem Nacken die Speckfalten, seine Reime ihre Wulstlippen, seine Zäsuren Grübchen in ihrem Fleisch, seine Pointen Pupillen in ihren Augen. Auf diese Schicht bleiben Stoffkreis und Wirkung beschränkt, und Kästner ist genauso außerstande mit seinen rebellischen Akzenten die Depossedierten, wie mit seiner Ironie die Industriellen zu treffen.
Das ist, weil diese Lyrik,
ihrem Augenschein zum Trotz, vor allem die ständischen Belange der
Zwischenschicht - Agenten, Journalisten, Personalchefs - wahrt. Der Haß aber,
den sie dabei gegen das kleine Bürgertum proklamiert, hat selbst einen
kleinbürgerlichen, allzu intimen Einschlag. Dagegen büßt sie der Großbourgeoisie
gegenüber zusehends an Schlagkraft ein und verrät am Ende ihre Sehnsucht nach
dem Mäzen in dem Stoßseufzer: ,,0 gäbe es nur ein Dutzend Weise, mit sehr viel
Geld.« Dieser Dichter ist unzufrieden, ja schwermütig. Seine Schwermut kommt aber aus Routine. Denn Routiniertsein heißt, seine Idiosynkrasien geopfert, die Gabe, sich zu ekeln, preisgegeben haben. Und das macht schwermütig. Dies ist der Umstand, der diesem Fall einige Ähnlichkeit mit dem Fall Heine gibt. Routiniert sind die Anmerkungen, mit denen Kästner seine Gedichte einbeult, um diesen lackierten Kinderbällchen das Ansehen von Rugbybällen zu geben. Und nichts ist routinierter als die Ironie, die den gerührten Teig der Privatmeinung aufgehen läßt wie ein Backmittel. Bedauerlich nur, daß seine Impertinenz so außer allem Verhältnis ebensowohl zu den ideologischen wie zu den politischen Kräften steht, über die er verfügt. Nicht zum wenigsten an der grotesken Unterschätzung des Gegners, die ihren Provokationen zugrunde liegt, verrät sich, wie sehr der Posten dieser linksradikalen Intelligenz ein verlorener ist. Mit der Arbeiterbewegung hat sie wenig zu tun. Vielmehr ist sie als bürgerliche Zersetzungserscheinung das Gegenstück zu der feudalistischen Mimikry, die das Kaiserreich im Reserveleutnant bewundert hat. Die linksradikalen Publizisten vom Schlage der Kästner, Mehring oder Tucholsky sind die proletarische Mimikry des zerfallenen Bürgertums. Ihre Funktion ist, politisch betrachtet, nicht Parteien sondern Cliquen, literarisch betrachtet, nicht Schulen sondern Moden, ökonomisch betrachtet, nicht Produzenten sondern Agenten hervorzubringen. Und zwar ist diese linke Intelligenz seit fünfzehn Jahren ununterbrochen Agent aller geistigen Konjunkturen, vom Aktivismus über den Expressionismus bis zu der Neuen Sachlichkeit gewesen. Ihre politische Bedeutung aber erschöpfte sich mit der Umsetzung revolutionärer Reflexe, soweit sie am Bürgertum auftraten, in Gegenstände der Zerstreuung, des Amüsements, die sich dem Konsum zuführen ließen.
Derart verstand der
Aktivismus, der revolutionären Dialektik das klassenmäßig unbestimmte Gesicht
des gesunden Menschenverstands aufzusetzen. Er war gewissermaßen die Weiße Woche
dieses Intelligenzmagazins. Der Expressionismus stellte die revolutionäre Geste,
den gesteilten Arm, die geballte Faust in Papiermache aus. Nach diesem
Werbefeldzug schritt sodann die Neue Sachlichkeit, aus der die Kästnerschen
Gedichte stammen, zur Inventur. Was findet »die geistige Elite«, die an die
Bestandaufnahme ihrer Gefühle herantritt, denn vor? Diese selbst etwa? Sie sind
längst verramscht worden. Was blieb, sind die leeren Stellen, wo in verstaubten
Sammetherzen die Gefühle – Natur und Liebe, Enthusiasmus und Menschlichkeit -
einmal gelegen haben. Nun liebkost man geistesabwesend die Hohlform. An diesen
angeblichen Schablonen glaubt eine neunmalweise Ironie viel mehr als an den
Dingen selbst zu haben, treibt großen Aufwand mit ihrer Armut und macht sich aus
der gähnenden Leere ein Fest. Denn das ist das Neue an dieser Sachlichkeit, daß
sie auf die Spuren einstiger Geistesgüter sich soviel zugute tut wie der Bürger
auf die seiner materiellen. Nie hat man in einer ungemütlichen Situation sich's
gemütlicher eingerichtet.
Weitaus an erster Stelle
steht hier eine Haltung, wie sie schon im Titel vieler Gedichte sich ausprägt.
Da gibt es eine »Elegie mit Ei«, ein» Weihnachtslied chemisch gereinigt«, den
»Selbstmord im Familienbad«, das »Schicksal eines stilisierten Negers« usw. Denn 'meist ist die wahrhaft politische Dichtung der letzten Jahrzehnte heroldhaft den Dingen vorangeeilt. Es war im Jahre 1912 und 1913, als Georg Heyms Gedichte die damals unvorstellbare Verfassung der Massen, die im August 1914 zutage trat, in befremdlichen Schilderungen niemals gesichteter Kollektiva: der Selbstmörder, der Gefangenen, der Kranken, der Seefahrer oder der Irren, vorwegnahmen. In seinen Versen rüstete sich die Erde, von der roten Sintflut bedeckt zu werden. Und lange ehe der Ararat der Goldmark als einziger Gipfel aus der Flut ragte, bis auf den letzten Platz von Freßsack, Gürtelpelz und Naschkatz besetzt, hatte Alfred Lichtenstein, der in den ersten Tagen des Krieges gefallen war, jene tristen und aufgeschwemmten Figuren ins Blickfeld gerückt, für die Kästner die Schablone gefunden hat. Was nun den Bürger in dieser frühen, noch vorexpressionistischen
Fassung von dem späteren und
nachexpressionistischen unterscheidet, ist seine Exzentrizität. Lichtenstein hat
nicht umsonst eines seiner Gedichte einem Clown zugeeignet. Seinen Bürgern
steckt die Clownerie der Verzweiflung noch in den Knochen. Sie haben noch nicht
den Exzentrik als Gegenstand des großstädtischen Amüsements aus sich
herausgesetzt. Sie sind noch nicht so gänzlich saturiert, noch nicht so ganz
Agenten, daß sie nicht ihre dunkle Solidarität mit einer Ware, für die die
Absatzkrise schon am Horizont heraufzieht, fühlten. Der Friede kam dann - jene
Absatzstockung der Menschenware, die wir als Arbeitslosigkeit kennenlernen. Und
Selbstmord, wie ihn Lichtensteins Gedichte propagieren, ist Dumping, Absatz
dieser Ware zu Schleuderpreisen. Von alledem wissen Kästners Strophen nichts
mehr. Ihr Takt folgt ganz genau den Noten, nach denen die armen reichen Leute
Trübsal blasen; sie sprechen zu der Traurigkeit des Saturierten, der sein Geld
nicht restlos seinem Magen zuwenden kann. Gequälte Stupidität: das ist von den
zweitausendjährigen Metamorphosen der Melancholie die letzte.
Was Wunder, da sie ihre
Funktion darin haben, diesen Typ mit sich selbst zu versöhnen und jene Identität
zwischen Berufs- und Privatleben herzustellen, die von diesen Leuten unter dem
Namen »Menschlichkeit« verstanden wird, in Wahrheit aber das eigentlich
Bestialische ist, weil alle echte Menschlichkeit – unter den heutigen
Verhältnissen - nur aus der Spannung zwischen jenen beiden Polen hervorgehen
kann. In ihr bilden sich Besinnung und Tat, sie zu schaffen ist die Aufgabe
jeder politischen Lyrik, und erfüllt wird sie heute am strengsten in den
Gedichten von Brecht. Bei Kästner muß sie der Süffisanz und dem Fatalismus Platz
machen. Es ist der Fatalismus derer, die dem Produktionsprozeß am fernsten
stehen, und deren dunkles Werben um die Konjunkturen der Haltung eines Mannes
vergleichbar ist, der sich ganz den unerforschlichen Glücksfällen seiner
Verdauung anheimgibt. Sicher hat das Kollern in diesen Versen mehr von Blähungen
als vom Umsturz. Von jeher gingen Hartleibigkeit und Schwermut zusammen. Seit
aber im sozialen Körper die Säfte stocken, schlägt Dumpfheit uns auf Schritt und
Tritt entgegen. Kästners Gedichte machen die Luft nicht besser.
Zitiert
nach: Walter Benjamin |
© Suhrkamp Verlag
Band 3:
Der Begriff der Kunstkritik in der
deutschen Romantik |
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