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Wetterleuchten oder die Kunst des Schweigens

Zu Paula Fox »Die Zigarette und andere Stories«

Von Lothar Struck

Paula Fox wurde 1923 in New York geboren, wo sie heute wieder lebt. Sie hat sechs Romane, viele Erzählungen und zahlreiche Kinderbücher geschrieben. 1996 wurde sie durch Jonathan Franzens euphorische Besprechung ihres Romans "Desperate Characters", der bei seinem Erscheinen 1970 kaum Beachtung fand, schlagartig populär und (neu) "entdeckt". Das Buch erschien dann im Jahr 2000 unter dem Titel "Was am Ende bleibt" entsprechend beworben in Deutschland. Von da an verging kein Jahr ohne mindestens ein neues Buch von Paula Fox - auch wenn es teilweise über 25 Jahre alt war. "Die Zigarette und andere Stories" ist hingegen tatsächlich zeitnah und aktuell News From The World von April 2011) – auch wenn es bis auf "Die Zigarette" ("Cigarette") Texte sind, die zwischen 1965 und 2010 in unterschiedlichen amerikanischen Publikationen und Magazinen veröffentlicht wurden.

Anders als im englischen Original, wo es die Genrebezeichnung "Stories and Essays" gibt, suggeriert der deutsche Titel durch den Einschluss des Wortes "Stories", dass es sich im klassischen amerikanischen "Short-Story-Stil" um fiktionale Kurzgeschichten handelt. So mag man zunächst das Vorwort und die erste Geschichte ("Die Zigarette"), in der explizit autobiografische Erlebnisse erzählt und über die Jahrzehnte des Lebens der Autorin gespiegelt werden, als Ausnahme begreifen. Folgen doch mit "Lord Randal", "Die Lebenden", "Mit sich allein", "Nachrichten aus der großen Welt" (eine im weitesten Sinn Ibsen-Frau-am-Meer Konstellation) und der kurios-skurrilen Kürzestgeschichte "Am Meer", in der ein Mann mit einem Huhn an einem Strand erscheint und irgendwann dem Huhn einfach vor allen Strandbesuchern den Hals umdreht, Erzählungen, die dem Genre zu entsprechen scheinen.

Dann jedoch wird Paula Fox essayistisch und schreibt rekurrierend und zitierend mit John Miltons "Areopagitica" ein flammendes Plädoyer für die Meinungs- und Publikationsfreiheit ("Die Unterdrückung der Wahrheit"). Anlass war, dass ein Kinderbuch aus Schulen entfernt wurde, weil auf einer Zeichnung eines nackten Jungen dessen Penis zu sehen ist. Danach erzählt Paula Fox über Menschen aus ihrem Leben. Es gibt eine Hommage an Franchot Tone, den Lieblingsschauspieler ihrer Kindheit, dem sie später kurz begegnet ("Franchot Tone bei der Paramount"). Fast rührend die Erinnerungen ("Im tiefen Süden") an den Ersatzvater (sie wurde als Kind von ihren Eltern abgegeben) und Vorbild, den Schriftsteller Pat O'Donnell. Sie erzählt von ihren Begegnungen in New Orleans, ihren Reisen zusammen mit Mary King und dem überraschenden Tod O'Donnells mit 48 Jahren 1943 – ein einschneidendes Erlebnis für die damals 20jährige. Oder sie begibt sich mit ihrem frisch getrauten Ehemann zu ihrem kauzigen Schwiegervater, der, schwerkrank, in der Obhut einer skurrilen Frau lebt und mit dem das Ehepaar noch einmal die Dorfkneipen abklappert ("Die weiten Gefilde des Todes").

Und die Erzählung über die Freundschaft zum schwulen Näher Jack und seinen Liebhabern ("Die zärtliche Nacht"). Kurz nach dem Einzug in eine Wohnung klingelt ein junger Mann bei ihr und fragt, ob ihr ein angeblich im Müll gefunden Buch von Scott Fitzgerald gehöre. Die Ich-Erzählerin, die Paula Fox ist (vermutlich aber auch wieder nicht), bejaht, man kommt sich näher und freundet sich an. In den noch nicht einmal zwanzig Seiten dieser autobiografischen Erzählung schlägt Fox einen Bogen einer jahrzehntelangen Freundschaft, die sie und ihre Familie mit Jack in unterschiedlicher Intensität immer wieder zusammenführt. Schließlich erzählt sie vom AIDS-Tod von Jack und seinem letzten Freund, Ben und vom Verlust, der diese Freundschaft für sie bedeutet.

"Die zärtliche Nacht" ist die schönste Erzählung dieses Bandes, weil hier am klarsten jener "untergründige elegische Ton" durchschimmert, den sie aus den Erzählungen ihrer Großmutter noch heute beschwört und der manchmal haarscharf am Kitsch vorbeischrammt. So, als Jack kurz vor dem Tod "gesteht", dass er das Buch nicht gefunden hatte, sondern damals von den Stapeln der Möbelpacker hatte mitgehen lassen: "Ich brauchte einen Grund, um dich anzusprechen. Ich hatte gesehen, wie du einen Möbelpacker angelächelt hattest. Ich wollte, dass du mich auch so anlächelst." 

Und dann ein Motiv, das immer wieder auftaucht: Schweigen. Ein Schweigen als Gegenteil von Sprachlosigkeit. Nach dem Besuch des Schwiegervaters fuhr das Ehepaar "eine Weile schweigend dahin". In den Gesprächen mit Jack "gab es Momente des wohltuenden Schweigens". In der einzigen fiktionalen Erzählung im letzen Teil des Buches ("Grace"), in der ein Genazino-hafter, leicht verschlossener Büroangestellter um seinen soeben verstorbenen Hund trauert und plötzlich seine ehemalige Geliebte, die er "Miezekatze" nennt und vor einiger Zeit in einer Mischung aus Desinteresse und Furcht abgewiesen hatte, unverhofft anrief, standen beide am Ende schweigend "in ihren Wohnungen, hielten sich an ihren Telefonhörern fest und versuchten, sich zu entscheiden, ob sie sich wirklich wiedersehen wollten".

Schweigen als Möglichkeit zur Rückkehr zum Vertrauen in die Welt. Zusammen schweigen als Gefühl des Aufgehobenseins. Nur möglich in der Gewissheit einer Zuneigung, die nicht beschworen oder geschworen werden kann. Aber nur immer für einen Moment möglich; wie ein Wetterleuchten. Wenn es einen roten Faden in diesen so unterschiedlichen Geschichten gibt, dann der Wunsch nach diesem intentionslosen, ja kindlischen "Du". In der Erzählung über die Brüder ihres Mannes ("Clem") schimmert diese Utopie nach dem Losgelöstsein aus sämtlichen Konventionen hervor. Erst spät, fast zu spät, löst sich jene Verkrampftheit einer Familienbande und das, woran es anfangs mangelte, die "gegenseitige Neugier", begann endlich die Beziehungen zu bestimmen.

Vielleicht ist es mehr als nur die Wiedergabe der Rede einer Figur, wenn es heißt, der "Rückgang religiösen Glaubens" habe zum "Verlust der Sprache geführt, die wir brauchen, um etwas Tiefes und Ernstes über unser Leben zu sagen". Dieser Verlust der Sprache kann vielleicht durch den Schriftsteller überwunden werden. Und wie anders "sollen wir der Verzweiflung, der Verzückung und Befreiung Ausdruck verleihen?" Durch Schweigen. Und durch Literatur. Lothar Struck
 

Paula Fox
Die Zigarette und andere Stories
Übersetzt von Hans-Ulrich Möhring und Karen Nölle
C.H. Beck Verlag
254 Seiten
19,95 Euro

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