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Bekiffte
Nächte in Manhattan Sie erkennen vermutlich das Problem. Der Rezensent ist nicht mehr unvoreingenommen, um es dezent auszudrücken, ach Quatsch, ich bin von diesem Buch total angefixt! Ich habe »Chronic City« in jeder nur denkbaren Situation gelesen: brav am Schreibtisch und eine halbe Stunde später im Taxi zum Bahnhof. Im Zug dann, während Dutzende von Handy-Schwätzern um mich herum irgend jemanden anriefen, um den tiefgründigen Umstand mitzuteilen, du, ich bin jetzt im Zug usw. Ich habe Lethems Buch im Café gelesen, vor einem längst kalt gewordenen Latte macchiato, aber auch stehend in einer Warteschlange angesichts der näherrückenden Toilette im historischen Museum, abends dann vor einer eigenen Lesung in Berlin, ohne dass mir mein Auftritt wichtiger gewesen wäre, als der zugedröhnte Chase und der Kosmos an Figuren, die so seltsam zufällig um ihn kreisen. Ich habe zwar nicht immer gewusst, um was es eigentlich ging. Aber das Buch ist mir nicht ein einziges Mal langweilig gewesen. Ich habe immer wissen wollen, wie es weitergeht. Habe ständig auf das nächste Wortspiel gewartet, auf den nächsten unübertrefflichen Vergleich, auf die nächste mit überwältigendem Understatement präsentierte Pointe. Irre ich mich? Oder sehen Sie wie ich Oona Laszlo vor sich, wenn Lethem Chase denken lässt »Hatte Perkus etwa ein Kanne Kaffee auf den Boden verschüttet, und die Flüssigkeit war als Frau zum Leben erwacht, kurz bevor ich zur Tür hereinkam?« Egal, wenn es Ihnen dabei nicht so geht wie mir, um so schlimmer für Sie. Als Autor erlebe ich angesichts solcher Sätze Anfälle von purem Neid. Nun gut, Sie wollen Fakten. Wer ist der Autor? Um was geht’s hier eigentlich? Was für eine Geschichte wird hier erzählt? Warum sollen wir das lesen? All diesen Kram halt, ich weiß. Und im Grunde will ich Ihnen das gar nicht erzählen. Denn mal ehrlich, bringt es Sie tatsächlich weiter, wenn ich sage, dass Chase, Ich-Erzähler und Hauptfigur von Jonathan Lethems Roman »Chronic City« ein ehemaliger TV-Kinderstar ist, ein Müßiggänger mit lang schon verblasster Popularität, der sich selbst als »niederer Promi« bezeichnet und arbeitet, indem er »als Tischdekoration« bei Abendgesellschaften der wirklich Reichen auftritt? Ihn hat das gut zu vermarktende Schicksal getroffen, dass er mit Janice Trumbull verlobt ist, einer Astronautin, die während der Zeit der Romanhandlung im Orbit um die Erde kreist und nicht zurückgeholt werden kann, sodass Chase einer allgemeinen Bekanntheit und Anteilnahme gewiss sein kann. Das Buch spielt also in einer Art marginaler Zukunft. Oder etwa doch nicht? Sie sehen, selbst mit den Fakten ist es in unserer Zeit nicht so einfach. Wenn Sie eine normale Leserin (93%) bzw. ein normaler Leser (7%) sind, dann werden Sie solch einen Helden sowieso unglaubwürdig finden. Und dass ausgerechnet der Penner Biller, Sie erinnern sich an ihn hoffentlich, am Ende des Romans auf einer Internet-Plattform namens »Yet Another World« Anführer eines Kommandos aus Söldnern und Freiwilligen ist, denen sich auch der neugeborene Avatar von Chase angeschlossen hat, das wird Sie vermutlich ebenfalls nicht befriedigen. Zumindest etwas einfacher ist es da schon, wenn wir uns dem Autor zuwenden. Denn Jonathan Lethem gibt es tatsächlich. Noch, bin ich versucht, hinzuzufügen, denn die Zeit, in der es die Autoren der Bücher, die wir lesen, real nicht mehr gibt, scheint mir nahe bevor zu stehen; solche Anachronismen wie reale Autoren können wirklich nicht mehr allzu lange überleben. Lethem, einer der letzten also, wurde 1964 in New York geboren und hätte eigentlich gemeinsam mit den neuen amerikanischen Klassikern, die Anfang des neuen Jahrtausends durchstarteten, in Europa erscheinen müssen. Im Gleichschritt mit Franzens »Korrekturen« also oder im Jahr drauf mit »Middlesex« von Eugenides. Zumindest seine Romane »Motherless Brooklyn« und »Die Festung der Einsamkeit« hätten diesen Rang beanspruchen können. Irgendwie scheint er da jedoch nicht hingepasst zu haben. Zu wenig ernsthaft mögen die Lektoren gesagt haben, zu abgedreht, zu viele Drogen, zu viel schräge Projektionen auf eine Zukunft, über die wir im Grunde bereits jeden Tag stolpern, ohne es wahrhaben zu wollen. Weitere Indizien für diese Art von Unangepasstheit Lethems scheinen mir aus seiner Publikationsliste ablesbar zu sein. War er doch immerhin der Herausgeber mehrerer Bände mit Erzählungen von Philip K. Dick, eines Autors, der die permanente Verunsicherung über das, was wir so leichthin als Realität zu bezeichnen pflegen, zum erzählerischen Programm erhoben hatte. Und dass Jonatham Lethem mittlerweile am Pomona College als Nachfolger von David Foster Wallace, der sich im Jahre 2008 umgebracht hat, die Professur für Creative Writing übernommen hat, spricht auch nicht gerade für einen Anwärter der neuen amerikanischen Klassik. Das halte ich für vielversprechend. Aber um was geht es eigentlich in »Chronic City«? Außer dass Chase, dieser abgehalfterte Kinderstar, eine Reihe von abgedrehten Leuten trifft, die sich in einer Art Parallelwelt zu befinden scheinen und sich mit Dingen beschäftigen, die völlig irreal sind? Keine Angst, ich verrate es nicht. Ich verspreche Ihnen stattdessen, dass es Ihnen eine Menge Spaß machen wird, es selbst zu entdecken. Freilich müssen Sie dazu bereit sein, eine Reihe von Verunsicherungen zu ertragen. Oder sagen wir es anders. Sagen wir, am meisten Spaß haben Sie dann mit der Geschichte dieses Buches, wenn Sie sich davon lösen, dass alles auf eine bestimmte Weise zu erfolgen hat. Tauchen Sie stattdessen ein in eine Welt, in der die Grenzen der Figuren und ihrer Geschichten nicht mehr fest sind. Lassen Sie das Auflösen zu. Gönnen Sie sich einen literarischen Joint. Perkus Tooth macht eh die besten. Und Chronic ist nicht nur der Romanname für New York bzw. das Manhattan des Romans sondern auch der Name einer Droge, die damit gewissermaßen den Bogen schlägt zwischen dem hier und jetzt der Romanfiguren und ihrem zwingenden Zusammenhang mit der Stadt, ohne die sie nicht denkbar wären. PS: Am Ende meiner Lektüre von Jonathan Lethems Roman entstand für mich ein Problem, das ich vermutlich noch lange nicht werde lösen können. Ich hatte nämlich zwei Wochen zuvor in meinem privaten Arbeitsjournal notiert: »Schreiben heißt: mit einem unbekannten Gesicht in die Welt hinaussehen.« Das glaube ich noch immer. Aber Lethems Roman zeigt zugleich, dass einem das Unbekannte immer schon als das Bekannte entgegen kommt. Chase, Perkus Tooth, Susan Eldred, Richard Abneg und all die anderen, das sind wir wirklich selbst.
Aber vielleicht hilft die
Amnesie? Oder wie Chase in seinem unvergleichlichen Duktus sagt:
»Das war so eine typische
Nacht für uns. Auch wenn ich mich nicht mehr an alle so genau erinnere.« |
Jonathan
Lethem |
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