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»Gegen einen Geist der Enge und der Gewalt«
Die
Europäer Freya und Helmuth James von Moltke. Ihre Abschiedsbriefe und ein
»Jahrhundertleben«
»Pax vobiscum, das ist bis
jetzt nur ein Gruß, bestenfalls ein zwischenmenschliches Portal; wie viel wahrer
wäre das als Haus. Und wenn die Verhältnisse die Menschen bilden, so hilft
nichts als die Verhältnisse menschlich zu bilden; es lebe die praktische
Vernunft.« In vico potus und platea equorum: Eine Pferdetränke war Namensgeber der ab 1571 schlicht Die dranck gaß genannten Straße, in der am 29. März 1911 Freya Deichmann das Licht der Welt erblickte. Die Trankgasse, die vom Dom zum Konrad-Adenauer-Ufer verläuft, beherbergt noch heute das gegenüber dem Hauptbahnhof liegende ehemalige Geschäftsgebäude der Familie. Zwischen den Schriftzügen einer Zeitarbeitsfirma, einer Brauerei und einer lokalen Zeitung wirkt der Hinweis »Deichmannhaus« fast unscheinbar und nebensächlich. Zwar war die Familie durch den Hannoveraner Bankier Wilhelm Ludwig Deichmann, Mitbegründer der Deutschen Bank, seit 1818 in der Stadt ansässig, doch lösten sich allmählich die vielfältigen Beziehungen der Deichmanns zu Köln seit den 1930er Jahren. Nicht zuletzt die Finanzsituation der Bank und Freyas Heirat mit Helmuth James von Moltke 1931 trugen hierzu bei. Denn nach dem Tod ihrer Schwiegermutter Dorothy ging sie 1935 als Gutsherrin nach Kreisau in Niederschlesien. Ihr Mann James organisierte ab 1940 den deutschen Widerstand gegen Hitler. Sozialisten, Jesuiten und preußische Großgrundbesitzer trafen sich mehrfach in Kreisau, um über die Neuordnung Deutschlands und Europas nach dem Kriege nachzudenken. Als Mitglieder des Oberkommandos der Wehrmacht, einem militärischen Arbeitsstab und die höchste Kommando- und Verwaltungsbehörde der deutschen Wehrmacht im Amt Ausland/Abwehr unter Wilhelm Canaris reflektierten Moltke und seine Weggefährten eine gesamteuropäische Lösung im postnazistischen Deutschland. In den Jahren 1942 und 1943 trat Freya von Moltke als Gastgeberin von insgesamt drei geheimen Treffen auf, die auf dem Gut Kreisau stattfanden. Zu den Teilnehmern und Mitgliedern des Kreises zählten Carl Dietrich von Trotha, Adolf Reichwein, Carlo Mierendorff, Adam von Trott zu Solz, der Pfarrer Harald Poelchau, Übermittler der Gefängnisbriefe des Paares, Alfred Delp, Julius Leber und Eugen Gerstenmaier. Christlich-ethische und sozialreformerische Aspekte standen im Vordergrund der Nachkriegvisionen. Einige Kreisauer beteiligten sich an den Plänen des Attentats vom 20. Juli. Moltke aber wurde bereits im Januar 1944 verhaftet und vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler am 10. Januar 1945 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung erfolgte am 23. Januar. Freya ging nach dem Tod ihres Mannes mit ihren beiden Söhnen zunächst nach Südafrika, später nach Vermont, USA, wo sie zwischen 1960 und 1973 mit Eugen Rosenstock-Huessy zusammenlebte. Nachdem sie 1986 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, engagierte sie sich für die Erinnerungsarbeit an den Widerstand, und nach dem Fall der Mauer besonders für die deutsch-polnische Verständigung. Ihre Arbeit als Botschafterin des Friedens und der Versöhnung implizierte stets auch das Ringen um eine offene und menschenwürdige Gesellschaft. Freya von Moltke setzte sich für den Kampf gegen erkanntes Unrecht in Europa und der Welt ein. Sie legte Wert darauf, die Freiheit in jeder Gegenwart neu zu verteidigen. Es war aber nicht die Freiheit der Märkte und des Kapitals, wie Paul Bauwens-Adenauer in seiner Begrüßungsansprache zur Festveranstaltung anlässlich des 100. Geburtstages von Freya im Börsensaal der IHK Köln irrtümlich glaubte. Freya von Moltkes Verständnis von Freiheit war grundlegender als die Freiheit der Sozialen Marktwirtschaft à la Müller-Armack: Es war getragen von Mitmenschlichkeit und Verantwortung, von Toleranz und Versöhnung. Das Neue Kreisau hat nun ihre Erbschaft angetreten und ist zu einem europäischen Ort der Verständigung und Humanität geworden. Es leistet, so Bundespräsident Wulff vor den 750 geladenen Gästen am 29. März 2011 in der Kölner Innenstadt, einen »Dienst an der Zukunft.«
Diese Zukunft hatte Freya
von Moltke im Sinn. Sie kannte kein Klassenbewusstsein; sie fragte nach dem
Anliegen ihrer Gesprächspartner und wahrte sich ein positives Weltbild trotz
aller scheußlichen Erfahrungen, die sie machen musste. Wenn Europa nach dem
Zweiten Weltkrieg auf den Prinzipien des Friedens, der Verantwortung und der
Freiheit aufgebaut wurde, so ist Freya von Moltke ganz gewiss ein europäisches
Vorbild: Klug, unerschütterlich, mutig und von einem rheinischen Frohsinn
geprägt, der sie auch den unfassbaren Preis ertragen ließ, den der Widerstand in
einer Welt ohne moralische Bindungen gekostet hat. Ergreifend sind aber nicht nur die Briefe, die sich beide schreiben, bewegend ist vor allem jener Brief, den Helmuth James am 11. Oktober 1944 an seine beiden kleinen Söhne als Vermächtnis richtete: »Da ich in wenigen Tagen wahrscheinlich nicht mehr leben werde, und da ich Euch deshalb in Eurem Leben nicht werde beistehen und helfen können, so will ich, solange ich noch Zeit habe, Euch wenigstens einen Brief schreiben … Ich habe mein ganzes Leben lang … gegen einen Geist der Enge und der Gewalt , der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen … überwunden werde.« Dafür hat sich Freya von Moltke gleichsam eingesetzt. Doch lange Zeit stand sie im Schatten ihres Mannes. Nun erst, an ihrem 100. Geburtstag, gut ein Jahr nach ihrem Tod, tritt sie aus diesem Schatten heraus. Sie wird als ihrem Mann ebenbürtige Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden gesehen. Dies verdankt sich nicht zuletzt der kürzlich bei Beck erschienenen, hervorragenden Biographie von Frauke Geyken, die Freyas Leben so lebendig vor Augen führt und ihr Wirken vor und nach dem Krieg fokussiert. Nach den Biographien über die Moltkes von Olaf Jessen und Jochen Thies, nach Volker Ulrichs Publikation über den Kreisauer Kreis und den Büchern über Helmuth James von Günter Brakelmann und Jochen Köhler in den vergangenen Jahren war die Lebensgeschichte Freya von Moltkes zu ihrem 100. Geburtstag sicherlich überfällig.
Freya von Moltke ist zudem
zurück in Köln: Die Stadtverwaltung denkt über eine Gedenktafel in der
Trankgasse und eine Straßenwidmung für die Gräfin, die keine sein wollte, nach.
Das ist gut so. Wichtiger als das wäre es freilich, endlich nach ihren Maximen
Politik zu gestalten! |
Helmuth James
von Moltke, Freya von Moltke
Frauke Geyken
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