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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 22.04.14

Als ginge man im Frack in die Würstchenbude

Martin Mosebachs Roman »Das Blutbuchenfest«

Von Gregor Keuschnig




 

"Das Blutbuchenfest" von Martin Mosebach ist nicht nur ein Roman, sondern auch fast schon ein Film. Man sieht die Bilder schon vor sich: Den inszenierten Manierismus à la Peter Greenaway. Moderationen wie bei Leo's. Und - das Lokal der Figur Merzinger, in dem die karikierte Upperclass-Clique des Romans ein- und ausgeht: das "Rossini" von Helmut Dietl, zumal die "mörderische Frage, wer mit wem schlief" auch hier nicht ganz unwichtig ist, obwohl es dann doch nicht sehr verwirrend ist.

Mit Nonchalance wird der Leser in diese Gesellschaft eingeführt: Da ist ein gewisser Wereschnikow, den man sich vielleicht als jüngeren Leonid Breschnew vorstellen kann; ein ziemlicher Aufschneider (mit einem nur ihm bekannten kleinen Vermögen in der Schweiz), dessen Ruhm sich primär darauf gründet mit Kissinger oder Boutros-Ghali zu telephonieren und, fast noch interessanter für den Zirkel: er ist der offizielle Lebenspartner der schönen Maruscha, deren Charakterisierung als Edelprostituierte unterkomplex und ein bisschen spießig wäre. Allzu verständlich ist doch, dass sie für ihre Maisonette-Wohnung länger schon die Mietzahlungen einstellend, auch die Erstattung der Nebenkosten als würdelosen weil allzu profanen Akt auffasst. Betroffen hiervon ist der Ex-Pleitier Breegen, ein etwas hüftsteifer Immobilienverkäufer und Pyramidenspieler, der sich zuletzt mit fünf Jahren seine Schuhe hat selbständig binden können, was ihn nicht daran hindert, Maruschas Liebhaber für bestimmte Nachmittage zu sein, währenddessen seine Frau sich mit dem Geschehen, welches sie mit Videokameras um ihr Grundstück herum beobachtet, vergnügt.

Das Personal des Romans bietet auch etwas für den Rätselfreund, der schon bald die sprechenden Namen entdeckt, wie der von Frau Markies (durchmassierte Rhetorik von "Marquise"), einer Art Gesellschaftsunternehmerin oder dem veritablen Ekelpaket Rotzoff (wahlweise als Rot-zoff oder Rotz-off aussprechbar). Am Rande gibt es eine Galerie Guggisheim. Wie originell. Das Fest, welches dem Buch seinen Namen gibt, findet in Wohnung und Garten eines gewissen Doktor Glück statt. Ein Mann, der seinen (halbwegs ehrlich erworbenen) Titel wie einen Vornamen trägt, Napoleonbilder sammelt und dessen Domizil von Krähen fast usurpiert zu sein scheint, die am Ende einer Nacht Glücks mit einer schwedischen Stewardess die Hummerreste fleddern (daher das Cover). Und schließlich erinnert der Name des Lokals (und des Patrons) von Ferne an ein alt-ehrwürdiges biographisches Archiv.

Verklammert wird die muntere Bande, deren Protagonisten "in einer Welt leben, wo es nichts Wichtigeres gab, als beim Drehen des Kopfes ein komisches Gefühl zu haben", durch Ivana, die resolute wie gewissenhafte bosnische Putzfrau, die zu Beginn bei allen in Lohn und Brot und zum Teil Vertrauensstellung steht. Ivana ist sowohl mit ihren in diesem Umfeld zuweilen archaisch anmutenden moralischen Vorstellungen als auch mit ihrer pragmatischen Pflichterfüllung, ihrer "Tatwut", das exakte Gegenteil zu dieser Welt der Oberflächlichkeiten und Intrigen. Sie reinigt unerschrocken den hybriden Kosmos dieser Seins-Nichtse. Zum einen real als deren Putzfrau. Zum anderen als allegorische Maria mit ihrem ungefähr in der Mitte des Buches neugeborenen Sohn (und ihrem Josef-ähnlichen Ehemann Stipo). Mosebach ließ es sich schließlich nicht nehmen, den Säugling in einem unglücklichen Unfall ums Leben kommen zu lassen, was die Sittlichkeit Ivanas (und deren Familie) noch verstärkt; Exegeten mögen dies genauer ausarbeiten.

Durch Ivana erfährt der Leser allerdings auch noch pikante Geschichten, was sich als ziemlicher Konstruktionsfehler des Romans zeigt. Denn der eigentliche Erzähler ist ein promovierter aber stellungsloser Kunsthistoriker, der trotz Gnade der späten Promotion (mit 35½) durch Zufall und Wereschnikow in die Szene eindringt und sich dort als "Neophyt" fühlt. Problematisch ist nicht, dass dieser Erzähler in süffisantem, unterhaltsamem Duktus plaudert, gekonnt balancierend zwischen Verachtung, Verballhornung und nüchternem Bericht, wobei Mosebach nur gelegentlich auf dem virtuellen Schwebebalken in die Diffamierung seiner Figuren abstürzt und dann aus der provinziellen Vor-Frankfurter haute volée ein neureich-putziges Durcheinandertal wird. Heikel ist, dass dieser Kunsthistoriker auch noch zum allwissenden Erzähler wird, der zum Beispiel auf den diversen Putzstellen Ivanas anwesend zu sein scheint. Bei jedem anderen würde man dies mindestens bemerken und anstreichen – bei Mosebach verzeiht man (vulgo: die Literaturkritik) dies und tatsächlich vergehen die ersten zweihundert Seiten wie im Fluge.

Irgendwann, so in der Mitte des Buches fragt sich der Leser, wie es weitergehen soll: Die "Helden" sind vorgestellt und man übernimmt schon unmerklich (und zumeist unerreicht) den zuweilen spöttischen Unterton des Erzählers in seinem eigenen Duktus. Aber kann das launige Erzählen von grell eingefärbter Langeweile auch noch auf den nächsten 240 Seiten kurzweilig bleiben? Gut, da brodeln die jugoslawischen Sezessionskriege und Wereschnikow plant eine Art Friedenskongress mit dem sperrigen wie anspruchsvollen Titel "Die Wurzeln und Fundamente der menschlichen Würde in den Kulturen des Balkan" und möchte bei dieser Gelegenheit eine Ausstellung eines bosnisch-kroatischen Künstlers mit dem Namen Mestrovic (die jugoslawischen Akzentzeichen werden vom "Sopha"-schreibenden Mosebach im Gegensatz zu den französischen souverän ignoriert) arrangieren. Hierfür wird die Intervention des erzählenden Kunsthistorikers benötigt, der den auserkorenen Meister immerhin als einen Könner der Malerei des Knies erkennt – ansonsten bleibt er trotz intensiven Katalogstudiums ratlos und entdeckt stattdessen einen unbekannten Courbet (der dann, recht zügig, als veritable Fälschung entlarvt wird).

Aber dieser Strang reicht nicht. Etwas Stoff muss her, zumal der Personalkosmos sowohl quantitativ als auch qualitativ eher übersichtlich erscheint. Zunächst gibt es die platonisch angelegte Liebesgeschichte des Erzählers mit Winnie, die, wie all die übrigen Protagonisten, dem gängigen Schönheitsideal trotzten und mit hellweißer, maximal elfenbeinfarbener Haut aufwarten. Diese Frau mit einer langen, faszinierend-schrecklichen Narbe zwischen ihren (fast selbstredend) kleinen Brüsten, wird zu einer Art Schneewittchen. Winnies Makel ist jedoch, dass sie eine scheinbar tödliche, sie jederzeit dahinraffende Krankheit in ihrem porzellanzarten Körper birgt (daher die Narbe). Später stellt sich auch noch heraus, dass sie – zum Entsetzen des braven Erzählers – einer Amour fou mit dem abstoßenden Rotzoff frönt, der übrigens in einer umwerfenden Szene eine scheinbar gepflegte Konversation mit den Krähen aus Doktor Glücks parkähnlichem Garten, dieser "Enklave luxuriöser Abgeschiedenheit", wie weiland der heilige Franziskus führt.

Der geplante Balkankongress führt den Erzähler zu Studienreisen nach Bosnien und am Ende in die Familie Ivanas, die über einige verschlungene Wege mit dem Künstler Mestrovic verwandt zu sein scheint (diese Spur erweist sich dann jedoch als fruchtlos). Besucht wird die Hochzeit von Ivanas jüngstem Bruder. Ausgiebig wird die Familiengeschichte erzählt (man trieb nicht nur Ackerbau, sondern fertigte bis in die 70er Jahre hinein Lehmziegel) und die aktuell sich abzeichnende, irgendwie bedrohliche Lage evoziert. Schließlich befindet man sich, was man nicht wissen konnte, unmittelbar vor Ausbruch des Bosnienkrieges. Hier zeigt sich die zweite Schwäche dieses Buches: Es ist schier unmöglich, die verkommene Frankfurter Mischpoke im gleichen schelmenromanhaften Tonfall (irgendwo zwischen Raddatz-Tagebüchern und Heinrich Spoerl; der Andere, das ganz große Vorbild, ist nur ab und an silhouettenhaft erahnbar und wird niemals erreicht) wie das Schicksal von Ivanas Familie (nebst Unfall von Ivanas Sohn) zu schildern. Zum großen Finale hin wird das mehr oder weniger langweile Treiben auf dem Fest mit Ivanas Anrufen bei ihrer Familie, die sich unmittelbaren Bedrohungen von Muslimen gegenübersieht und sich kurzerhand entschließt, zu fliehen, kontrastiert.

Über die scheinbar absichtlichen Fehler Mosebachs ist in anderen Kritiken bereits einiges gesagt worden. Dass die Protagonisten in dem Jahr der Handlung (1991/92) scheinbar problemlos mit Mobiltelefonen und Laptops agieren, wurde dabei – ebenfalls etwas überraschend – als Lappalie bzw. künstlerische Freiheit abgetan. Dies sind durchaus nicht die einzigen Inkorrektheiten. So findet ein Sonnenaufgang um 10 Uhr morgens statt und Zidanes Kopfstoß gegen Mattarazzi wird ebenfalls paraphrasiert. Da fragt man sich warum Ivana nicht einfach irgendwann fliegen kann oder eine der im Laufe des Romans sterbenden Figuren wieder in der Türe steht.

Ich habe diesen Roman dennoch gerne gelesen. Man vergnügt sich auf einem gewissen Niveau, in dem man sich im Stillen über die Figuren erhebt und der treuen Ivana alles Glück der Erde wünscht. Mosebach ist ein zauberhafter Aphoristiker und kann Szenen mit wortgewaltiger Grandezza kommentieren. Einige davon schreibt man sich in sein persönliches Poesiealbum mit dem Wissen: sowas werde ich nie können. Etwa, wenn zwei Leute in Merzingers Restaurant in einer Zeitung blättern und trocken bemerkt wird, dass nur "selten… ein Artikel die Gnade ihres Interesses" fand. Oder wenn eine Katze einen Teller mit Milch aufleckt und sich plötzlich das Muster des Tellers zeigt. Wunderbar, wie immer wieder das Olfaktorische in die Abläufe eingreift und Personen mit ihren individuellen Duftwolken irgendwie prägnanter charakterisiert werden als mit den zuweilen etwas bildungshuberisch herangebrachten physiognomischen Parallelen mit römischen, griechischen oder sonstigen antiken Figuren. So wird Ivana beispielsweise einmal "marsisch" und etwas später "provinzial-römisch" beschrieben wird, wobei ich zugebe, dass sich mir der Unterschied nicht erschließt (was aber Martin Mosebach nicht angelastet werden darf).

Aber die ab Mitte des Buches stetig zunehmenden Szenenwechsel zwischen der provinziellen Dekadenz dieser Figuren und dem Überlebenskampf von Ivanas Familie im jugoslawischen Bürgerkrieg sind grandios misslungen. Das ist etwa so, als ginge man im Frack in die Würstchenbude. Die Sprache Mosebachs ist kein Passepartout für alle Lebens- bzw. Handlungslagen. "Als Schopenhauer und Kraus sich über die Sprachverschluderung erregten, da hatten sie ein Publikum, das verstand, was sie sagten", heißt einer dieser wunderbaren Mosebach-Aphorismen. Man könnte ihn in Bezug auf dieses Buch abwandeln: Als die Kritiker über die Literaturverschluderung von Herrn Mosebach hinwegsahen, da hatten sie ein Publikum im Auge, das vergessen hatte, was Literatur ist. Man erfreut sich ja auch an den rhetorischen Ornamenten und begibt sich vielleicht an die Entzifferung der zahlreichen (zum Teil auch biblisch deutbaren) Allegorien. Aber wie ein derart verunglücktes Buch auf die Shortlist eines Buchpreises kommt – das entzieht sich vollständig meinem Verständnis. Gregor Keuschnig

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Martin Mosebach
Das Blutbuchenfest
Roman
Hanser Verlag
Fester Einband, 448 Seiten
Mit Lesebändchen
24,90 € (D) / UVP 34,90 sFR (CH)
25,60 € (A)
978-3-446-24479-5

Leseprobe

 


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