Impressum  І   Mediadaten 

suche diese Seite web
site search by freefind



Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

Anzeige
Versandkostenfrei bestellen!

Die menschliche Komödie
als work in progress


Ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

 

Home  Termine  Literatur  Blutige Ernte  Sachbuch  Quellen   Politik  Geschichte  Philosophie  Zeitkritik  Bilderbuch  Comics  Filme  Preisrätsel  Das Beste



Bücher & Themen




Bücher-Charts l Verlage A-Z
Medien- & Literatur l Museen im Internet


Glanz & Elend empfiehlt:
50 Longseller mit Qualitätsgarantie

Jazz aus der Tube u.a. Sounds
Bücher, CDs, DVDs & Links


Andere Seiten
Quality Report Magazin für Produktkultur
Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek
Joe Bauers
Flaneursalon
Gregor Keuschnig
Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle
Reiner Stachs Franz Kafka
counterpunch
»We've got all the right enemies.»



Seitwert


Glaubensbekenntnis

»Das katholische Abenteuer« des Matthias Matussek.


Von Gregor Keuschnig


Hans-Georg Gadamers Prämisse für das Gespräch – "Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte" – ist für den potentiellen Leser dieses Buches die Minimalanforderung. Ansonsten sollte man lieber verzichten und seine Vorurteile im Garten der Akklamation pflegen (etwas, was nicht nur für dieses Buch gilt).
Dabei gibt es sofort Grund zur Kritik. Der eigentlich schöne Buchtitel "Das katholisches Abenteuer" wird durch die flapsig-überflüssige Unterzeile "Eine Provokation" sofort wieder nivelliert (das hätte sich vielleicht dem Leser noch selber erschlossen). Und der hehre Anspruch, hier erzähle jemand von seinem katholischen Glauben in den Zeiten des forsch-plappernden Atheismus wird durch das blöde Cover mit Hörnchen, Dreizack und Heiligenschein konterkariert. Marketing ist wohl alles und Matthias Matussek muss unbedingt als Feuilleton-Krawallbär verkauft werden - drunter geht's nicht.

Schade, denn da hat jemand durchaus etwas zu sagen. In den besten Augenblicken berührt das Bild des gläubigen Katholiken Matussek in der zynischen Spaßgesellschaft mit ihrer anödende[n] Dauerironie sogar. Wenn er von dem Moment Verwandlung im Gottesdienst erzählt (er ist natürlich Mystiker). Und wenn er die Gemeinde und die Verbundenheit mit ihr wenigstens für einen kurzen Moment zu spüren beginnt. Oder das "Vater Unser"-Gebet Wort für Wort liest und seine Ergriffenheit bemerkbar ist (freilich wäre es bei dieser Gelegenheit interessant gewesen,
welchen Wandlungen die Worte in den letzten Jahrzehnten unterworfen waren und warum). Matussek versteht es ernsthaft und dabei ohne paternalistischen Unterton über die Sünde zu referieren. Tatsächlich poltert hier kein Mode-Katholik, der dem Atheismus-Mainstream aus purer Konfrontationslust entgegenpöbelt. Da ist jemand im Katholizismus verwurzelt und vermag dies durchaus zu belegen (sogar für seine Marxismus-Zeit). Und als Sohn eines CDU-Manns im roten Ruhrgebiet ist Matussek geradezu prädestiniert für Diaspora-Situationen. Daher mag er "Don Camillo" so und schlüpft sogar einmal in dessen Rolle.

Verteidigung für den "Kulturspeicher"

Insofern erwartet den Leser eine emphatische Verteidigungsschrift. Der Katholizismus ist längst im Verteidigungsmodus, was einem durch Matusseks furiose Plädoyers für den Fels Kirche in der Brandung des Beliebigkeitsmeers deutlich vorgeführt wird. Matussek hat keine Probleme damit, den Zölibat zu verteidigen, ist gegen Frauen im Priesteramt und erkennt, dass eine demokratische Struktur in der Kirche nicht zweckmäßig ist. Tatsächlich gibt es
Untersuchungen, die zeigen, dass religiöse Gemeinschaften mit strengen Regeln auf Dauer denen mit eher liberalen Geboten überlegen sind. Sind doch auch die Protestanten seit Jahren mit schwindenden Mitgliederzahlen konfrontiert – und die machen doch all das, was die Kritiker fordern. Dabei sind, so Matussek, die meisten Debattenbeiträge zum Thema katholische Kirche eine geradezu beleidigende Unterforderung der Intelligenz. Ähnlich äußert er sich auch für die lauwarmen Frömmigkeitsreden à la "Wort zum Sonntag".

Matussek hat Recht, wenn er sagt, dass 180-Grad-Wendungen nur um dem Zeitgeist und den publizistischen Gegenpäpsten (Küng, Geißler) zu genügen, billiger Populismus wäre. Und sozialpolitisch stünden Katholiken eh schon weit links. Wie heuchlerisch doch Medien (und bestimmte Institutionen) seien, die Papst und Kirche vor allem bei diesen Themen immer als ethische Referenz herbeizitieren, während ihnen ansonsten zumeist jegliche moralische Reputation abgesprochen wird.

Matussek verfechtet sogar eine teilweise Zurücknahme der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils, deren Folgen (unter anderem eine Entmystifizierung) er wortgewaltig geißelt. Er plädiert für eine Hinwendung zu einer neuen Ernsthaftigkeit - zur Not auf Kosten eines weiteren Mitgliederschwunds. Und übernimmt damit den Duktus des 2000 verstorbenen Erzbischofs Johannes Dyba: Zur Not gehe es eben wieder in die Katakomben. 'Weniger ist mehr' - kommt einem da in den Sinn. Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, ob damit nicht auch die gesellschaftliche Legitimation schwinden würde.

Die katholische Kirche, dieser 2000 Jahre alte Kulturspeicher solle sich, so Matussek, nicht zu Gunsten kurzfristigen Beifalls einer irreversiblen Geschichtslosigkeit hingeben. Anpassung an den Zeitgeist gäbe es schon genug. Hier macht er naturgemäß den weichgespülten Protestantismus aus, der trotz jener Maßnahmen, die man von der katholischen Kirche fordere ebenfalls längst in eine Sinnkrise getaumelt sei. Warum soll ein geschiedener protestantischer Priester eine bessere Eheberatung geben können als sein zölibatär lebendes Pendant, fragt er neckisch. Schließlich gibt es auch keinen Verein, der, nur um neue Mitglieder zu gewinnen, seine Prinzipien einfach verwässert.

Die Welt des Gläubigen ist eine andere als die des Ungläubigen

Matussek erklärt wortgewaltig, warum Wulff irrt, wenn er sagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Er verwirft die lutherische Schreckenstheologie, preist den naiven Kinderglaube als ein Reservoir, so groß wie ein unterirdischer See und berichtet über das Mysterium des Weihrauchschwenkens. Er wettert gegen Wellness-Religiosität und Betriebsnudeln der katholischen Kirche. Er moniert, es werde zuviel über den Glauben gesprochen, statt aus dem Glauben. Der Katholik Matussek bekennt durchaus seine Zweifel an der Auferstehungsgeschichte (schließlich ist der Zweifel das Salz des Katholizismus), verfasst ein flammendes Plädoyer für die Wahrheit, ist angewidert von der Spießigkeit einer Habsuchtsgesellschaft und vertritt die Position des
erkenntnistheoretischen Pluralismus (er nennt es nur anders). Er zollt dem Atheisten Camus seinen großen Respekt und findet ein Böll-Zitat, welches den Katholizismus ehrt. Er erkennt degoutante Plünderungen der katholischen Ikonografie und erklärt, warum er den Film "Das Leben des Brian" gut finden kann. Er spricht mit Rüdiger Safranski und besucht Michael Krüger. Er erzählt über Engel und poltert gegen hirnlose Wohlstandsatheisten wie Christopher Hitchens. Er sympathisiert mit der anonymen Ohrenbeichte, die eine Psychoanalyse durchaus ersetzen könne. Und er fragt sich, warum alle Welt Angst vor einer Koranverbrennung hat und niemand eine Bibelverbrennung auch nur mit einer Zeile meldet.

Natürlich ist - um Wittgenstein zu variieren - die Welt des Gläubigen eine andere als die des Ungläubigen. Und so verteidigt er seine Kirche auch, wenn es um die fürchterlichen Missbrauchsverbrechen geht (die er auch Verbrechen nennt). Sein Kronzeuge ist der Kriminologe Christian Pfeiffer, der in einem Artikel in der
Süddeutschen Zeitung im März 2010 von einer Täterquote durch katholische Geistliche von 0,1% sprach. Auch wenn solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, ist es ein Faktum, dass die meisten Verbrechen innerhalb der Familie stattfinden. Worin nun die Attraktivität besteht, kirchliche (und besonders katholische) Würdenträger in den Medien überproportional als Täter herauszustellen – hierzu hätte ich gerne eine These gelesen.

Matusseks trotzige Apologie der Entscheidungsreligion Katholizismus hat seinen Charme. Man liest dieses Pathos als Erholung zum dauerironischen Journalistenkritizismus zunächst ganz gerne. Mit der Zeit entdeckt man allerdings Redundanzen. Schließlich kommt man zum Kapitel mit Reportagen aus dem Ausland - "Gott und die Welt". Hier wird die Lektüre manchmal ermüdend; die Texte wirken leicht verstaubt. Liegt es daran, dass dem Polemiker das Futter fehlt? Man beginnt zu recherchieren - und siehe da: Matussek hat diese Reportagen aus "Spiegel" bzw. "Spiegel Reporter" übernommen. Dabei wurden Formulierungen, die eine zeitliche Einordnung der Texte ermöglichen könnten, zumeist entfernt oder bearbeitet. Einen Hinweis auf das Entstehungsdatum der Reportagen gibt es allerdings auch nicht. Warum eigentlich nicht?

Viele Reportagen haben mit dem Katholizismus wenig bis nichts mehr zu tun, etwa wenn er von den Evangelikalen in den USA schreibt und die sozialen und politischen Gefahren ausmalt. Das tat Matussek schon 1994 - mit der Reportage, die im Buch unter
"Glauben und Sternenbanner" abgedruckt ist. Das Portrait über Al Sharpton ist auch von 1994. Noch älter (von 1992) ist die Reportage über Calvin Butts (aus "42, ein federnder junger Intellektueller mit scharfem Verstand" wurde 2011 ein Intellektueller mit scharfem Verstand. Alles gut und schön. Aber wenn man schon diese Clinton-Zeit wiederaufleben lässt, hätte man zwangsläufig die noch aggressivere Evangelikaliserung unter Bush thematisieren müssen. Das unterbleibt jedoch - vermutlich, weil Matussek damals nicht mehr "Spiegel"-Korrespondent in den USA war.

Vieles wiedererkannt

Die Gespräche mit dem brasilianischen Autor João Ubaldo Ribeiro und dem Pianisten Joãs Carlos Martins sind von 2003. Die
Lubawitscher in Brooklyn besuchte er 1992 (ein dürrer Satz erklärt am Ende, dass der "neue Messias" 1994 verstarb) und über den indigenen Katholizismus Boliviens schrieb er 2001.
Fast schüchtern kommentierte
Alexander Wallasch in der Rezension in der Süddeutschen Zeitung, dass man meine, "vieles wiederzuerkennen aus seiner jahrzehntelangen journalistischen Arbeit". Wenigstens ihm schwant da was.

Einmal fündig geworden, entdeckt man auch viele andere Texte, die Matussek für dieses Buch bearbeitet bzw. aneinandergefügt hat. Klar, der "Spiegel" hat
ein Kapitel vorabgedruckt. Aber auch der schöne Text über die sieben Todsünden, das Wahrheitsplädoyer, das Gespräch mit Martin Walser, die Reportage über "Geld und Glaube" (Merkels Rede zur Wirtschaftskrise war damals "ganz schmal und unwichtig"; 2011 steht dann eher klein und unwichtig; das nennt man dann wohl Lektorat), Matusseks Auseinandersetzung über Thomas Steinfeld und Patrick Bahners über die Islamkritik in Deutschland, die beiden Verteidigungstexte zum Zölibat (Januar 2011 und Februar 2011) und die emphatisch-klugen Bemerkungen zu Benedikts Jesus-Buch finden sich mit Leichtigkeit im Netz. Das heute noch brisante und hochinteressante Portrait über den Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba (hierzu gibt es eine kleine Einleitung) und die Reportage über die Abtreibungsbefürworter sind von 1999. Aber hätte man nicht 2011 noch einmal nach Fulda fahren können? So bedient sich Matussek bei Matussek - der Verlag verkauft es als "neues Buch", was es für vielleicht 50% der Texte auch sein mag (sagt ein Nicht-Spiegel-Leser).

Leider geht Matussek zu selten in die Tiefe. So hätte man gerne gewusst, wie man einerseits das theologische Jesus-Bild Benedikts derart loben kann, während man andererseits – vollkommen zu Recht - vom
Pasolini-Film über das Matthäus-Evangelium von 1964 der einen sozialrevolutionären Jesus zeigt [Teil 1 hier], schwärmen kann. Und obwohl Matussek manchmal nonchalant bis hin zur Oberflächlichkeit die Vorbehalte gegen die Institution Kirche abbürstet - manchmal bekommt man dann doch eine Ahnung, was mit dem "Abenteuer" gemeint sein könnte. Auch wenn man glaubt (sic!), damit nichts mehr zu tun haben. Gregor Keuschnig

 

Matthias Matussek
Das katholische Abenteuer
Eine Provokation. Ein SPIEGEL-Buch
DVA
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
368 Seiten, mit Abbildungen
ISBN: 978-3-421-04514-0
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A]

Leseprobe

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik

Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste