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Herrschaft der Narren
Das
Leben in einer Epoche medialer Blödheit. »Die welt jnn üppikeyt is blynt / vil narren / wenig wyser synt.« (Sebastian Brant: Das Narrenschiff, 116) Die Ökonomie, schrieb Guy Debord in der »Gesellschaft des Spektakels« 1967, verwandle die Welt in eine Welt der Ökonomie; in eine Welt der Pseudoereignisse und Dramatisierungen, in der das Bewusstsein immer zu spät komme. Diese Welt wird inzwischen von glücklichen Narren bewohnt, die ohne Sinn für Geschichte dahinleben. Alte Wahrheiten entdecken sie auf diese Weise immer wieder neu. Sie werden in Tortengrafiken aufbereitet, in tabellarische Halbsätze gezwängt oder als wortlose Statistik präsentiert. Mit Hilfe von Vokabeln wie Story-telling und Rocket Science lässt sich fast zweieinhalb tausend Jahre nach Aristoteles konstatieren, der Mensch sei eigentlich ein soziales Wesen. Die Verabschiedung des Homo oeconomicus, mit Forschungsgeldern in Millionenhöhe belohnt, hat das Leben im Kapitalismus freilich nicht wirklich sozialer gemacht, im Gegenteil. Preisgelder für wirtschaftswissenschaftliche Forschungen werden eingesetzt, um sich von der universitären Lehre freizukaufen und die eigene Besoldungsgruppe hochzuhandeln. Die glücklichen Ökonomen führen so die eigene Theorie (und die der alten Griechen) durch ihr praktisches Handeln ad absurdum. Einige von ihnen gelten als Leuchttürme der Wissenschaft. Freilich erfolgt die Beurteilung vom akademischen Narrenschiff aus; ein Schiff, das, einmal vom Stapel gelaufen, nichts mehr aufhält. Tatsächlich sind wir, ausgestattet mit einem Bewusstsein auf Powerpointniveau, längst unterwegs nach Narragonien und feiern Karneval in allen Lebensbereichen: Nicht nur Goethe für Gestresste, Descartes für Dummies, Voltaire zum Vergnügen — Bildung gedeiht heutzutage grundsätzlich nur unter der «Käseglocke der Blödheit«. Markus Metz und Georg Seeßlen haben aus diesem Grunde ein kluges Buch geschrieben, das die »Fabrikation der Stupidität« in allen Bildungsschichten durchbuchstabiert, und sie zeigen, wie die neuen Blödmaschinen funktionieren — von den Bildungszombies in den universitären Institutionen bis zum »täglichen Börsenporno im Fernsehen«. Nach der Lektüre fühlt man sich nicht mehr ganz so einsam wie zuvor. Das als Trost bereits vorweg. Die Narren des postdemokratischen Zeitalters, so eine der Kernthesen, streben eine Ordnung der Welt an, an deren Bruch sie selbst mitgewirkt haben. Die Mittel dieser Un-Sinnindustrie: Kontrolle, Coaching, Casting und eine »Blubbersprache«, die auf totale Unterhaltung, totale Wissenschaftlichkeit und totalen Markt ausgerichtet ist. Man muss schließlich »forward denken«, wie eine Spar- und Darlehenskasse neuerdings Glauben und damit deutlich macht, wie sehr geistige Tätigkeit und Finanzderivate bereits miteinander verquickt sind.
Manchmal tut einfach nur
Reflexion not. Aber das ist gar nicht so leicht. Denn inzwischen ist Dummheit,
so Metz und Seeßlen, als »Motor der Ökonomie« längst anerkannt: Auch »die
dümmste Sprechblase im Plenarsaal oder vor der Kamera ist ein kluger Schachzug
bei der politischen Karriereplanung.« Und mit Dummheit werde spekuliert, »vor
allem aber mit der fundamentalen Blödheit all jener, die dafür, daß sie nicht
mitspielen, zahlen sollen.« Kritik in solch selbstreferentiellen Systemen scheint sinnlos, denn auf dem Narrenschiff der Datenströme und binären Codes definiert die Orakelmaschine der Ökonomie selbst, was kritisch ist und was nicht. Der Kapitalismus kann, wie Joseph Vogl in »Das Gespenst des Kapitals« schreibt, »Aufruhr und Anarchie als vitalen Ausdruck ihres eigenen Sytstems absorbieren.« Kapitalismus als konsequente Selbstoptimierung: Das System »refomiert sich im Widerstand, inkludiert seine Opposition, integriert die spontane Aktion und perfektioniert sich … als eigentliches Kreativitätsreservat.« Deshalb, so Vogl weiter, sei der Markt selbst das Wirkliche und damit das Vernünftige schlechthin. Die alte Theodizee mit ihren unbeantwortet gebliebenen Fragen nach der Güte Gottes sei einer Oikodizee gewichen, in der die Antwort auf alle Fragen der Preis ist. Alle Übel dieser Welt erscheinen darin als notwendige Bedingung der harmonischen Funktionsweise des Kapitalismus — mithin jenes Universums, »in dem Informationen Preise, Preise Kaufentscheidungen und diese wiederum Informationen, Preise und Entscheidungen generieren.« In einer Welt leidenschaftlicher Kapitalinteressen werden Preise mit Preisen bezahlt: »Die Preise«, so Vogl, »sind also die Waren selbst.« Seitdem der aufstrebende Handelskapitalismus in der Frühen Neuzeit die Strukturen urbaner Gesellschaften veränderte, entstand eine zunehmend kommerzialisierte Gesellschaftsordnung, die mehr und mehr dem Imperativ der Profitmaximierung gehorchte. Demokratische Partizipation sah sich fortan einer Kapitalmacht gegenüber, die eine globalisierte Wirtschaft und neue wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten schuf, so Joyce Appleby in ihrer Geschichte über die »unbarmherzige Revolution«. Deren Folge- und Begleiterscheinungen wie Massenarbeitslosigkeit, Verarmung der Staatshaushalte und andauernde Wirtschaftskrisen, wirkte auf das Selbstverständnis der Demokratien zurück: Denn die Waren, meinen nun Metz und Seeßlen, würden mit noch weniger Verstand verkauft als je zuvor: Der Kapitalismus wird zur Seele einer Demokratie, die von vollkommen verblödeter Dauerunterhaltung nicht mehr zu unterscheiden ist. Jede dort auftretende Krise vernichte zuerst all das, woraus sie klug werden könnte: Intellektuelle und Kritiker. Stattdessen regiere ewiger Karneval, der es am besten verstehe, von der Krankheit des Systems abzulenken und die Menschen blödmaschinentauglich zu machen. Dieses Ablenkungsprinzip führe nun dazu, dass Maschinen nicht Teil der Gesellschaft seien, sondern die Gesellschaft selbst. Ist die Welt einerseits alles, was Unterhaltung werden kann, so sagen andererseits »immer weniger immer weniger durch immer mehr Kanäle zu immer mehreren mit immer mehr Folgen.« Einziges Ziel: Die Spaltung der Gesellschaft und die Herrschaft der Blödmaschinen mit ihrer Mixtur aus einfacher Dummheit und einem kruden Belohnungssystem für die Weigerung, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sich wirklich darstellen. Von der eigenen Unwissenheit in dieser Welt haben wir überhaupt keine Vorstellung mehr (und darin unterscheiden wir uns kolossal von den alten Griechen): »Wir wissen, daß wir es nicht deswegen nicht wissen, weil wir es nicht wissen können, sondern, daß wir es nicht wissen, weil wir es nicht wissen wollen. Und wir wollen es nicht wissen, weil es die anderen, offenbar, auch nicht wissen wollen, bzw. weil sie wissen, daß wir wissen, daß sie es nicht wissen. Oder doch?«
Wie dem auch sein mag:
Geistige Arbeit wird ohnehin überflüssig in einem System struktureller Blödheit,
in der auch die Philosophie zu einem Halb-und-Halb aus mathematischer Formel und
MRT-Hirnbild mutiert ist. Bei diesem Spiel einer »Blödheit ohne Grammatik« werden die Wirtschaftswissenschaften zur billigsten aller Wissenschaften im Kapitalismus (schließlich stören sie das System nicht durch kritische Reflexion). Metz und Seeßlen zeigen, dass sie »eine Lehre innerhalb der Unerklärlichkeit« sowie eine wissenschaftliche Erzeugung von Dummheit sind, weil sie nicht bloß Berechnung, sondern immer auch deren Glauben sind. Ihre Ahnungslosigkeit gegenüber realen Wirtschaftsentwicklungen wird mit noch mehr Forschungsgeldern kompensiert. Wer hält diese Welt noch aus? — Es ist der »glücklich zu Ende verblödete Mensch«, der sich bei IKEA sein Leben zusammenkauft; der ohne Heimatfilm, ohne Quelle-Katalog, ohne Bild-Zeitung nicht existieren will, und der die Medienhysterie und das Schüren von Angst und Unsicherheit in der Politik als Simulation sozialer Ordnungen noch »sehr ernst« nimmt. Der Klügste in unserem Zeitalter der Posthumanität sei, so Metz und Seeßlen wohl mit einem Blick auf Facebook und Co., wer die meisten Dummen um sich herum versammle. Das gilt jedoch nicht ausschließlich für die sozialen Netzwerke, sondern gleichwohl für verschiedenste Medienformate. Volksmusiksendungen, dieser Mischmach aus »Nuttigkeit und regressiver Obszönität« ist das Pendant im TV. Lang lebe auch der Gott der Unterhaltung, die Wiederholung (in Form der Serie, des Remake und des Remix), die erst dazu führt, dass die Dinge wirklich wahr werden: Das Wuchern der Ein-Euro-Läden, der Stumpfsinn der Talentsuchsendungen, das ganze Bologna-Entertainment an den Unis, die durch Studiengebühren zum Bildungsbordell geworden sind, das elende Schauspiel der Demokratie, die Soap, die Modenschau, der Comedy-Quatsch, die Aufwertung der Dingwelt bei gleichzeitiger Abwertung der Menschenwürde, die Kleiderhöllen und die Trostlosigkeit der Industriegebiete, die als Traumschiff getarnten Verblödungsreisen, das »Totarbeiten als Extremsport der Mittelschicht«, das zunehmende Management des Irrsinns, Politik als Karneval, die Discounter-Diktatur, die Strafverfolgungspornografie à la Aktenzeichen XY und schließlich die »Boulevardisierung der Weltkatastrophe« (Fukushima) zeugen davon, so Metz und Seeßlen, dass die Blödmaschinen einwandfrei funktionieren während Kassandra sich zu Tode plappert.
Nicht Authentizität,
sondern deren Darstellung; nicht Wissen, sondern dessen Simulation; nicht
Probleme, sondern deren Dramatisierung sind das Credo dieser vollauf verblödeten
Welt, in der »Freiheit« ein Synonym für die als Lust begriffene Unmündigkeit
wäre; eine Welt, in der sich eine florierende Wirtschaft um die Menschen nicht
mehr schert: »Was kann ich wissen? Wie soll ich leben? Was darf ich hoffen? Die
Antwort lautet: Lidl.« Natürlich muss sich Leistung wieder lohnen, damit der ideale Konsument, der Avatar der Blödmaschinen zu seinem Recht kommt: »Verblödet vor dem Fernseher und verblödet in den Universitäten, verblödet in den Schulen und verblödet an den Arbeitsplätzen, verblödet durch BILD und Religion, Sport und »Freizeit«« schippern wir auf unserem Narrenschiff einem »Boring Age« entgegen, in dem so viel passiert, dass rein gar nichts mehr passiert. Wir hätten bloß gelernt, die richtigen Worte zum richtigen Anzug und zum richtigen Getränk zu benutzen, meinen Metz und Seeßlen; wir hätten bloß gelernt, wie Ratings und Rankings funktionieren und wie wir sie für die Konzerne nutzbar machen können; wir hätten gelernt, wie wir Teile der Welt in ein Experimentierfeld verwandeln und wir hätten gelernt, wie wir immer neue Blödmaschinen erschaffen können. Wir sind die Koalition der willigen Blöden. Setzen wir die Segel auf dem Narrenschiff der Exzellenz: Wer bin ich denn, und wenn ja, wie viel verdien ich damit?
Der Glaube der
Blödmaschinen, mit ihrem Arsenal an Möglichkeiten, ihrem schier unbändigen
Einfluss, ihren Netzwerken und Geldquellen das schlechte Gute vollbringen zu
können, ließ in der Vergangenheit andere Sichtweisen zu Staub zerfallen. Wo das
Große an uns vorbeiläuft, bauen wir das ganz große Kleine: Wir verausgaben uns
in einer Welt des Kaufens und Verkaufens, des Holens und Bringens, des Forderns
und Gebens; eine Welt, in der die Agora politischer Säbelgefechte zum Marktplatz
eigener Möglichkeiten und individueller Lebensgestaltung geworden ist. Was wir
nach dem Vorbild der großen Narren wollen, ist närrische Macht in der
Mikrosphäre des Lebensalltags – manchmal aus einem Ohnmachtsgefühl heraus, weil
das Große – die Politik, die Globalisierung oder die brennende Frage, wer
Germany´s Next Topmodel wird – nicht beeinflussbar scheint. Aus der Ohnmacht
im Antlitz des Weltgeschehens und ihrer Titanenkämpfe entwickeln sich die vielen
privaten Tragödien am Ende der Weltgesellschaftsleiter. Sie handeln von den
allerdümmsten Narren, den Verlierern, Ausgegrenzten und Überflüssigen, die ihre
Größe nur in der Demütigung und Misshandlung von Abhängigen erfahren. Das
vorübergehende Entsetzen auf dem Narrenschiff der Öffentlichkeit ist dabei so
gewiss wie eleos und phobos im antiken Theater. Metz und Seeßlen setzen dementsprechend auf die Hoffnung, das eigene Leben wieder zurück zu gewinnen, indem wir lernen, die Blödmaschinen zu verstehen und ihnen so die Macht nehmen, uns zu beherrschen. In erster Linie heißt das, uns von unserer eigenen Blödheit zu befreien: Raus aus Narragonien! Wir müssen, so die Autoren, die Welt wieder denkbar und veränderbar machen. Denn »alles Erworbne bedroht die Maschine, solange / sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.« (Rilke, X. Sonett). Oder, um Sebastian Brant (294) abschließend noch einmal zu Wort kommen zu lassen:
Wer wis
ist / kumbt zů land mit fůg
Sunder die
wißheyt selb důt prysen
Ob der diß
schiffs sich hat versumbt |
Markus Metz,
Georg Seeßlen
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