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Annäherung
durch Verfremdung
Über Maxi Obexers lesenswerten Flüchtlingsroman
»Wenn gefährliche Hunde lachen«
Von Stefan Möller
Obexer erzählt die Geschichte von Helen, einer 20-Jährigen, die sich von Lagos
aus durch die Sahara nach Tanger durchschlägt, dort auf ein Boot nach Europa
wartet. Nach der Ankunft in Spanien entgeht sie der drohenden Abschiebung durch
erneute Flucht nach Deutschland. Dort angekommen wartet sie auf den Bescheid
über Abschiebung oder Bleiberecht. Den Weg nach Deutschland rekonstruiert die
Autorin anhand der Berichte zahlreicher Flüchtlinge, bei der Recherche stand ihr
die Organisation „Woman in Exile“ zur Seite. Detailliert, fast dokumentarisch
wird der Weg durch die Wüste beschrieben, die Gefahren durch Schlepper, die den
Flüchtlingen alles abnehmen, was sie besitzen. Wer nicht immer wieder zahlt,
wird zurückgelassen, verdurstet und verhungert. Frauen, auch Helen, müssen sich
prostituieren, um zu überleben, im Laufe der Zeit verliert die Protagonistin
jegliches Vertrauen in andere. Das Europa, das die Flüchtlinge erreichen, ist
nicht das erhoffte Europa, statt Freiheit wartet wieder das Gefängnis in Form
von Abschiebelagern auf sie. Helen erreicht das Gelobte Land als gebrochener
Mensch, ihre Zukunft ist ungewiss.
Die Nachrichten von den
Tragödien, die sich Tag für Tag im Mittelmeer und auf dem Atlantik abspielen,
die Bilder der Auffanglager auf Lampedusa oder in Spanien bieten genügend Stoff
für schlechte Bücher, für Betroffenheitskitsch, für einen politisch korrekten,
aber hölzernen Plot. Ein Stoff, der in der Reportage besser aufgehoben scheint
als im Roman.
Nun kam der Roman aber doch auf den Tisch des Rezensenten. Zum Glück, denn „Wenn
gefährliche Hunde lachen“ ist ein gutes Buch.
Der Roman ist eine
Konstruktion aus dem Erlebten – wiedergegeben durch Dialoge und Beschreibungen –
, Rückblenden und Vorstellungen von der Zukunft. Eingestreut sind Helens Briefe
an ihre Familie. Die Briefe stehen im Kontrast zum tatsächlich Erlebten, sie
berichtet darin, wie es hätte sein können und verschweigt oder beschönigt die
Realität. Allein in Briefen an ihre Schwester wird sie offen, benutzt aber den
Deckmantel einer „Freundin“, der das widerfahren ist, was ihr widerfuhr. Jeder
dieser Briefe an die Schwester endet mit einem Sag ihnen, es geht mir gut.
Dieses Wechselspiel
zwischen Realität und Phantasie, zwischen Erzählung und Brief, lässt den Roman
an keiner Stelle ins seichte Wasser eines gut gemeinten, aber eben nicht
gutgemachten Textes abgleiten.
Entscheidender für die Wirkung ist aber ein anderer Aspekt. Eine weiße
Europäerin schreibt einen Roman über das Schicksal einer schwarzen Afrikanerin.
Wie versetzt man sich und den Leser in die Sprach- und Gedankenwelt einer
Nigerianerin, wie versucht man, Authentizität herzustellen? Wie umgeht man die
Gefahr, dabei in die Kolportage, in Stereotypen zu verfallen?
Obexer greift dabei auf ein probates Mittel zurück. Sie versucht gar nicht erst,
Helens Sprache und Gedanken einen Anflug von „Exotik“, von Fremdheit zu
verleihen, ihre Protagonistin „afrikanisch“ – was immer dies auch bedeuten mag –
erscheinen zu lassen. Die Figur der Helen ist durch und durch (mittel-)europäisch.
Ihre Sprache ist die einer Frau, die in Detmold, Wien oder wie die Autorin in
Brixen aufgewachsen sein könnte. Niemals hat man das Gefühl, explizit das
Schicksal einer Afrikanerin zu verfolgen. Durch diesen Kunstgriff rückt Obexer
die Thematik an das „Wir“. Helen ist nicht „Die“, namen- und gesichtslos, deren
Flucht und Sterben man in Europa als Zeitungsmeldung wahrnimmt und schnell
wieder vergisst und für deren Schicksal man sich eben doch nur am Rande
interessiert. Schlimm, sicher, aber irgendwie auch weit weg. Durch die
europäische Sprachperspektive macht es die Autorin dem Leser schwerer, sich auf
Distanz zu halten. Annäherung durch Verfremdung, durch Verzicht auf eine
vermeintliche Authentizität, die sowieso nicht gelingen kann – darin liegt die
Stärke dieses Romans.
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Maxi Obexer
Wenn
gefährliche Hunde lachen
Roman
Transfer Bibliothek CV
Gebunden mit Schutzumschlag
Erschienen bei
folio
168 S., 13,5 x 21 cm
ISBN
978-3-85256-555-2
€ [D/A] 22,90 / € [I] 21,70 / sFr 34,90
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