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Kein
Erbarmen Der Titel "Abendlandnovelle" führt zunächst in die Irre. Tatsächlich handelt es sich bei Friederike Roths Buch nicht um eine Novelle im klassischen Sinne. Es ist ein langes Prosagedicht in drei Teilen; "Anfangen endlich", "Unerhörte Begebenheiten. Wiederholungen nur" und "Am Ende. Kein Anfang." Im zweiten Teil wird also direkt Bezug auf die Definition Goethes genommen. Bei Roth besteht die unerhörte Begebenheit in den schier endlos empfundenen Wiederholungen des Immergleichen im Laufe eines Lebens. Früh erkennt der Leser, dass diese Aufteilung ein Leben eines Menschen strukturieren soll: Jugend und Erwachsenwerden zu Beginn - am Ende das Alter, der herannahende Tod. Dazwischen das, was man salopp wie unvollständig mit "Leben" beschreiben könnte. Zur "Abendlandnovelle" wird dies durch die radikale Spiegelung dieses Lebens in unserer Gesellschaft, dem "Abendland". Da mag Roth noch so poetisierend daherkommen - der Grundton schwankt zwischen nörgelig, resignativ und kalauernd:
Also anfangen ohne wozu
Eingearbeitet in diese zuweilen hypochondrisch anmutende Schwermut sind dann einige heitere Momente. So heißt es nur wenig später:
kein Ende kein Ziel Um dann sofort wieder zu kippen:
Also Der Mensch ist und bleibt eine ekelige Angelegenheit mit ständige[m] Gekeife oder Fußgängerkonversation. Dabei sind
Jugendsehnsüchte,
Kinderbedrängnisse und man spielt nur Theater. Roth entwirft nun keine Gegenwelt hierzu, sondern legt immer neue Holzscheite ins Feuer der Verzweiflung. Dabei verfällt sie zuweilen ebenfalls in das bei anderen ausgemachte Ab- und VerSicherungsgestammel oder auch in plumpe Pseudo-Ironie:
Soll ich Dir einen Witz
schnell erzählen? Unspektakulär, wie die Assoziation "Untergang" in Bezug auf "Abendland" hier willig bedient wird und schließlich als schier unabweisliches Fatum erscheint.
Inzwischen hängt Ein fast sehnsüchtig erwarteter Untergang; ohne jeglichen Schmerz für das Untergehende. Roth ist desillusioniert und deprimiert, findet jedoch - trotz Gedichtform - zu selten die adäquate Sprache, die Nachhall hinterlässt. Sie nimmt Adornos Diktum von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im Falschen scheinbar persönlich, aber ihr Furor wirkt seltsam bigott und zustimmungsheischend. Fast triumphal die (eigentlich banale) Feststellung, dass ohne den abendländischen Menschen kein Abendland unterginge. Roth kennt kein Erbarmen und doch ist das Geschriebene nicht einmal erbarmungslos. Die Autorin verbietet sich jegliches Pathos und flüchtet in einen allegorischen Zynismus, in dem sie eine Bedeutung geradezu provozierende Notboot-Gesellschaft erschafft oder ausmacht, die diesem Abendlanduntergang wie auch immer zu entfliehen sucht, deren Höhepunkt in eine emphatische (oder ist das auch Ironie?) Ode an die Oper (Ich liebe die Oper) mündet. So weit, so ärgerlich, wenn da nicht der dritte Teil wäre, in dem Roth die poetische Dekonstruktion mit sanfter Melancholie und Sehnsucht verbindet und das tapsige Schimpfen weitgehend verbannt:
Einmal vielleicht Man ahnt es natürlich: der Tod und der Gedanke daran nähert sich.
Wie redet man denn mit dem
Tod Es gelingen Roth grandiose Miniaturen über das Leben im Alter:
Die gefürchteten Blicke
der Mütter. Am Ende dann die Furcht vor den
Gedächtnisschlieren Und schließlich:
Nach dem Alter kommt
Die letzten Seiten dieses
Buches versöhnen, obwohl sie das Unversöhnliche zeigen. Das ist wunderbare
Literatur. Endlich. Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Sie können diesen Beitrag hier kommentieren: Begleitschreiben.
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Friederike Roth |
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