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Es war ohne Frage ein hoch ambitioniertes Projekt, die Sozialgeschichte zweier Kriegsgesellschaften, der deutschen und der englischen, unter dem Bombenterror im Vergleich zu zeichnen. Trotz der damit verbundenen Gefahr, Unterschiede der politischen Systeme und Traditionen zu verwischen, ist dem Dozenten für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, Dietmar Süß, mit seiner komparativen Darstellung von verschiedenen Gesellschaften in Extremsituationen ein großer Wurf gelungen. Auf den ersten Blick hatten Demokratie wie auch Diktatur unter dem Bombenkrieg mit den gleichen gravierenden und völlig neuartigen Problemen zu tun. Zwar hatte Großbritannien bereits im Ersten Weltkrieg gewisse Erfahrungen mit deutschen Bombenflugzeugen machen müssen und auf deutscher Seite gab es seit der Machtergreifung Bemühungen, die Bevölkerung mit Luftschutzübungen auf die Gefahr aus der Luft vorzubereiten. Doch die Realität des modernen Bombenkrieges traf beide Zivilgesellschaften mit elementarer Wucht. Der vordem auf die Gefechtsfelder verbannte massenhafte Tod war zum ersten Mal seit den großen Seuchen des Mittelalters in die Städte zurückgekehrt und stellte die lokalen Behörden auf beiden Seiten der Nordsee vor kaum lösbare Probleme. Tausendfacher Tod und die Zerstörung ganzer Stadtteile in nur wenigen Stunden bedrohten in beiden Gesellschaften die öffentliche Ordnung und angeblich vor allem die Kriegsmoral. Deren Bewahrung und Stärkung war hier wie dort ein zentrales Ziel staatlicher Anstrengungen. Ob allerdings die deutsche Gesellschaft durch sechs Jahre Nationalsozialismus im Vergleich zu Großbritannien mental besser auf einen Krieg eingestellt war, wie Süß glaubt, wäre noch zu untersuchen. Überzeugende Belege für seine Behauptung liefert er nicht. Anders als die Soldaten an der Front, die sich zumindest in Grenzen gegen den Feind wehren konnten, waren die Zivilgesellschaften in der bisher sicheren Heimat dem Tod aus der Luft wehrlos ausgesetzt. Defätismus, Apathie, Anarchie und dem Rückgang der Arbeitsleistungen in den kriegswichtigen Betrieben galt es entgegen zu wirken. Süß beschreibt nicht nur die Versuche auf beiden Seiten, die gewaltigen materiellen Schäden zu kompensieren und Kinder vorsorglich aus den bedrohten Zentren zu evakuieren, sondern auch die Bemühungen der Propaganda, den vermeintlich erschütterten Durchhaltewillen der Bevölkerung zu festigen. Bis zu einem gewissen Grad gelang das zunächst in beiden Lagern, in dem hier wie dort die Hoffnung auf eine neue solidarischere Gemeinschaft nach dem Krieg und einem glanzvollen Wiederaufbau der Städte geschürt wurde. Gleichsam aus dem Untergrund sollten sich die Gesellschaften erneuern. Waren es im Inselreich die Tubes, so in Deutschland die Bunker und Keller, die von der Propaganda zur Keimzelle eines neuen Willens stilisiert wurden. Vor allem in Deutschland waren die Behörden in Erinnerung an den Zusammenbruch der Heimatfront 1918 anfangs bestrebt, den Ausgebombten zügig materiellen Ersatz zu verschaffen, wobei sie auch auf das Eigentum der deportierten Juden zurückgriffen. Doch spätestens mit dem Jahr 1943 sprengte die Intensität des Bombenkriegs über den deutschen Städten sämtliche Versuche des nationalsozialistischen Systems, der Bedrohung auch nur ansatzweise Herr zu werden. Repression und Totenkult verloren ihre stabilisierende Wirkung und allmählich verblasste auch die Hoffnung auf den Einsatz der Vergeltungswaffen. Hier enden auch die Möglichkeiten einer vergleichenden Betrachtung, denn der englischen Gesellschaft blieb diese Stufe der Eskalation erspart, sieht man einmal von dem verspäteten Einsatz der V-Waffen ab. Brach nun die deutsche Kriegsgesellschaft unter der Wucht des Bombenkrieges zusammen? Der November 1918 wiederholte sich jedenfalls nicht und alliierte Untersuchungen gleich nach Kriegsende ergaben das Bild einer scheinbar unerschütterten Bevölkerung. Gleichwohl aber waren durch die beispiellose Zerstörung der Infrastruktur, der tausendfache Verlust von engen Angehörigen und der massenhafte Verlust von Wohnung und Eigentum der Kitt der nationalsozialistischen Gesellschaft zumindest in den Städten aufgebraucht. Auf einen nennenswerten Widerstand der Bevölkerung traf der Vormarsch der Anglo-Amerikaner im Frühjahr 1945 jedenfalls nicht mehr. Süß kann in seiner vergleichenden Betrachtung zeigen, dass sich angesichts der neuartigen Bedrohungen des Luftkrieges Demokratie und Diktatur mit den gleichen Problemen konfrontiert sahen. Die Lösungsansätze auf beiden Seiten variierten jedoch. Während die britischen Behörden zur Entschädigung der Bombenopfer auf eine private Versicherung von Hauseigentümern setzten, versuchten die eigens eingerichteten Entschädigungsämter in Nazi-Deutschland einen Ausgleich mit konfisziertem und erbeutetem Gütern und Wohnungen. Das Inselreich hielt auch die zu Kriegsbeginn beschlossene Ausweitung der exekutiven Befugnisse weitgehend ein, während die Repressionen in Nazi-Deutschland ständig verschärft und schließlich sogar für harmlose Plünderungsdelikte extreme Strafen verhängt wurden.
Die Frage der moralischen
Schuld umschifft der Verfasser geschickt mit dem Verweis, dass der Luftkrieg
gegen die Zivilbevölkerung eine auf beiden Seiten erwogene Option war, zu der
unter gewissen Umständen gegriffen werden musste. Für das vom Kontinent
vertriebene Großbritannien waren die Bomberangriffe 1941/42 immerhin die einzige
Möglichkeit, den Krieg überhaupt fortzusetzen. Ob diese Notlage auch noch drei
Jahre später vorherrschte, als die alliierten Bomberströme beinahe ungehindert
die deutschen Städte in ein Inferno stürzten? Süß bleibt darauf die Antwort
leider schuldig. |
Dietmar Süß
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