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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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»Es war einmal« (in Tübingen)

Gert Uedings Erinnerungen an Ernst Bloch

Von Wolfram Schütte

 

Den Titel »Wo noch niemand war«, den Gert Ueding seinen »Erinnerungen an Ernst Bloch« gab, wird wohl nur der auf Anhieb verstehen, dem Blochs »Prinzip Hoffnung« lebendig vertraut & dessen paradoxer Schlusssatz noch erinnerlich ist, »worin noch niemand war: Heimat«.

Die kleine Verkürzung des berühmten Satzes, mit dem der Philosoph sein in der usamerikanischen Emigration entstandenes Hauptwerk auf das Wort »Heimat« zustürzen lässt, dürfte vom Layouter des 224 Seiten starken Bandes bestimmt worden sein: mehr Platz gab es auf dem Umschlag nicht. Vermutlich hat der ehemalige Bloch-Assistent (1968/70) Ueding vergeblich dagegen gekämpft. Dafür enthält das liebenswerte Buch auf seinen Vorsatzblättern Faksimiles der Blochschen Handschrift.

»Wo noch niemand war« ist eine sehr bewegende, diskrete, einlässliche Heraufrufung des 1885 in Ludwigshafen geborenen & 1977 in Tübingen gestorbenen Ernst Bloch. Gert Ueding, der bei dem Tübinger Bloch-Freund Walter Jens promoviert wurde & dessen Nachfolger er auf dem einzigen deutschen Lehrstuhl für Rhetorik wurde, hatte sich, nach einer Assistenz bei dem ältesten Bloch-Freund, dem großen Germanisten Hans Mayer, in Hannover habilitiert & lehrt nach seiner Emeritierung in Tübingen heute noch als Gastprofessor in St. Gallen.

Wer einmal Bloch gehört, ihn sogar als Redner leibhaftig gesehen, mithin »erlebt« hatte, der hätte schon sehr stumpfsinnig sein müssen, um von der einzigartigen Erscheinung & Präsenz dieses mitreißenden Philosophen nicht beeindruckt gewesen zu sein. Ueding wechselte wegen ihm während seines Germanistik-Studiums in Köln in die neben Heidelberg »deutscheste« Universität Tübingen. Hier hatten gleichzeitig (!) studiert: Hegel, Schelling & auch Hölderlin, der als geistig verwirrter Dichter dann Jahrzehnte lang in Tübingen seinem Tod entgegenlebte.

Der aus der DDR 1961 heimlich emigrierte Bloch fand in Tübingen, nicht weit vom »Hölderlinturm« mitten in der Stadt seine letzte Bleibe & als stadt- & weltbekannter Gastprofessor jenen sonoren Resonanzraum, der ihm in Leipzig, wo er von 1949 bis zu seiner Zwangsemeritierung 1957 gelehrt hatte, von Staat & Partei verschlossen worden war. Nun konnte er im Suhrkamp Verlag, dessen Verlagsleiter Siegfried Unseld ihn verehrte, Stück um Stück seines Oeuvres ausbreiten, überarbeiten & (sechzehnbändig) zu Ende bringen – um nach dessen Abschluss buchstäblich, wie nach getaner Arbeit, einundneunzigjährig zu sterben. »Das Werk war alles, Privates hatte ganz zurückzutreten« (Ueding). Solcher rigider Werk-Fetischismus war vielen großen Intellektuellen dieser Generation eigen – wie z.B. T.W.Adorno oder Arno Schmidt.

Der junge Student Ueding hatte das Glück, im Souterrain jenes Mehrfamilienhauses wohnen zu können, in dem der über siebzigjährige Philosoph mit seiner 20 Jahre jüngeren zweiten Frau, Karola, wohnte. Es war der gelehrte Liebhaber von Karl May & der Kolportageliteratur, der eines späten Abends an die Tür des gleichfalls der Trivialliteratur zugeneigten Germanistik-Studenten im Keller klopfte, weil dem leidenschaftlichen Pfeifenraucher der Knaster ausgegangen war. Denn auch diese Passion teilte der Student mit dem Professor – ob als jugendlicher Nachahmungstäter oder aufgrund eigener Drogenentwicklung, erklärt Ueding allerdings nicht.

Aber, dass es (abwertend) »Knaster« (billiger Tabak) war, womit sich der alte Herr seiner Peterson-Pfeife schmauchend über den Tag brachte, konnte der junge Kenner jedenfalls fachmännisch beurteilen. Er führt diese Eigenheit des Professors zu dem Knaster auf die in Blochs »Spuren« beschriebene Jungenserfahrung mit den Pfeife rauchenden Schiffern in Ludwigshafen zurück. Statt einer »poetischen« Treue zur abenteuerlichen Ersterfahrung – wie Ueding meint - vermute ich aber finanzielle Gründe als auch eine erzwungene Gewohnheit aus DDR-Zeiten, wo es keine Möglichkeit gab, auf das »Weltniveau« britischer oder dänischer Pfeifentabake zu kommen.

Diese spätabendlichen Besuche wurden längere entspannte Tabakskollegien für die zwei; sie wiederholten sich, was der Autor – Blochs philosophischen »Spuren« folgend -  sowohl dem anheimelnd dämmrigen Ambiente eines Hoffmannesken Zwischenreichs zuschreibt, das nur spärlich von Uedings Schreibtischlampe erhellt wurde, wie auch dem gesprächsweisen Ausklingen des isoliert-konzentrierten Arbeitstags des oft zehn bis zwölf Stunden an seinen Büchern werkelnden Schriftstellers Ernst Bloch.

Gert Uedings siebenteiliges, jeweils thematisch auskristallisiertes Buch, versteht der Autor, der neben seiner akademischen Lehrtätigkeit sich vor allem auch als Rezensent öffentlich einen Namen gemacht hat, »als Ortsbeschreibung, nicht als Selbstbekenntnis«. Wer wüsste besser als jemand seines Alters, dass seine Erinnerungen an eine Studien- & Studenten-Zeit vor einem halben Jahrhundert tief in den Brunnen der bundesrepublikanischen Vergangenheit hinabführen? »Ich erzähle davon wie von einer Reise in ein fernes Land: als Dokument und zugleich Symbol einer unwiederholbaren geistigen Lebensform«. – wobei er, wenn ich mich nicht täusche, die politischen Erhitzungen dieser Jahre jedoch weitgehend  unbedacht lässt, in denen der Feuerkopf  Blochs, der wie ein alttestamentarischer Prophet grollen & mitreißen konnte, der Außerparlamentarischen Opposition ins Voraus leuchtete. Die Photo-Ikone vom Treffen Ernst Blochs mit der ApO-Größe Rudi Dutschke wurde zu einer signifikanten Momentaufnahme des historischen Augenblicks. Das Bild fehlt unter den vielen beigefügten Fotos des Buchs, die Bloch auch im Kreis seiner Studenten zeigen. (Eifersucht?)

Der fast 60 Jahre jüngere Student hat den höchst lebendigen Gelehrten sowohl als begeisternden öffentlichen Lehrer wie als vertraulichen älteren Freund erlebt; letzteres mit nie nachlassendem Respekt & einer unausgesprochenen Demut, die wohl dem vulkanischen Genie des Gelehrten galt. Ernst Bloch hat in dem jungen Gert Ueding den »gleichgestimmten« Interessens-Klang gesucht & gefunden.

Der heute rückblickende Emeritus betrachtet Bloch – den Mann & sein Werk - vor allem unter rhetorischen Gesichtspunkten, wozu auch die ungemein präzise & vielseitige Gestik gehört, mit der Bloch sein Sprechen faszinierend begleitete, ob im privaten oder universitären Umgang oder gar beim öffentlichen Reden. Als Redner war Ernst Bloch einzigartig; ein tief beeindruckender, aufregend-mitreißender Meister wie kein anderer seiner Generation.

Die Rede ist für Ueding gewissermaßen der Urstoff & »rhetorische Imperativ« der gesamten Blochschen Philosophie. Im körperlichen Sprechen ist die geistige & emotionale Bewegung des tastenden Suchens, testenden Ausprobierens & der wechselnden Dynamiken des Redeflusses deshalb im höchsten Maße adäquat seiner ausschweifenden Philosophie des Noch-Nicht-Seins. Die Blochsche Rede, derem Duktus man in seiner Prosa auf Schritt & Tritt begegnet (vor allem beim Einsatz eines Textes), ist die glanz- & lichtvollste rhetorische Form seiner philosophischen Erzählungen. Ueding hat den Geschichten- & Anekdotenerzähler, der Bloch wie kein zweiter deutscher Philosoph war, aus nächster Nähe betrachten können. Er berichtet, dass Bloch dieselbe Geschichte zu verschiedenen Anlässen oder in unterschiedlichen Situationen & mit wechselnden Zuhörern jeweils ganz anders akzentuierte. Ein Umgang mit dem anekdotischen Erzählstoff, der an einen Pianisten erinnert, der ein gegebenes, »gesetztes« Thema variiert – was bei einem Musikliebhaber wie Bloch nicht verwundern würde.

Wie ein Musiker hatte der Philosoph ein bewundernswert exaktes Gedächtnis. Das fiel dem Assistenten auf, der dem erblindeten Autor z.B. bei dessen Buch »Atheismus im Christentum« hilfreich zur Seite stand. Bei der Verifizierung von Zitaten erinnerte der Philosoph oft genau Buch & Seitenzahl & lokalisierte das zu findende Zitat auch noch auf der Seite. Oder es passierte, dass Ueding, der Bloch gerade eine Passage vorlas, von dem Autor aufgefordert wurde, einen Satz ein paar Seiten zuvor zu suchen, den er vor fünf oder sechs Stunden (manchmal auch vor Tagen!) vorgelesen hatte, weil Bloch durch den späteren Kontext ihn rückwirkend zu verändern wünschte. Denn der Philosoph der offenen Zukunft nahm an seinen Werken nicht nur grammatische & stilistische Korrekturen vor, sondern »richtete das Haus seiner Texte oftmals komplett neu ein«. Ob damit aber Blochs verschwiegene nachträgliche Korrekturen an seinen politischen Aufsätzen der Emigration zu rechtfertigen sind (wie der Schüler dem Lehrer zubilligt), sei dahin gestellt. Immerhin hat Bloch dann selbst noch die Wiedervorlage der Originaltexte nachgeschoben.

So gibt der Erinnernde manchen schönen Hinweis auf das stilistisch Eigenwillige von Ernst Blochs ebenso präzise wie evokativ-sinnlichen Prosa, der er nicht zu Unrecht eine »erotische Qualität« zuspricht: »Blochs Rede war nicht schön im Sinne eines gepflegten, ausgewogenen Stils, neu war das, wie und wovon er sprach. Mit Unterbrechungen mitten im Satz, so dass eine Furche darin aufriß; mit Wortkreuzungen, die unerwartete Gedankenverbindungen stifteten, mit pathetischen Aufgipfelungen, die fast körperlich erregend waren. Es war eine Lust, ihm zuzuhören«.  

Nostalgie wird bei einem Leser aufkommen, der diese »Welt von gestern« & ihre brillanten intellektuellen »Heroen« noch selbst auch erlebt hat; aber mit seiner Tübinger Ortsbeschreibung – ebenso intim wie diskret, ebenso lebendig wie fragmentarisch – möchte Ueding wider eine »verarmte, praktizistisch verkümmerte, gegenwartssüchtige Wahrnehmung und Denkweise« eine erinnernde Sehnsucht nach einem anderen  (intellektuellen, kulturellen) Leben & Empfinden mobilisieren. Denn »man kann auch lernen, das Beste nicht zu vergessen«. Hier ist es enthusiasmierend geschehen!

Artikel online seit 30.05.16

 

Gert Ueding
Wo noch niemand war
Erinnerungen an Ernst Bloch
Verlag Klöpfer&Meyer, Tübingen 2016
214 Seiten
24 Abb., 22 €

Leseprobe

 


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