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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Our house

Plötzlich waren sie sich einig: In der Dezember-Ausgabe des Literarischen Quartetts
wurde mit
Bov Bjergs »Auerhaus« zum ersten Mal ein Roman von allen Debattierenden
einstimmig gelobt – zu Recht.

Von Isabella Caldart

 

Eins macht die Neuauflage des Literarischen Quartetts bisher aus: Über die Bücher der Sendung wird auf einem Niveau diskutiert, das mehr von Entertainmentcharakter als von fundierter Literaturkritik zeugt. Umso erstaunlicher, dass in der dritten Sendung Volker Weidermann, Christine Westermann, Gast Daniel Cohn-Bendit und gar Stinkstiefel Maxim Biller den Roman »Auerhaus« von Bov Bjerg einhellig lobten. Dass dies damit zusammenhängen mag, dass Maxim Biller die von seinen Mitstreitern ausgewählten Bücher prinzipiell verreißt und er selbst »Auerhaus« mitbrachte, wurde in vielen Feuilletons bereits analysiert. »Auerhaus« war nun ein Roman, den die vier Literaturexperten – endlich! – hinsichtlich Inhalt, Sprache und Figuren besprachen. Zum Glück, denn Bov Bjerg ist mit seinem zweiten Roman ein kleines Meisterwerk gelungen.

»Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.« Wie nebenbei fällt dieser Satz am Ende eines Kapitels im ersten Drittel von Bov Bjergs Roman. Die Beiläufigkeit ist nur gespielt, bringt der Satz doch den Inhalt auf den Punkt: Die Aussage stammt von Frieder. Frieder wurde nach einem Suizidversuch von seinem Vater, der den Keller, in dem Frieder lag, rein zufällig auf der Suche nach einer Axt betrat, gefunden und gerettet. »Die Axt hat dir das Leben gerettet«, stellt sein bester Freund Höppner, zugleich Ich-Erzähler, fest. Frieders trockene Antwort: »Eine Axt, die gar nicht da war. Scheißaxt.« Wollte Frieder wirklich sterben? Er scheint es selbst nicht genau zu wissen.

Frieder, Höppner und zwei Mädels aus ihrer Klasse ziehen zusammen in ein Haus, das getreu dem Madness-Lied bald Auerhaus getauft wird. Zu dritt wollen sie Frieder davon abhalten, weitere Gedanken an seinen Selbstmord zu verschwenden. Später gesellen sich noch ein bisexueller Grasdealer und eine Pyromanin und ehemalige Patientin aus Frieders »Klapse« zu ihnen ins Auerhaus. Die sechs ungleichen WG-Bewohner sind gerade erst 18, führen jetzt aber »ein richtiges Leben mit Aufstehen und Frühstückmachen«. Sie wollen dem klassischen Lebensweg im Sinne von Geburt – Schule – Arbeit – Tod, der ihrer Generation vorprogrammiert scheint, entfliehen. Die Freiheit, die die sechs verspüren, ist dennoch trügerisch. Ich-Erzähler Höppner ist sich schon früh bewusst, dass ihre gemeinsamen Tage nummeriert sind. Und so leben die sechs ihr Leben als Drahtseilakt, zwischen Abiturstress und Angst vor der Bundeswehrmusterung, bringen sich gegenseitig das Klauen bei, kiffen, schmeißen die größte Silvesterparty des Dorfes und versuchen währenddessen krampfhaft, sich an ihre Jugend und vor allem an ihre mentale Stabilität zu klammern.

Trotz dieser Themen ist »Auerhaus« kein typischer Coming-of-Age-Roman. Die Sprache ist kontinuierlich in einem trockenen Stil gehalten, zugleich lakonisch und doch philosophisch, humoristisch und resigniert. Gänzlich unverkrampft gelingt es Bov Bjerg mit den präzisen Beobachtungen seiner Figuren und ihren authentisch klingenden Dialogen, sowohl den Nerv jugendlicher als auch erwachsener Leser zu treffen.

Der Crash innerhalb des Romans ist vorprogrammiert, geschieht am Ende aber weniger spektakulär als erwartet. Überhaupt sind alle Ereignisse im Auerhaus wenig spektakulär, was dem Roman trotz seiner depressiven Grundstimmung zu einer Leichtigkeit verhilft, die deutschsprachigen Autoren selten gelingt. Auf seinen nur 236 Seiten gelingt es »Auerhaus«, tiefgründige Themen zu vereinen und zugleich tragisch wie lustig zu sein. »Ich hatte es versucht«, blickt der erwachsene Erzähler auf die Zeit im Auerhaus und die Zukunft seiner Bewohner zurück. »Aber wenn ich ein anderes Ende simulierte, kam bloß eine geheilte Welt dabei raus. In meinem Zukunftssimulator gab es keine Abstürze, keine Verletzten und keine Toten. […] Im richtigen Leben waren die Landungen härter.« Und nie wurden harte Landungen so schön erzählt wie in diesem Roman.

Artikel online seit 05.02.16
 

Bov Bjerg
Auerhaus
Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz,
240 Seiten
Blumenbar
978-3-351-05023-8
18,00 €

Leseprobe

 


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