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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Zwischen allen Stühlen

In »Das Gefühl der Welt« präsentiert Heinz Bude
seine Sicht auf die Macht von Stimmungen

Von Timotheus Schneidegger

 

Auch die Wissenschaften unterliegen Moden. In der Soziologie bewegt sich der Trend fort davon, empirische Daten über eine Gesellschaft zu erheben und zu interpretieren, und hin zu phänomenologischen Spekulationen. Hartmut Rosas jüngstes Buch über die vielfältigen Echos in der Beziehung zwischen Individuum und Umwelt mag als ein Beispiel für diesen Trend dienen. Heinz Budes »Das Gefühl der Welt« ist ein weiteres, das zudem dabei helfen mag, über die Gründe nachzudenken, warum die Soziologie gerade jetzt das karge, doch feste Ufer der Empirie hinter sich lässt.

Denn Budes Thema sind die gesellschaftlichen Großwetterlagen, die Moden und Trends zugrunde liegen und »von denen alle großen politischen Auseinandersetzungen ihren Ausgang nehmen«, wie es im Klappentext heißt. Und wo wir schon bei den Übertreibungen sind, die Verlage gern auf den Umschlag drucken: »Heinz Bude zeigt, wie Stimmungen entstehen, wie sie beeinflusst werden können, wie sie wirken, aber auch wie sie kippen können.« Schon im ersten Absatz des Vorworts erklärt der in Kassel lehrende Soziologe, diese Erwartung zu enttäuschen. Anscheinend hat man bei Hanser gar nicht das Buch gelesen, zu dem man den Umschlag gemacht hat.

Bude versucht vielmehr, den naturgemäß schwammigen Begriff der Stimmung in das soziologische Inventar einzuführen. Er sieht sich ermuntert dadurch, dass Literatur- und Humanwissenschaften mit ihrer seit dem linguistic turn entwickelten Methodik an ihre Grenzen geraten. Den Menschen nur rein rational innerhalb von Subjekt-Objekt-Strukturen zu betrachten, verstellt den Blick auf die irrationale Hälfte des Menschseins und verfehlt somit den ganzen Menschen. Zeit also, die lange verpönten Rationalitätskritiker aus dem Tiefenmagazin zu holen: Bude bezieht seinen Begriff der Stimmung allen voran von Heidegger, demzufolge sie jenseits von Mensch und Welt, Subjekt und Objekt, aus deren Bezug aufeinander, aus dem In-der-Welt-sein selbst aufsteigt und den Bezug des Ichs zur Welt und zu sich selbst färbt. Weil die Stimmung aus einer Situation herrührt und – allen Versprechen von Marketing und Wellness-Industrie zum Trotz – vom Ich nicht regulierbar ist, ist sie eher Gegenstand der Soziologie als der Psychologie.

Budes Gewährsmann ist der jüngst wiederentdeckte Soziologe Gabriel Tarde, der an der Schwelle zum 20. Jahrhundert beschrieb, wie der Einzelne durch das Lesen der Zeitung in der Ahnung, viele andere läsen gerade dasselbe wie er, im Publikum aufging. Mit den Massenmedien entstand das Massenpublikum mit den von Canetti et.al. beschriebenen Dynamiken der Masse, deren Überreizung im Internetzeitalter nur noch weiter zugenommen hat. Die eigene Meinung gehört einem zwar, entsteht aber – wie Wahlforscher entdeckten und John Locke ahnte – im Abgleich mit dem, was man für die der anderen hält, unter denen keiner alleine dastehen mag. So ergeben sich kollektive Stimmungsumschwünge ohne Regie oder Auslöser. Wenn statt der Beatles auf einmal die Bee Gees angesagt sind, hat das, wie Bude beim politischen Ökonomen Albert Hirschman liest, mit enttäuschten Konsumerwartungen zu tun: »Mit einem Mal verliert die Freude an der Stabilität ihren Charme, gewinnt die Bereitschaft zum Aufbruch ihren Reiz.«

Stimmungen entstehen und verändern sich mit den Generationen, die einander in Beruf und Familie begegnen, sich aneinander orientieren und zueinander abgrenzen. Ähnliche epochale Stimmungswechsel ereignen sich zwischen den Geschlechtern auf der Ebene von Sexualmoral und Moden der Erotik, und wenn Etablierte und Außenseiter, Alteingesessene und Zuwanderer ihren Platz in der Gesellschaft ausmachen. Bei den vermeintlichen und tatsächlichen Verlierern dieser sublimen Aushandlungsprozesse entstehen »Gefühle von Scham, Neid, Rache und Angst, die in die Stimmung des Augenblicks eingehen.«

Nicht zum Vorteil seines Essays reproduziert Bude einmal mehr das Gerede von den Generationen X und Y, die ein Marketing-Gag ihrer Erfinder sind. Er spricht mal von den 1954ern, 1968ern und 1984ern, mal von den zwischen 1970 und 1990 Geborenen und schreibt diesen willkürlichen Kohorten mit der Treffsicherheit eines Astrologen eine Stimmungsprägung durch jeweils aktuelle Lagen in der Politik, auf dem Arbeits- und Teilhabemarkt zu.

In seinem letzten Buch, »Gesellschaft der Angst« entwarf Bude noch individuelle Typen wie den Self-Made-Unternehmer, die alleinerziehende Akademikerin und die prekarisierte Putzfrau zur Illustration seiner Sozialdiagnose. In ihrer Überforderung und ihren Ängsten konnte der Leser sich selbst und einige seiner Bekannten wiederfinden und blieb doch mit dem schalen Gefühl zurück, dass es der Soziologie um mehr als sozialphänomenologische Orakelei gehen sollte. In »Das Gefühl der Welt« macht Bude die gegenwärtige, angespannte Grundstimmung an zwei Typen fest, die er auf gleiche Weise zusammenspekuliert hat: Einerseits sind da die halt- und heimatlosen Antikapitalisten, denen die neoliberale Unordnung der Dinge nicht passt, die aber nicht wissen, was sie dagegen machen können. Ihnen stehen die entspannten Systemfatalisten gegenüber, die sich mit Ironie und Zynismus in der postmodernen Gegenwart auf Bewährung eingerichtet haben. Beide Typen unterliegen der universellen »Stimmung der Selbstmotivierung, Selbstüberprüfung und Selbstverwirklichung«. Sie lässt nur die Beschleunigung bis zur Auflösung im Digital-Geistigen oder den kontemplativen Rückzug ins indifferente Ego zu.

Da Bude aber nicht mit einem finstren Ausblick schließen will, den er sich auch anders hätte ausdenken können, fügt er einen rätselhaften Epilog über »die Zukünftigen« an, von denen auch Heidegger zu raunen pflegte: Sie sehen »erschreckt, verhalten und scheu einen anderen Anfang«, sind »auf eine grundsätzliche Weise konservativ« und zugleich »progressiv aus Einsicht und nicht aus Verlangen«...

Bude versucht sich an Philosophie, Soziologie und Utopie zugleich und landet zwischen allen Stühlen: Seine philosophische Arbeit am Begriff kommt über ein Desideratum nicht hinaus. Seine soziologischen Analysen sind Illustrationen von Erhebungen anderer Wissenschaftler. Sein utopischer Ausblick kommt ohne Pathos, aber auch ohne Dringlichkeit daher.

So ist »Das Gefühl der Welt« ein langer Feuilleton-Essay, der den Leser oft zustimmend nicken lässt und sich auf diese Weise sein Wohlwollen erschleicht, ihn aber nicht klüger macht. Das muss weder Buch noch Autor zum Schaden gereichen: In der aktuellen Stimmungslage ist das schnelldrehende Ungefähre, mit dem jeder irgendwas anfangen kann, ziemlich angesagt.

Artikel online seit 13.07.16
 

Heinz Bude
Das Gefühl der Welt
Über die Macht von Stimmungen
Hanser 2016.
144 Seiten
ISBN 978-3-446-25065-9
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-25356-8

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