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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Die stille Unendlichkeit des Raums

In seinem neuen Buch
»Lebensstufen«
erzählt Julian Barnes Geschichten vom Fliegen,
der Liebe zur Freiheit und berichtet vom Tod seiner Frau

Von Georg Patzer



 

»Man bringt zwei Dinge zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden, und die Welt hat sich verändert. Vielleicht merken die Menschen es nicht gleich, aber das ist egal. Die Welt hat sich trotzdem verändert.« Zum Beispiel die Ballonfahrt und die Fotografie. Ballonfahren stand für Freiheit, nie wusste man, wohin der Wind einen treibt, wo man landen würde, wo man stranden oder zu Bruch gehen würde. Wie Félix Tournachon, der nach einem siebzehn Stunden währenden Sturm in der Nähe von Hannover zu Boden krachte – gestartet war er in Paris, das war 1863. Und kurz darauf brachte der berühmte Fotograf seine Ausrüstung mit in die Höhe und machte die ersten Luftaufnahmen der Welt, da hieß er schon Nadar.

Die berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt flog 1887 von Paris nach Émerainville im Departement Seine-et-Marne und schrieb, dort herrsche nicht »Stille, sondern der Schatten der Stille«. Und Tournachon freute sich über die »stille Unendlichkeit des Raums, wo der Mensch für keine menschliche Gewalt und keine Macht des Bösen zu erreichen ist und wo er sich gleichsam zum ersten Mal lebendig fühlt.« Erhebend ist dieses Gefühl für alle gewesen. Auch für Captain Fred Burnaby, der sich 1882 in die Lüfte erhebt, von Dover nach Dieppe fliegt.

Julian Barnes hat ein neues Buch geschrieben, das mit diesem erhebenden Gefühl beginnt. Aber was kommt nach dem luftigen, freien Aufstieg? Manchmal ein schrecklicher Absturz. »Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden; und manchmal hat die Welt sich verändert, manchmal auch nicht. Sie können abstürzen und verbrennen oder verbrennen und abstürzen. Aber manchmal entsteht etwas Neues, und dann hat die Welt sich verändert.« So wie Burnaby und Sarah Bernhardt, die sich kennenlernen, und er sich in die Riege ihrer vielen Liebhaber einreiht. Glücklich ist. Bis er sie heiraten will und sie sich einen neuen Liebhaber nimmt: Sie will frei sein.

Auch Barnes hat so einen Absturz erlebt und überlebt: 2008 ist seine Frau gestorben, vier Jahre später denkt er über diesen Verlust nach, über Erinnerungen, Träume, die Zeit. Über die Unmöglichkeit, »darüber hinweg zu kommen«, über den seltsamen Begriff »Trauerarbeit« und der immerwährenden Beschwörung der Toten. Über Freunde, die auch hilflos sind, über das Ausräumen und Wegwerfen von Sachen, über die Brücke, von der er wünscht, sie würde einmal wieder nur noch eine normale Brücke sein, weil sie ihn an seine Frau erinnert. Immer wieder verbindet er sein privates, essayistisches Nachdenken mit Geschichten vom Ballonfahren, dem Gefühl des Abgehobenseins und des Abstürzens und mit der Liebesgeschichte von Sarah Bernhard und Captain Burnaby.

Es ist ein berührendes, schmales Buch mit seinen drei kurzen Teilen, die inhaltlich manchmal ineinander übergehen, mit einer langen Kurve von sich fast organisch entwickelnden Metaphern. Barnes gelingt es in einem leichten, manchmal sogar ironischen Ton, über die Schwere des Lebens zu schreiben und dabei historische Fakten mit Gefühl, Sachlichkeit mit Sentiment und Essay mit Erzählung zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen.

Artikel online seit 28.02.15
 

Julian Barnes
Lebensstufen
Übersetzt von Gertraude Krueger
Kiepenheuer & Witsch
142 Seiten
16,99 Euro

Leseprobe

 


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