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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Parodie & Idylle

Nicholson Bakers humoristischer Roman »Das Regenmobil«

Von Wolfram Schütte

 

Der 1967 in Rochester (Bundestaat New York) geborene nordamerikanische Schriftsteller Nicholson Baker ist ein ebenso produktiver wie skurriler Autor. Sein höchst umfangreiches Oeuvre von Romanen & Essays reicht von drei ernsthaften pornographischen Ausschweifungen (zuletzt: »Haus der Löcher«) & philosophisch-humoristischen  Meditationsromanen über alltägliches Leben (jüngst: »Eine Schachtel Streichhölzer«) bis zu Sachbüchern über den II. Weltkrieg im Lichte einer radikal pazifistischen Weltsicht (»Menschenrauch«) oder zu seiner Polemik wider das Verschwinden oder Annihilieren des gedruckten Wortes durch dessen radikale digitale Ersetzung in öffentlichen Bibliotheken der USA (»Der Eckenknick«). Kürzlich erschien von ihm auf Deutsch – sprich: von dem großen Eike Schönfeld besorgt - eine kunterbunte Sammlung von kürzeren Essays, die Baker über alles nur denkbar Mögliche & ihn Tangierende in US-Zeitschriften ebenso unterhaltsam wie kenntnisreich publiziert hatte (»So geht's«).

Ohne jeden Zweifel gibt es in der literarischen Weltliteratur augenblicklich keinen seltsameren, nicht nur bloß eigensinnigeren Autor. Ein Chamäleon ist im Vergleich zu diesem schillernden literarischen Proteus gewissermaßen einfarbig grau. Seit 1984, dem Todesjahr des einzigartigen »Autonauten« Julio Cortázar, hat weltweit nur der Quäker Nicholson Baker ein literarisch-intellektuelles Talent offenbart, das mit dem des in Belgien geborenen experimentierfreudigen Argentiniers, der als französischer Staatsbürger gestorben ist, im Blick auf die Spannweite seiner literarischen Kreativität vergleichbar wäre.

Jetzt also bietet uns Baker mit »Das Regenmobil« den humoristischen Roman eines seltsamen Kauzes namens Paul Chowder. Er wird gerade 55 Jahre alt, lebt allein & als seine Exfreundin Rosslyn anruft & ihn fragt, was er sich zu seinem Geburtstag wünsche, erklärt er ihr: »ein Eiersalatsandwich«, das sie besonders gut & eigen machen kann. Dabei hätte er sich lieber eine Gitarre gewünscht (die er sich dann bald selbst kauft), aber am liebsten »hätte ich dich wieder« zu Rosslyn gesagt - ein Wunsch, der am Ende des nahezu dreihundertseitigen Romans in Erfüllung geht.

Die Trinität seiner Wünsche, von denen wir auf der ersten Seite des Buchs erfahren, weil der Selberlebensbeschreiber ja Paul Chowder ist, lässt sogleich die humoristische Art des Romans ahnen: die unfreiwillige Komik eines liebenswerten Eigenbrötlers. Die Gitarre kauft er sich –wobei wir erfahren, wo er sie erwirbt & was sie kostet -, weil er von der Lyrik zu den »lyrics« zu wechseln im Begriff ist. Zwar hat er von seiner Anthologie »Reim allein« bescheiden leben können, weil das Buch zu einem Bestseller geworden war, seit es durch ein Mißverständnis auf die Leseliste sämtlicher usamerikanischen Colleges geraten war.

Aber sein Gedichtband mit dem wenig attraktiven Titel »Kummermütze« kommt nicht recht voran, nachdem ihm sein Verleger vergeblich den Titel auszureden versucht. Und was Paul als Probe zitiert, ist so wenig attraktiv wie seine angestrengten Songtexte für eine Pop-Musik, die er aus vorgefertigten elektronischen Musikstücken zusammenmontiert, bzw. zusammenbastelt.

Soweit ich diesen Bereich mit seinen vielfachen Verweisen auf  US-Pop-Musik & -Musiker verstanden habe, taucht Baker seinen literarischen Antihelden in das milde Licht seines eher lächelnden als lächerlich machenden Humors, so dass die Parodie des Dilettanten-als- Künstler nur als zarte Andeutung erkennbar wird. 

Wie Jean Paul einst mit »Leben Fibels« sowohl die zeitgenössischen Kant-Biographien parodierte als auch eine ländliche Idylle bescheidenen Glücks imaginierte, so belustigt sich heute Nicholson Baker an der autobiographischen Prosa eines harmlosen, schrulligen literarisch-musikalischen Kleingeists im ländlichen Maine, der gelegentlich nach den Hühner seiner Nachbarin schaut, von seinem bewunderten »Regenmobil« den Garten bewässern lässt, sich erfolglos um Protestsongtexte bemüht, weil er z.B. einen Reim auf »Guantanamo« nicht findet & statt bei politischen Lyrics doch immer nur bei dürftigen Liebestexten landet.

Während Paul mit seinem Schöpfer auch dessen ausgepichte musikalischen Detailkenntnisse ebenso teilt (manchmal ermüdend) wie die abschweifend-penible Erzählweise Nicholson Bakers, die seine Romane (wie auch diesen) immer auch zu einem Gang durch die »Wunderkammer« von Alltagsdingen werden lassen & vom Hundertsten zum Tausendsten mühelos schweifend & gleitend verführen, wächst uns dieser wunderliche Pedant mit seiner verschämten Liebe zu Rosslyn langsam ans Herz.

Verständlich, dass sie den Sonderling einmal zugunsten eines attraktiven Arztes verlassen hatte; ebenso verständlich aber, dass sie ihn wieder (er)wählt, als sie sich einer Unterleibsoperation unterziehen muss & der temporär Verschmähte sofort für sie sorgend zur Stelle ist. Paul darf, bevor sie »unters Messer kommt«, sogar die Gebärmutterverwachsungen auf ihrem Leib ertasten & er wird ihr dann auch die letzte Klammer von der Wunde nehmen, die ihre Frauenärztin zu extrahieren vergessen hatte.

Schließlich aber spielt  er ihr eine CD vor, auf der er eine lange lyrische Liebeserklärung selbst gedichtet, gesungen & vertont hatte (»Zwei indische Bansuri-Flöten erklangen, sie spielten in parallelen Terzen und bei hundert Beats per Minute, dazu ein springendes High-Hat und ein paar Akkorde auf dem Mark-II-Keyboard«). Ein ebenso rührendes wie komisches Happyend für einen skurrilen Roman, wie man ihn sich launiger nicht wünschen kann. (Wenn man, wie ich, daran Gefallen findet.)

Artikel online seit 16.05.16

 

Nicholson Baker
Das Regenmobil
Roman
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
Rowohlt Verlag
298 Seiten
19.95€

Leseprobe

 


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