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Literatur und Zeitkritik


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Spurensuche am Rand der Realität

Ein ehemaliger FBI-Agent, ein obsessiver Sammler und ein
verschollener Stummfilm sind die Hauptzutaten für einen
Thriller mit Road-Trip-Elementen aus der Feder des Mexikaners Augusto Cruz.

Von Isabella Caldart

 

Für die einen ist er ein romantischer Nostalgiker, für die anderen ein obsessiver Spinner – der alternde Science-Fiction-Fan und Sammler von Filmdevotionalien Forrest J. Ackerman hat einen letzten Wunsch: Er möchte den Stummfilm »Um Mitternacht« von 1927 noch ein zweites Mal sehen. Dem Greis läuft die Zeit davon, er leidet an Alzheimer und befürchtet, sich schon bald nicht mehr an den Film erinnern zu können. Die Erfüllung seines Wunsches gestaltet sich allerdings schwierig. 1967 brannte ein Archiv der MGM Studios aus, wobei die mutmaßlich letzte Kopie des Films zerstört wurde. Doch Ackerman gibt die Hoffnung nicht auf und engagiert den pensionierten FBI-Agenten Scott McKenzie, um den Film ausfindig zu machen: Der Plot des Debütromans von Augusto Cruz, »Um Mitternacht«, ist schnell erzählt.

Also macht sich McKenzie auf die Suche, landet immer wieder in Sackgassen und gibt dennoch nicht auf. Er ist berühmt dafür, alle ihm zugetragenen Fälle aufzuklären. Jahrelang war er der persönliche Berater und die rechte Hand des legendären Direktors des FBI, Edgar J. Hoover. McKenzie stellt schnell fest: Jeder, der nach dem Film suchte, fand auf mysteriöse Art und Weise den Tod. Er, der nach dem spurlosen Verschwinden von Frau und Kind (ein Fall, der innerhalb des Romans nicht aufgelöst wird) nichts mehr zu verlieren hat, erweist sich als der perfekte Mann für die Suche nach dem legendären Stummfilm. Eine Reise durch die USA und schließlich auch Mexiko beginnt.

»Um Mitternacht« ist ein spannender Thriller, ein Road Trip, der atmosphärischen Filmsequenzen gleich beschrieben wird – »True Detective« lässt grüßen. Scott McKenzie trifft unterwegs auf unterschiedliche Charaktere, die eigene Interessen verfolgen. Welchen Wert haben Erinnerungen? Gibt es eine weitere Kopie von »Um Mitternacht«? Wer versucht vehement, McKenzie an der Suche zu hindern? Die Antwort bleibt bis zum Finale offen.

Augusto Cruz verleiht seinem Protagonist eine undurchsichtige, faszinierende Vergangenheit. Wer ermordete einst McKenzies Vater? Und wohin verschwanden Frau und Kind? Diese Handlungsstränge werden nur nebenbei erwähnt, wobei dem Vater längere Passagen gewidmet sind, und im Laufe des Romans fallengelassen. Das ist bedauerlich, da aus ihnen interessante Sub-Plots hätten entstehen können. Stattdessen wird in zahlreichen Rückblicken McKenzies Einstieg ins FBI und das Leben Edgar Hoovers detailliert behandelt, was stark zur Entschleunigung des Romans beiträgt.

Auch wenn der Autor August Cruz García Mora Mexikaner ist, widmet er sich mit dem amerikanischen Stummfilm und der Geschichte des FBI sehr US-amerikanischen Themen. Mexiko und sein Drogenkrieg werden nur beiläufig erwähnt. Nachdem Scott McKenzie bereits mehrere Hürden nehmen musste, landet er im letzten Drittel des Romans in Mexiko. Das hohe Tempo des Romans fällt hier leider rapide ab. Zu fantastisch, um nicht zu sagen abgedreht, und ausschweifend sind die Landschaftsbeschreibungen und auch die Narcos wirken mehr wie Statisten eines surrealen Films als wie echte Verbrecher. Noch erschöpfend ausführlicher und langatmiger wird der Roman bei den Schilderungen des Skulpturengartens Las Pozas, die der exzentrische Kunstsammler Edward James, der genau wie Ackerman auf einer realen Person basiert, im Dschungel des mexikanischen Bundeslands San Luis Potosí anlegen ließ. Über viele Seiten hinweg verläuft sich McKenzie in Las Pozas, ohne dass dadurch die Handlung vorangetrieben würde.

»Um Mitternacht« ist exzellent recherchierte Unterhaltungsliteratur auf recht hohem Niveau, bei der vor allem (Stumm-)Filmfans dank zahlreicher Anekdoten auf ihre Kosten kommen. Die Ereignisse sind dicht getaktet, die Sprache ist solide. Leider gelingt es Augusto Cruz nicht, die zahlreichen Ebenen, die er anschneidet, zufriedenstellend aus- und zusammenzuführen. Stattdessen verzettelt er sich selbst in Nebenhandlungen (ja, auch Harvey Lee Oswald hat einen Auftritt), die von der eigentlichen Storyline ablenken. Trotzdem ist sein Debüt on the road fulminant genug, um den Leser mitzureißen. Allein beim Finale hätte der Schriftsteller weniger dick auftragen können.

Artikel online seit 26.01.16
 

Augusto Cruz
Um Mitternacht
Roman
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
Suhrkamp Verlag
392 Seiten
22,95
978-3-518-42477-3

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