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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Der Staub des Vergessens

Plump und doch poetisch, emotional karg, dennoch von stechender Tiefe,
und dabei ebenso unzugänglich wie nachhallend. Der jüngste Roman
des Chilenen Rodrigo Díaz Cortez »Der mieseste aller Krieger« ist ein wichtiges Werk.

Von Mirjam Schmitt

 

»Der mieseste aller Krieger« ist die Stimme eines Toten. Sie erzählt von der Legende in einem kleinen Dorf in der chilenischen Atacamawüste, einem nie gelösten Mord, dessen Relikt – ein alter Revolver – dem jungen Schriftsteller Benito Inspirationsquelle sein soll. Der Tote, dessen Stimme beharrlich, pausenlos und sprunghaft auf Benito einredet, ist einer von vielen, deren kopflose Leichen während der Diktatur Pinochets einst ins Meer geworfen oder im Wüstensand verscharrt wurden. Um die beiden Opfer des Mordes, ein in Hassliebe vereintes Paar, ranken sich die entsetzlich wahren Erzählungen von Repression, Vergewaltigung und Hinrichtung während Chiles dunkelstem Kapitel.

»Der Geist neigt dazu, das Grauen auszulöschen.« Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Cortez sich in seinen Beschreibungen selten auf das Emotionale einlässt. Die Gefühle der Figuren, muss sich der Leser selbst erfinden. In ebenso derber wie feinsinniger Sprache beschreibt Samu, der hüllenlose Erzähler, das körperliche Erleben und Erleiden in der sengenden Hitze der Atacamawüste. Emotion findet sich vor allem in ihren physischen und mentalen Folgeerscheinungen – im Wahnsinn, im Schrei. Wut und Zorn bleiben seltsam lange aus. Zur Rache auf einen grausamen Schicksalsschlag selbst nicht mutig genug, ist Samus Reaktion auf den schmerzlichen Verlust seiner Geliebten die Eröffnung eines Freudenhauses. Den einsamen Herzen und ausgehungerten Gestalten, die zwischen Salpeter und Trockenheit wandeln, ist die »Arche Noah« die einzige Oase.
Grenzenlose Wut verkörpert sich erst in der rebellischen Tita, der adoptierten Tochter Samus und – nicht nur emotionalen – Schlüsselfigur des Romans. Auch für Benito wird sie zum Dreh- und Angelpunkt werden. Samus Geschichte, die mehr als alles andere Benitos Geschichte ist, gipfelt »an einem Ort, an dem kein Platz für Zärtlichkeitsbekundungen« ist: in den Folterkammern des Regimes. Doch gerade dort, am grausamsten Ort, gewinnt die Stimme Samus einen zärtlichen Tenor, eine Feinsinnigkeit für Menschlichkeit, wo es keine gibt. Erst dann – fast am Ende des Romans – vermag Cortez seinen Leser bis auf die Knochen zu berühren. Und das mit schleichender Wucht und unbarmherzigen Nachhall. Mit seinem Generationenroman im staubigen Chile gibt Cortez den weiten Blick auf die Gräueltaten der Junta frei. Den Blick auf die Ungewissheit vieler Chilenen über das Schicksal ihrer Familienangehörigen und auf die schmerzliche Identitätsfrage, mit der sich die Generation aus den 70er Jahren noch heute konfrontiert sieht.

Mit dem ebenfalls 2011 erschienenen »El Pequeño Comandante« hat der aus Santiago de Chile stammende Rodrigo Díaz Cortez seiner Faszination für die Atacamaregion und deren Historie bereits Ausdruck verliehen. »Der mieseste aller Krieger« ist sein erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde. Mit einem Hauch des magischen Realismus Lateinamerikas zeichnet Cortez eine Geschichte, die so unzugänglich, eigenwillig und erstaunlich ist wie die Atacamawüste selbst. Wer schon mal dort war, wird zustimmend nicken: Lebensfeindlich, karg, trotzend, kurios, voller Faszinosa, in ihrer skurrilen Schönheit unvergesslich. Mit diesen Worten und der ihnen innewohnenden Widersprüchlichkeit lässt sich auch Cortez‘ Roman beschreiben. Ein wichtiges, wenn auch schwieriges Werk, das einen literarisch großen Beitrag leistet, den Staub des Vergessens aufzuwirbeln.

Artikel online seit 03.08.15
 

Rodrigo Díaz Cortez
Der mieseste aller Krieger
Roman
Übersetzt von Petra Strien-Bourmer
Gebunden mit Schutzumschlag
288 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03535-8
19,99 €

Leseprobe

 


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