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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Abschiedsminiaturen

In Liebesbriefen, Selbstgesprächen, Eifersuchtsdramen,
Schwanengesängen, Gesellschaftssatiren und Augenblicken
des Glücks schreibt Günter Grass »Vonne Endlichkait«

Von Gregor Keuschnig

Es sind 96 Texte: Gedichte, Kürzestgeschichten, Miniaturen, Notate, Erzählungen. Dazu 65 Zeichnungen, in weich schattierende[m] Blei. "Vonne Endlichkait" lautet der Titel. Am Ende erfährt man, dass das nicht etwa ein Idiom aus dem Ruhrgebiet ist, sondern aus der Sprache der Heimatvertriebenen stammt, die Grass, wie er schreibt, von jung an gewärmt hatte. Und es ist sein letztes Gedicht in dem letzten Buch, an dem er mitgewirkt hat. Ein Vermächtnis? Eine Sammlung der letzten Einsichten? Gibt es Versöhnungsangebote? Ein literarisches "I did it my way"?

Ja und Nein. Grass ist auch hier trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden (rasselnder Bronchien, beginnende Taubheit, vorübergehend verlorener Geschmackssinn) der auftrumpfende, belehrende, rechthaberische und wortvernarrte Grass, wie man ihn kennt. Und ja, "regrets" gibt es: Diesen oder jenen Brief hätte ich nicht schreiben sollen. Aber sonst - "too few to mention".

Nicht im Widerspruch dazu die Rückblenden und das, was er an tote Freunde lange Briefe schreiben nennt. Einer geht an Wolfdietrich Schnurre und Grass erzählt eine Geschichte, die ihm der Freund vor Jahrzehnten erzählt hatte. Ein weiterer Adressat ist das sich vergeudende Genie Franz Witte, vielleicht ein wiedergeborener El Greco (so Grass). Andere Briefe tarnen sich als Lektüreeindrücke und –bekenntnisse: Jean Paul und Rabelais. Die schönsten Gedichte der Freunde würden inzwischen in Anthologien entsorgt, so Grass bedauernd. Sanft die Kritik am lebenden Hans Magnus, der mal diesem, mal jenem Wind hörig war (oder ist?) aber so schöne Gedichte über den Wolken geschrieben habe.

Auch jetzt keilt er zuweilen noch härter aus, widmet Mutti ein eigenes Gedicht (samt Zeichnung eines Gürtels als Sinnbild für's Engerschnallen; immer wenn Grass plakativ wird, ist er schlecht), schimpft auf die Deutschen, die sich gefügig... ergeben haben (als hätte sich Merkel an die Spitze geputscht), wettert gegen den Drohnenkrieg, erblickt im Internet das Verderben der Welt und grämt sich, dass ein Appell, den er verfasst hat, nicht in einer Zeitung abgedruckt wird. Zorn nur noch gelegentlich, wobei die Richtung klar ist: Nur noch Nein, Neinnein und Nein.

Aber das ist nur ein Teil dieses Buches. Oft zeigt sich Grass selbstironisch bis ins Clowneske hinein. Etwa wenn er seinen letzten übriggebliebenen echten Zahn feiert und sich als zahnloser Narr in einem Selbstportrait als Oger Gruselbild für seine Enkel zeichnet. Wunderbar leicht der Text über seine so geliebte Innereien-Küche, die er selbst bei engsten Freunden nie gewürdigt sah. Aber auch allerlei Ängste als Unkraut wie zum Beispiel dieser Traum, in dem seine Frau durchbrennt (Deine und Meine) und direkt danach ein für Grass' Verhältnisse nahezu zärtliches Eifersuchtsgedicht (Wenn sich die Sucht mit dem Eifer paart). 

Die umfangreichste Erzählung im Band beschäftigt sich in heiter-morbider Laune mit den Vorbereitungen für den Todesfall: Worin und wie wir liegen werden. Der wackere Tischler Adomait wird beauftragt nach präzisen Angaben die Särge für ihn und seine Frau zu bauen. Die Frage nach Beschaffenheit und Anzahl der Tragegriffe ist von großem Interesse – es müssen acht sein, für jedes Kind eine. Wichtig sind auch die Dübel. Als Polsterung verfügt Grass Laub je nach Saison (vulgo Jahreszeiten). Die Grabstätte wird ausgekundschaftet und bestimmt, dass Gewürzkräuter als Grabbepflanzung dienen. Nachdem der Tischler geliefert hat, legt sich Grass zur Probe hinein. Zufrieden werden die beiden Gebilde an ihren Platz im Haus gebracht. Die beiden Särge bilden dann noch einen kleinen running gag im Buch. Etwas später werden ausgerechnet sie (zusammen mit Dahlienknollen) gestohlen. Und wieder eine Zeit vergeht, bis sie dann plötzlich wieder da sind. 

Dieser burschikose Ton verdeckt nicht: Überall drohen Verluste; Freunde sterben, die Finger machen nicht mehr mit. Auch die Potenz, dieser Wichtigtuer, hat schlappgemacht. Mehrfach kommt Grass hierauf zurück. So in einem amüsant-melancholischen Abschiedsgedicht, in dem Grass jedes Körperteil der (reifen) Frau einzeln besingt: die Brüste beispielsweise, die inzwischen nur noch halbvoll bis halbleer erscheinen, aber dennoch ahnen lassen, wie prall gefüllt sie gewesen. Die Vulva, Zuflucht von jung an. Die abwärts des Rückens geneigte Fläche (die drastisch benannt wird), das Haar, ein Dickicht, der offene Mund. Es ist Grass' Art, den Abschied vom Fleisch zu verarbeiten. Verzicht fällt ihm schwer. Er nennt es mal Schwermut, mal Wehmut (nur nicht das modische D-Wort). 

Auch das Schreiben klappt nicht mehr. Aber auf dem Stehpult thront sie immer noch: seine Schreibmaschine, eine alte Olivetti, die seine Enkel Opas Geliebte nennen. Jahrelang hat Grass mühevoll auf Flohmärkten Ersatzfarbbänder, zumeist gebraucht gekauft. Bis ihm dann spanische Studenten eine ganzen Karton neuer Farbbänder für das uralte Modell zuschickten. Jetzt zählt er nach: Noch sieben Rollen. Und jetzt fällt ihm nichts mehr ein.

Vielleicht sind die schönsten Texte die, in denen sich Grass mit seinem Garten, dessen Früchten und Fundstücken beschäftigt. Hier gelingen dichte, weiche Stillleben. Plötzlich wird Grass vom Beobachter zum Schauenden. Oft gelingt sogar die Symbiose zwischen Text und Zeichnung. Fallobst, Sonnenblumen oder Dahlienknollen sind dann für einen Moment die wichtigsten Dinge auf der Welt. Oder die Pilze. Herrlich, wie er sowohl in Text wie auch Zeichnung seine gefundenen Pilze zum wohlschmeckenden Mahl zusammenstellt (und einen Moment denkt man, die beiden Streithähne Handke und Grass hätte man über ihre gemeinsame Liebe zu den Pilzen versöhnen können). Einmal zeichnet er ein leeres Nest – sein Beitrag zum Kuckuck, den er nur immer gehört, aber nie zu Gesicht bekommen hat. Manches ist skurril (wenn auch bekannt), etwa die getrockneten Frösche und Kröten, die wie Sammlerstücke ausgebreitet werden. Und sehr oft tote, gestorbene Vögel – immer mit offenen Augen, als seien sie noch in diesem Moment am Leben. Ein Gegenstand wird immer wieder gezeichnet – teilweise mit anderen Gegenständen verknüpft: die Federn, Symbol für Leichtigkeit und Freiheit.

Dennoch ist es ein Fehler zu glauben, Grass zeige sich hier nicht als Figur, als Schriftsteller, als politisches und soziales Wesen. Das Ich der Gedichte und Erzählungen wirkt fast immer kontrolliert. Ein bisschen Distanz, ja auch Inszenierung braucht es aus Gründen des Selbstschutzes. Nur ganz selten lüftet sich für einen Augenblick der Vorhang, wie im Gedicht Spurenlesen:
 
Seitlich des Wellensaums
komme ich mir – hin und zurück –
barfuß im Sand entgegen.

Ja, es ist wirklich ein Vergnügen, dieses Buch zu lesen.

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.

Artikel online seit 21.09.15
 

Günter Grass
Vonne Endlichkait
Steidl
176 Seiten
€ 28,00
978-3-95829-042-6

 


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