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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Findlingsblock, vielseitig besichtigt

Der »verlorene« Werner Herzog wird in zwei Büchern wieder aufgefunden

Von Wolfram Schütte

 

Wer die künstlerische Entwicklung Werner Herzogs innerhalb des Neuen Deutschen Films (der BRD) ab ovo verfolgt hat, hätte wohl nie gedacht, dass ausgerechnet er in Hollywood Fuß fassen würde – & nicht Hollywood-Liebhaber wie Wim Wenders, Volker Schlöndorff oder Rainer Werner Fassbinder. Sie haben es aus unterschiedlichen Gründen geschätzt; der einzige Hollywood-Regisseur & Film, zu dem sich Herzog je bewundernd geäußert hat, war der frühe Horrorspezialist Tod Browning & sein exzentrisch-surrealistisches Meisterwerk »Freaks« (nicht gerade das, was man mit den Studios verbindet).

War Herzog schon in der Bundesrepublik mit seinen Kurz-, Dokumentar- & Spielfilmen ein erratischer Findlings-Block im Gelände des bundesdeutschen Films, der einmal durch die Vielfalt seiner künstlerisch unterschiedlichen Talente zwischen den sechziger & achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts weltweit Aufsehen erregte, so schien es erst recht befremdlich, dass dieser selbsterklärte Hymniker des Bayerntums  in Kalifornien Wurzeln schlagen konnte & dort eine veritable zweite Karriere begann, nachdem er im deutschen & europäischen Film womöglich nicht nur ökonomisch, sondern auch künstlerisch an seine Grenzen gestoßen war (»Cobra verde«,1987,»Schrei aus Stein«, 1991).

Neben autobiografischen Büchern hat der Filmemacher aber sich auch seit 1986 weltweit einen Namen gemacht als Opernregisseur, gelegentlich trat er als Filmschauspieler auf, vor allem aber machte der Filmregisseur von sich reden: vorzüglich durch seine vielfache Alter- & Contra-Ego-Symbiose mit dem Exzentriker Klaus Kinski, aber auch durch die ausgefallenen (existenziellen) Themen & die eigenwillige ästhetische Ausführung seiner »Dokumentarfilme«.

In einem Gespräch 2012 hat er sich darüber beklagt, dass alle seine 25 (!) letzten Filme, die er zwar in Kalifornien produziert, aber überall auf der Welt (zwischen Alaska & der Antarktis) realisiert hat, von Arte abgelehnt & nur ganz wenige (über »Das kleine Fernsehspiel«?) beim ZDF gesendet wurden. In den deutschen Kinos hatten die wenigen, die überhaupt einen Verleih gefunden hatten, so gut wie keine Chance. Ein junges deutsches Kino-Publikum hat von Werner Herzog überhaupt keine Ahnung, geschweige denn eine Vorstellung oder Kenntnis; falls doch, dann nur über DVDs.

Die Aversion von arte ist ganz & gar unverständlich! Ein empörender Wahnsinn, der offenbar Methode hat. Wenn es noch eine öffentlich vernehmbare & einflußreiche Film-& TV-Kritik in Deutschland gäbe, wäre dieses bestürzende Faktum längst lautstark & nachhal(l)tig skandalisiert worden!

Das ist umso merkwürdiger, als Herzog im Laufe der Zeit eine singuläre Form entwickelt hat, mit realem Material auf eine ebenso subjektive wie poetische Art umzugehen. Schon als er in den Sechzigern debütierte, verwirrten seine Kurz-(Spiel)Filme – als seien sie von einem Kaspar Hauser, den er dann später zum Helden seines ersten Historischen Films machte oder als sei er selbst »wie aus dem Mond gefallen« (Schiller über Jean Paul im klassischen  Weimar).

Befremdlich blieb Werner Herzog wie nur noch der Extrem-Melodramatiker Werner Schröter im Kreis der bundesdeutschen Filmemacher. Schröters hoch verfeinerte musikaffine Ästhetik war von vornherein jenseits des realistisch-gesellschaftskritischen linksliberalen Mainstreams des Neuen deutschen Films, der auf seine dokumentaristische Intention & Haltung  besonders stolz war.

Herzog aber, der von Anfang an als antiklassisches, anti-realistisches, respektloses eigensinniges romantisches Original-Genie auftrat & sich als politischer Provokateur gab, der mit der zeitweise Ton angebenden ästhetischen & politischen  Linken nichts zu tun haben wollte, wurde wegen seines tragisch akzentuierten Titanismus´, seiner Faszination vom menschlichen Untergang in der überwältigenden Natur, seiner Metaphysik des leidenschaftlichen Glaubens  & des exzentrischen Willens als inhumaner »Irrationalist« & politischer Reaktionär verschrien. Umso mehr, als Herzog sich schamanistisch als »Seher« präsentiert, der als Erster & Einziger von seinen »lebensgefährlichen« filmischen  Beutezügen in der Welt Bilder & Erfahrungen mitbringt, die noch nie zuvor gesehen & wahrgenommen worden waren. Dabei erkannte die außerdeutsche Filmwelt in Herzogs kraftvollem physischem Kino & in seinen bizarren Gestalten & Traumlandschaften die unverhoffte Wiederkehr des deutschen Stummfilmexpressionismus.

Herzog, der sich vom »gefährlichen Leben« im Extrem(sport), von individueller Mut-Willigkeit & Wahn-Sinn immer wieder als »Dokumentarist« affiziert zeigte, transzendierte als Filmemacher die vorgefundene »reale« Welt ins Mythische & Metaphysische - wie Caspar David Friedrich die schlesische Landschaft oder die Ostseeküste in religiöse Sinnbilder übersetzte. (Herzog selbst erklärt den rätselhaften niederländischen Rembrandt-Zeitgenossen Hercules Seghers zu seinem ikonographischen Vorläufer.)

Herzogs »Dokumentarismus« negiert von Beginn seiner Filmarbeit an die Idee einer Wiederspiegelungsästhetik als Wahrheit des Wirklich-Realen & verhält sich zum in der realen Welt Vorgefundenen wie der literarische Poet zur autobiographisch erlebten Welt: »Wahrheit« & »Wirklichkeit« sind in Herzogs »erlebten« Dokumentarfilmen subjektive artistische Verdichtungen, Visionen seines individuellen künstlerischen Gestaltungswillens. Er spricht deshalb von einer »ekstatischen Wahrheit«, die gewissermaßen als »Blitzschlag« der mystischen »Erleuchtung« (»Illumination«) näher steht als dem rationalen Verständnis von »Wahrheit« oder »Wirklichkeit«.

Wenn der Literaturnobelpreisträger Vargas Llosa von dem »Wahrlügen der Fiktion« des Romans spricht, meint er eben diese »Wahrheit« der Poesie, die Herzog als ästhetischer Grenzgänger mit allen künstlerischen Mitteln, über die er verfügt, nach Maßgabe seiner Imaginationskraft herstellt, wozu auch akustisch Musikmontagen & die eigene Stimme gehören. (Man erinnere nur das Melodrama zu Beginn von »Fata morgana«).

Eine solche Poetik der eigenwilligen Interpretation erscheint natürlich im »Dokumentarfilm«, der noch immer von der Authentizität seiner Zeugenschaft zehrt, besonders prekär. Jedoch ist diese Ansicht des (»orthodoxen«) Dokumentarfilms längst als bloße Illusion der Objektivität, in der die Menschen, Dinge oder Sachen »selbst für sich sprächen«, durchschaut; und seit der digitale Film manipulative Eingriffe in das Material unerkennbar macht, ist auch die »authentische« Identität von Realität & Abbild dahin.

Obwohl der multipel tätige Filmemacher fern von Deutschland lebt & arbeitet – allerdings in der letzten Zeit hierzulande wenigstens als historische Person & künstlerische Größe wieder wahrgenommen wird –, ist er & sein gesamtes filmisches Oeuvre doch Gegenstand cineastischer Beschäftigung.

Ebenso erstaunlich wie erfreulich ist es, dass es jetzt gleich zwei Bücher gibt, die »Lektionen in Herzog« erteilen & Werner Herzog «An den Grenzen« präsentieren. Denn seriöse Filmliteratur ist in Deutschland verlegerisch ein hartes Brot & erst recht bei einem Autor, der überall bekannter & cineastisch gegenwärtiger ist als in seinem Geburtsland! Zumindest in den USA hat es Werner Herzog zu eine Popstar-Berühmtheit gebracht wie kein anderer Deutscher: nicht zuletzt wegen seiner Stimme & seinem gutturalen Englisch. Er tritt sogar als Schauspieler in Filmen & TV-Serien auf.

Diese & zahlreiche andere Informationen zur Rezeptionsgeschichte Werner Herzogs in der Bundesrepublik, Frankreich, Italien & vor allem für seine zweite Karriere in den USA finden sich in der umfangreichen Pionierarbeit Chris Wahls, der heute Professor »für das Audiovisuelle Kulturerbe« an der Film-Universität Babelsberg ist. Seine verdienstvolle Recherche nach dem »verloren« gegangenen Filmmacher & der höchst verschiedenen Resonanzgeschichte seines Oeuvres ist der Hauptbeitrag des von ihm herausgegeben Buches »Lektionen in Herzog«. Separat beschäftigt sich der Filmhistoriker auch mit dem, was er »Doku-Fiction« nennt, andere Beiträger widmen sich z.B. Herzogs Opern-Inszenierungen oder »Herzogs Komik« – eine besonders komplexe & lange unbeachtet gebliebene Seite des raunenden Pathetikers.

Chris Wahl ist auch einer der Beiträger des Sammelbandes »Werner Herzog - An den Grenzen«, den Kristina Jaspers & Rüdiger Zill herausgegeben haben. Das Spektrum von Einzeluntersuchungen zum Oeuvre Herzogs  reicht u.a. von Herzogs »Konstruktion des Erhabenen« bis zu den »Tierdarstellungen in den neuen Dokumentarfilmen« oder seiner »filmische Auseinandersetzung mit der Todesstrafe in den USA«.

Jedoch besonderes Interesse verdient das Buch wegen der sehr schönen, bewegenden, brillanten Laudatio des 82 jährigen Edgar Reitz auf den 72 jährigen Werner Herzog, als dieser 2014 den Ehrenpreis der Stadt München erhielt. Dass der weltläufige Bayer dem Heimat verbundenen Hunsrücker in dessen letztem Film (»Die andere Heimat«) den Naturforscher Alexander von Humboldt spielte, den ein Bauer am Wegesrand, von Reitz selbst gespielt, den Weg ins fiktive Schabbach weist, ist eine nostalgiestarke späte allegorische Umarmung der zwei diametral entgegengesetzten Exponenten des Neuen Deutschen Films. Außerdem sind dem Buch 5 Texte Herzogs & ein ausführliches Publikumsgespräch mit ihm aus jüngster Zeit beigegeben.

Kritisch könnte man als älterer Herzog-Verehrer trotz dieser facettenreichen Lektionen in den beiden Büchern über ihn sich wünschen, dass es unter den jungen deutschen Filmwissenschaftlern einen gäbe, der die Poetik & das Oeuvre des Solitärs Werner Herzog im Blickwechsel mit verwandten (?) Einzelgängern des gleichzeitigen Weltkinos wie dem Brasilianer Glauber Rocha, dem Armenier Sergej Paradjanow oder dem Russen Andrei Tarkowski einmal analytisch betrachtete…

Artikel online seit 30.05.16

 

Chris Wahl (Hrsg.)
Lektionen in Herzog.

Neues über Deutschlands verlorenen Filmautor und sein Werk
Edition text+kritik
392 Seiten
29 €

Kristina Jaspers/Rüdiger Zill (Hrsg.)
Werner Herzog. An den Grenzen

Bertz+Fischer
208 Seiten, zahlr. farb.Abb.,
17.90 €

Leseprobe

 


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