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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Der Pegasus persönlich!

Die neuen Gedichte von Otto Jägersberg

Von Uve Schmidt

 

Wenn etwas als »seit Neuestem« angesagt wird, handelt es sich meistens um alte aufgedämpfte Hüte mit einem dekorativen Pfiff, der beispielsweise in der Verwendung eines Wiesenkrautes namens Giersch bestehen kann, wofür sein Entdecker den diesjährigen Leipziger Buchmessepreis für eine deutschsprachige Neuerscheinung erhielt, nachdem die Veranstalter und Juroren sich öffentlich darauf verabredet hatten, diesmal keinen Roman o.ä. zu küren, sondern ein Werk der Lyrik, denn »seit Neuestem«  hätten Gedichte aller Genres und in jeglicher Gestalt ein sich stetig vergrößerndes und verjüngendes Publikum gefunden, das sich zwar bevorzugt in einstigen Brauereikellern und ehemaligen Fußballstadien einfindet, aber erwarten lässt, auch als anhängliche Leserschaft selbstgekaufter Bücher den Verlegern, Händlern und Feuilletonisten die Zukunft zu zeigen, d.h. ihnen die Sorge zu nehmen, Lyrik und Ladenhüter hätten nicht nur die Anfangsbuchstaben gemeinsam. Tatsächlich ist die Beschwörung, wir erlebten bereits einen Boom, durch Zahlen nicht belegbar, es sei denn, man würde die Fülle der Lyrik - Erscheinungen (recte die buchförmige Publikation) als Maßstab nehmen und das klappernde Handwerk mit klingelnden Ladenkassen verwechseln. 80% aller Lyrikproduktionen mit ISBN – Nummer bleiben selbst LiebhaberInnen unbekannt, denn seriöse Lyrikfans lieben & lesen auch ausländische Poeten, unsere Klassiker und keineswegs alles, was gut gedichtet, aber geeignet ist, aussuchende Seelen zu verdrießen. Dummerweise reagieren nicht nur virginische oder venerische Konsumenten so, sondern auch Fachleute wie M.R.-R., der mal vor einer TV –Kamera erklärte (auf die Frage, wie er die Überfülle zur Besprechung eingesandter Bücher bewältige) : » Ach, da brauche ich bloß an beliebiger Stelle die Nase reinzustecken und ich weiß Bescheid: Mist stinkt!« Und dann gibt es neben dem Allerneusten auch zeitlos Schönes und Einzigartiges für Genießer und Grübler und denen empfehle ich Otto Jägersberg, genauer, sein neuestes Opus.

In der Stuttgarter Zeitung freute sich Jochen Keller, »dass Jägersberg imstande ist, zu beweisen, dass selbst Lyrik (die subtilste und feinnervigste der drei klassischen Gattungen) eine Angelegenheit für die Lachmuskeln und das Zwerchfell sein kann.«  Diese Diagnose mag werblich wertvoll sein, doch die Redensart »Das ist ja zum Lachen!« meint Sachverhalte und Situationen, die eher zum Heulen sind oder empörtes Prusten hervorrufen, aber keinesfalls zum Schenkel – und Schulterklopfen einladen. Man muss kein durchtrainierter Jägersbergversteher sein, um Keine zehn Pferde als Vademekum für Männer & Frauen dito Damen und Herren hervorzuheben, ohne die Generalpächter des ungereimten Humors (also Spott und Binsenweisheit außerhalb der Neuen Frankfurter Schule)  wie die Letztgenannten , welche sich reimen und gegenseitig die Elchschaufeln verleihen zu ignorieren, und wenn es keine Missverständnisse beförderte , würde ich den Aufkleber NUR FÜR JUGENDLICHE ÜBER SECHZIG! anraten. Der wirkliche Witz besteht darin, dass Jägersberg schon als Jüngling wie ein Alter tickte und seine juvenile Feder das Gold der Altersweisheit in blauer und roter Tinte verteilte, ein Mann des Märzes also wie alle kritischen Poeten, die nicht primär in der Studentenkneipe geschult wurden, sondern in Werkstätten und auf Wanderwegen zwischen Adebars Seenplatte, Angelmodde und Züricher Altstadt, ein bunter Hund in allen Gassen, ein gesellschaftlicher Beweger recte Anreger, Entdecker und Erfinder, tätig und umtriebig auch in anderen Künsten und in der deutschen Belletristik ein erzsympathisches Unikum mit einem Hauch von Hölderlin…

Eine namhafte Kollegin nannte Jägersbergs Gedichte einst »lyrische Schattenrisse«;  ich fand das zutreffend, aber ebenso irreführend, denn seine Poeme & Poemchen verdanken sich weder einer schwarzweißen Weltsicht, noch bedient sich Jägersberg beim Biedermeier oder gar dem NS- Kunstgewerbe als historischem Musterkatalog. Trotzdem passt der Vergleich: Es ist sein herb-heiterer bis saukomischer Purismus (vergleichbar dem sozialistischen Realismus der Leipziger Schule) und dergestalt von makelloser Präzision, geprägt von Lakonie, Väterwitz, Stammbuchaphoristik à la Bakunin und einer neuen deutschen Naturkunde. Wenn Kitsch der Schatten der Kunst ist, sind Jägersbergs Arbeiten »die Kunst des lyrischen Scherenschnitters«.

Keine zehn Pferde?
Der Pegasus persönlich!

Artikel online seit 07.06.15
 

Otto Jägersberg
Keine zehn Pferde
Gedichte
Diogenes 2015
208 Seiten
19,90
978-3-257-06922-8

 


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