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Eine
treffsichere und notwendige Ohrfeige |
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Ein junger Mann sitzt in einem Büro der Ausländerbehörde vor seiner gefesselten und geknebelten Sachbearbeiterin, die er zuvor geohrfeigt hat. Auf diese Weise zwingt er sie, sich seine Geschichte anzuhören – auf Arabisch. »Es ist natürlich Quatsch jetzt mit ihr arabisch zu sprechen, aber was soll´s. Auch wenn arabisch ihre Muttersprache wäre, würde sie mich nicht verstehen.« So startet Abbas Khiders Roman »Ohrfeige«, erschienen im Hanser Verlag. Khider, 2013 mit dem Nelly-Sachs-Preis geehrt, beschreibt in seinem vierten Buch die Fluchtgeschichte des Irakers Karim Mensy, der sich im Jahr 2000 nach fünfwöchiger Reise über Istanbul, Athen, Patras, Venedig, Rom, Bozen in dem Glauben, in Frankreich angekommen zu sein, in der bayrischen Provinz wiederfindet – zunächst in Dachau. »Heute bin ich heilfroh, dass ich bis zu meiner Ankunft in Deutschland noch nie etwas von Dachau gehört habe. Wenn ich von dem dortigen Konzentrationslager aus der Nazizeit gewusst hätte, dann wäre an jenem Tag bestimmt mein Herz stehen geblieben (…) Der Unrasierte zeigte auf meine Unterhose. »Ausziehen!«, befahl er, trat einen bedrohlichen Schritt auf mich zu und schaute mir streng in die Augen. Ich gehorchte und streifte die Unterhose ab. Alles wurde erforscht. Sogar meine Eier. Zum ersten Mal in meinem Leben schob jemand seinen Finger in meinen Arsch.«
Karim beantragt Asyl. Sein
Freund Salim rät ihm den Grund – Fahnenflucht - zu verheimlichen, da sein Antrag
sonst abgeschmettert werden würde. »Fahnenflucht ist kein ausreichender Grund,
hier Zuflucht zu suchen. Andernfalls würden alle, die nicht in die Armee wollen
oder die getürmt sind, Asyl erhalten.« Der 1996, nach vier Jahren Haft (aufgrund politischer Aktivitäten) selbst aus dem Irak geflohene Abbas Khider, damals dreiundzwanzigjährig, beschreibt eindringlich, unprätentiös, zuweilen auch mit trockenem Humor, (»Christen und Muslime stehen sich tolerant gegenüber – jedenfalls beim Pinkeln.«) die Geschichte dieser Flucht und den sich daran anschließenden unfreiwilligen knapp dreieinhalbjährigen Aufenthalt in Deutschland - davon die meiste Zeit ohne gültige Erlaubnis, aufgrund des Widerrufs seines Asylantrages. Karim ist in Bayern Behördenwillkür, stumpfen Vorurteilen, Rassismus, Diskriminierungen und Demütigungen ausgesetzt. Später dann folgt die Angst vor der Entdeckung durch die Polizei. Er versucht als Illegaler möglichst legal zu wirken, sprich, unauffällig bis unsichtbar zu sein. Dieser frustrierende Zustand wird von Khider eindrucksvoll skizziert: »Die Tarnung als Lesender hat schon an vielen Bahnhöfen funktioniert. Normalerweise beachten mich die Polizisten dann nicht. Offensichtlich denken sie, dass ein Illegaler aus einem dieser unterentwickelten Länder sicher nicht lesen kann. Mit der Süddeutschen Zeitung in der Hand, trägt man als Illegaler in Bayern gewissermaßen Tarnfarben (…) Solange man den Schein wahrt und den Erwartungen der Menschen entspricht, ist man in München absolut sicher (…) Prinzipiell sollten Ausländer die Züge der Deutschen Bahn meiden. Nur die erste Klasse im ICE ist eine sichere Lösung. Dort lassen sich die Polizisten selten blicken. Leider sind diese Plätze unendlich teuer. Genauso wie ein passendes Hemd von Hugo Boss als Verkleidung.«
Aber genauso wie Karim in
der »Ohrfeige« mit dem unmenschlichen kühlem und bürokratischen deutschem
Behördenapparat abrechnet, geht er auch mit den Kulturvereinen hart ins Gericht
und hinterfragt offen deren Sinn und Zweck:
Khider beschreibt das
trostlose und stumpfsinnige Dahinvegetieren im Asylantenheim, sowie das
zermürbende Warten auf den Ablehnungsbescheid oder die ersehnte
Aufenthaltserlaubnis überaus anschaulich. Dabei dürften wohl auch eigene
Erfahrungen mit eingeflossen sein. Grandios skizziert er neben den immer
wiederkehrenden Schikanen die Eintönigkeit im Alltagsleben der dort wild
zusammengewürfelten Menschen, wo Kontakte zu Deutschen, abgesehen von den oft
mürrischen und distanzierten Aufsehern, nicht existieren. Oft ist dieser
Kontakt auf den Blick durch den Zaun beschränkt. Und diese Deutschen
erwecken bei Karim nur den Eindruck von »Fabelwesen aus einem fernen Märchenland
(…) Hellhäutige Menschen aller Art, vermummt in dicke, warme und schöne
Kleidung, die sehr gepflegt aussahen. Saubere Kinder, hübsche Mütter, stolze
Väter.« Artikel online seit 01.02.16 |
Abbas Khider
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