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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Staunen eines Ungläubigen über seine Lektüre

Navid Kermanis Beschäftigung mit dem Christentum & einigen seiner bildlichen Zeugnisse

Von Wolfram Schütte

 

Etwas bizarr kommt mir meine Lektüre von Navid Kermanis jüngstem Buch »Ungläubiges Staunen. Über das Christentum« schon vor. Der Doppeltitel kann auch als einer gelesen werden & träfe ebenso zu, wenn der Muslim Kermani über das Christentum (als dessen »Nichtgläubiger«) staunte – was er ja auch tut. Ob in der sprachlichen Differenz von »Nicht-« zu »Ungläubigem« ein Toleranzgefälle der Religionen gegenüber Andersdenkenden sich abbildet oder es dem Schisma von katholisch & evangelisch sich verdankt?

Ich staune jedoch über mich selbst, dass ich als Areligiöser diese theologisch-religiösen Spekulationen über Nähe & Ferne der Monotheistischen Religionen  mit staunendem  Vergnügen gelesen habe – obwohl mir ja der Glaube an die Wahrheiten dieser (& aller anderen Religionen) fehlt & deshalb die subtilen Unterscheidungen zwischen ihnen, mit denen der diesjährige Buchmessen-Friedenspreisträger Navid Kermani so kenntnisreich hantiert, mir existenziell eigentlich »schnurzegal« sind.

Die Zuneigung für sein jüngstes Buch liegt, ganz oberflächlich betrachtet, erst einmal daran, dass »Ungläubiges Staunen« mit seinen 49 oft zweiseitigen Abbildungen einfach ein schön gemachtes Buch des C.H.Beck-Verlags ist. Selbst der Schutzumschlag spielt ikonografisch mit feiner Ironie. Die Annahme, die Titelei auf schwarzem Grund sei bewusst umgeben von Mosaik-Arabesken aus einer Moschee, täuscht den naheliegenden Hintersinn perfekt vor; ist aber noch hintersinniger, weil sie de facto die Fußboden-Ornamentik der Florentiner Kirche San Miniato al Monte aus den 12, Jahrhundert wiedergibt, als architektonische Einflüsse aus dem islamischen Orient (siehe z.B. den Kaiserdom in Speyer) nicht ungewöhnlich waren.   

Dann spricht die Gliederung des Buchs für sich. Der Autor hat seine essayistische Beschäftigung mit dem Christentum auf drei Groß-Kapitel verteilt: »Mutter und Sohn«, »Zeugnis«, »Anrufung«. Innerhalb dieser thematischen Trinität schlägt er in jeweils mehr als einem Dutzend 2-4seitigen Essays immer neue & andere Wege ein, um  zusammen mit europäischen Bildwerken die biblischen Personen, Ereignisse & Begriffe darzustellen oder sich originelle Zugänge zur christlichen Mythologie frei zu legen.

Dabei sind dem studierten Orientalisten seine genauen & umfangreichen Bibelkenntnisse eine notwendige Hilfe, um sich & uns ignoranten Exchristen auf die Sprünge zum Verständnis vieler dieser Bilder zu verhelfen; und der vielfach ausgewiesene Romancier Kermani (u.a. »Dein Name« & »Große Liebe«) besitzt die erzählerisch-spekulative Phantasie, sich ebenso behutsam wie eindringlich, den zu entschlüsselnden Bildwerken oder den zentralen  Momenten der biblischen Geschichten zu widmen – oder sie mit fabulatorischer Verve nach eigenem Gutdünken umzudeuten.

Ein bekennender Erotiker ist am Werk

So sehr man dabei von der stupenden Kenntnis & dem subtilen Wissen des hybriden Autors profitiert & von dem eleganten Darstellungsstil eines unserer raffiniertesten Stilisten auch eingenommen wird, der überraschendste Coup des in Köln lebenden, im pietistischen Siegen aufgewachsenen Sohns eines aus dem Iran geflohenen Elternpaars besteht darin, dass das »gelehrte Buch« zugleich auch in Teilen ein munteres Autobiograficum ist – ohne dass der Eindruck der Eitelkeit sich einstellt.

Im Gegenteil: das autobiographische Material fächert sich u.a. auf in Erinnerungen des jungen Siegener Schülers & Überlegungen des heutigen Vaters zweier Töchter, reicht von der lokalen Fußballbegeisterung des Kölners bis in die Intimität seines Traumgeländes. Wenn man die autobiographisch-subjektiven »Einstiege«, die z.B. immer wieder den bekennenden Erotiker Kermani auch hier am Werk zeigen, etwas überpointieren möchte, um ihre literarisch-intellektuelle Bedeutung für das vielperspektivische, ironisch-humoristische Buch herauszustreichen, so könnte man behaupten, nur dadurch werde der »ernste« Stoff  karnevalesk »durchsäuert« &  der »hohe« Ton durch solche »schockierende« subjektive Einsprengsel glücklicherweise aufgebrochen.

So (ver)meidet Navid Kermani, was bei diesem intellektuell-religiösen Gegenstand nahe liegt: das »Pfäffische«. Etwas übermütig könnte man sogar behaupten, das Buch, das der Kölner muslimische Liebhaber christologischer Bilder hier vorlegt, habe durch seine literarische Erzähl- & Darstellungsstrategie selbst etwas von der Souveränität & dem furchtlosen Realismus, den Kermani an seinem offensichtlichen Lieblingsmaler Caravaggio so bewundert.

Andere Essays beschreiben den uralten Ritus armenischer orthodoxer Frömmigkeit im iranischen Isfahan, erzählen von Reisen des Autors zu Klöstern im Kosovo & Syrien; oder er meditiert über das Verhältnis des Katholizismus zum Wissen (anhand der Vorsicht der Kirche bei Aussagen über das mögliche Grab Petri), bedenkt die unterschiedliche Art des Betens in den Religionen & schließt sich neuesten Thesen über des heiligen Franziskus´ inniges Verhältnis zum Islam an oder beschäftigt sich in einem größeren Essay mit dem mutigen, in Syrien verschleppten Pater Paolo Dall´Oglio, der sich (anders als die Amtskirche) gegen Assad stellte & der Kermani (wie überhaupt christliche Mönche & Nonnen)  durch seine bedingungs- & unterschiedslose Menschenliebe Vorbild ist.

Es ist das literarische & intellektuelle Zusammenspiel aller dieser schillernden, blitzenden, einen immer wieder überraschenden Darstellungsmittel des hochgebildeten Autors, das einen als Nicht- oder Ungläubiger ihm so fasziniert folgen lässt bei seinen »Erzählungen aus der (christlichen) Glaubenswelt« - wie der König den abenteuerlichen Phantasien Scheherazades in »Tausendundeinen Nächten«.

Christus als Sufi-Heiliger

Denn was Kermani (& seinem »katholischen Freund«, den er immer wieder erwähnt ) mehr oder minder als göttlicher Glaubensinhalt erscheinen mag – auf den die christlichen Maler sich jeweils ihren eigenen Reim gemacht haben, den ihr muslimischer Interpret & Exeget aber wiederum nach seinem Gusto auslegt oder fortspinnt – , das ist für einen heutigen Atheisten nur noch »eine schöne Kunstfigur« (wie Clemens v. Brentano seine Rheinmärchen nannte). Allerdings kann man ohne deren (wie auch der griechischen Mythologie) genaue & elaborierte Kenntnis fast die gesamte europäische Kunst nicht mehr verstehen & emotional erfahren. (Deshalb kann es sich bei den durch den Louvre u. ä. Kunstsammlungen geschleusten internationalen Besuchermassen nur um staunend eingeschüchterte Ignoranten handeln).

Im Nachwort spricht Navid Kermani einmal davon, dass er während seines einjährigen Stipendiaten-Aufenthaltes in der römischen Villa Massimo »auf die Spur zum eigenen Christentum fand«. Das hat den einen oder anderen, der das Buches nicht mit Bedacht gelesen oder verstanden hatte, zur frohlockenden Spekulation verführt, aus dem Kölner Muslim sei durch die Macht der Bilder womöglich klammheimlich ein Christ geworden.

Das ist aber nicht der Fall, Kermani hat immer wieder erklärt, was ihm am Christentum abstößt – ungeachtet dessen, dass ihm ästhetisch vieles bewegend zusagte, als er sich anhand der 49 Bilder mit den Heiligen, den Begriffen & Ritualen der Christen einlässlich, studierend & bildungstrunken beschäftigte. Wenn er von Christentum spricht, meint er immer nur dessen »Erste Adresse«, will sagen den Katholizismus oder gelegentlich die Orthodoxie des Ostens, deren mehrstündige, streng & komplex ritualisierte Gottesdienste mit einer anderthalb Jahrtausende alte Traditionen es ihm besonders angetan haben. Wenn er seinen »katholischen Freund« apostrophiert, dürfte das in der Regel der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach sein, der ein so streng gläubiger orthodoxer Katholik ist, der die Messe noch lateinisch gehalten wissen will, wie Kermani ein heterodoxer Muslim ist, der aus seiner Sympathie zum islamischen Mystizismus & dessen heutigen religiösen Vertretern im Sufismus keinen Hehl macht.

Was die beiden religiösen deutschen Freunde verbindet, ist eine entschieden ästhetisch vermittelte Auffassung & die emphatische Liebe zu ihren Religionen. Wobei man wissen sollte, dass der Sufismus, der Jesus als Mensch & gottnahen Propheten verehrt, von den orthodoxen, gar erst recht von den fundamentalistischen Islamisten als Häresie nicht nur verabscheut & verurteilt, sondern auch verfolgt wird. Leider entspricht Navid Kermanis hochherziges Verständnis sowohl vom Islam als auch vom Christentum nicht deren hauptsächlichen Praxis in der gegenwärtigen Welt! (Wenn sich auch ein erklärter Franziskaner auf dem Stuhl Petri derzeit besser macht als ein Terrorregime, das unter dem Namen »Islamischer Staat« Muslime aus aller Herren Länder zu Mord & Totschlag anzieht.)

Artikel online seit 07.09.15
 

Navid Kermani
Ungläubiges Staunen 
Über das Christentum
C.H.Beck, München 2015
303 Seiten, 49 farbige Abb.
24.95 €

Leseprobe  

 


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