Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Reflektionen über das Schreiben

Dany Laferrières inspirierendes »Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama«

Von Wolfram Schütte

Es ist ebenso erstaunlich, um nicht zu sagen so irritierend wie vielversprechend, auf ein Lichtenberg-Zitat zum Eingang eines Buches zu stoßen, das von einem 1953 Haiti geborenen, seit seiner Emigration 1976 vornehmlich im (französischsprachigen) Kanada (Montreal) lebenden Schriftstellers stammt. Umso mehr als es sich um ein Zitat handelt, das nicht zu den bekannt-geläufigen gehört. Es lautet: »Ein Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel fehlt«. Diese Umschreibung des Nichts ist absurd – will sagen: eine Steigerung der Krausschen paradoxalen aphoristischen Sottise über das Feuilleton, das »Locken auf einer Glatze drehe«.

Lichtenbergs absurder Witz aus dem »Göttingenschen Taschenkalender 1798« dürfte dem Autor Dany Laferrière möglicherweise durch die Vermittlung des südamerikanischen Alleswissers Jorge Luis Borges vor Augen gekommen sein. Ihn schätzt der Haitianer von allen Kollegen, zu den er u.a. Henry Miller, Goethe, Rabelais, Voltaire, Hemingway oder Malraux zählt, am meisten - ohne dass er aufgrund dieser Liebe »errötend dessen literarischen Spuren« folgte. Aber wie der blinde Direktor der Argentinischen Zentralbibliothek (diese Anstellung hat Borges dem Caudillo Peron nie vergessen, was dem großen Autor später weltweit politischen Ärger eintrug & womöglich um den Literaturnobelpreis brachte), hat auch der junge Dany: gelesen, gelesen, gelesen durch den Tag, durch die Nacht.

Aus einer Familie stammend, bei der sein politisch aktiver Vater zuerst im Untergrund & dann im Exil in New York lebte, wuchs der gewissermaßen Vaterlose mehr bei seiner Großmutter auf dem Lande als bei seiner Mutter in Port-au-Prince auf. Mit alle den Büchern, die er in der Bibliothek seiner Großeltern vorfand & später als Fabrikarbeiter in seiner kanadischen Emigration hat er sich zuerst als Leser in der Welt umgesehen, bevor er 1985 mit seinem ersten Roman als Schriftsteller debütierte.

Nur die zwei jüngsten seiner rund zwei Dutzend Bücher liegen in der tadelsfreien Übersetzung Beate Thills auf Deutsch vor. Der kleine Heidelberger Verlag »Wunderhorn« hat 2009 »Das Rätsel der Rückkehr« & im vergangenen Herbst »Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama« publiziert, für die »Rückkehr« erhielt Laferrièrer in Frankreich den Medicis-Preis & 2014 in Deutschland den »Internationalen Kulturpreis-Haus der Kulturen«. Im Jahr zuvor war er als erster Haitianer (mit kanadischem Pass) in die Académie Francaise aufgenommen worden.

Laferrière ist, zumindest in der Frankophonie, ein herausragender Autor. Es sieht so aus, als ob deutsche Leser bislang den Haitianer immer noch nicht wirklich »entdeckt« haben. Dabei sind seine beiden auf Deutsch vorliegenden Bücher erzählerisch originell, oft sehr witzig & ohne besondere Vorkenntnisse mit Vergnügen les- & verstehbar. Er gehört zu jener literarischen Spezies von Autoren, die (wie z.B. Henry Miller) eng aus dem Autobiographischen schöpfen, aber dank ihrer Phantasie sich nicht darin erschöpfen.

So imaginiert das »Rätsel der Rückkehr« seine Rückkehr in seine haitianische Heimat nach dem Tod seines Vaters in New York. Der Roman, der durch seinen Titel wie auch durch seine semipoetische Form eines Langgedichts auf das »Cahier d´un retour au pays natal« des karibischen Poeten Aimé Césaire anspielt, ist sowohl Autobiografie als auch ein glühend-farbiger Reisebericht ins Herz des Vodoo-Kults, vor allem aber eine lyrische Beschwörung Haitis, seiner Landschaften, Menschen & Geheimnisse.

In seinem »Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama« kommt er gelegentlich auf die »Rückkehr« zu sprechen. Aber primär ist sein jüngstes Buch ein noch engeres Selbstgespräch als die vorübergehende Rückkehr des mittlerweile zum Kanadier gewordenen Emigranten in das Geburtsland. Ein Selbstgespräch in steter Gegenwart eines Lesers, dem der gewitzte, gut gelaunte, intelligente Autor unterstellt, er wolle selbst Schriftsteller werden. In 182 kleinen Kapiteln, die zwischen einer halbe Seite & mehreren Seiten lang sind, plaudert der gute Freund Dany sowohl von seinem vorliterarischen Leben als auch von den Veränderungen, die er als vielgefragter Schriftsteller nach seinem ersten Roman bis heute erlebt hat; vornehmlich aber natürlich von den Handgriffen, Tricks & Spielregeln des Schriftstellerberufs.

So beruhigt er den Leser als kommenden Autor im Kapitel »Die Näharbeit«, in dem er von den Qualitäten einer Schneiderin spricht, deren sorgfältigen Näharbeiten auch für einen »gutgeschneiderten Roman« vonnöten seien: »nichts Schlimmeres als ein schlecht geschneiderter Roman. (…) Oder die einzelnen Teile sind gut geschnitten, aber schlecht verbunden«. Weil es »kein Buch, keinen Film, also keine Fiktion mit vollkommen logischer Struktur« gebe, müsse der Autor irgendwann auch mal »tricksen«. Das sei aber nicht weiter schlimm, beruhigt er sogleich den Autor im Leser, »wenn Sie nur den Stoff gut vernähen«. Da man aber in den Kulturen unterschiedlich vernähe, hätten die Franzosen lange gedacht, Dostojewskijs Romane seinen »schlampig gearbeitet«, bis sie erst kürzlich begriffen hätten, dass sie »auf besondere Weise geschneidert sind«.

An einer anderen Stelle empfiehlt er: »Wir müssen pausenlos lesen, bis wir uns einen bestimmten Satzbau einverleibt haben. (…) Wir sollten dem Klassiker aufmerksam und mit Gleichmut begegnen wie dem Kollegen, der er ist (…) Sprechen Sie laut mit dem Klassiker, Er kann Sie hören«.

»Wenn die Niedergeschlagenheit zu stark ist, weil das Buch nicht vorankommt«, schlägt er bei einer Schreibblockade oder ähnlichen Augenblicken des Selbstzweifels dem Schriftsteller vor, dann »hilft nur, ein schlechtes Buch zu lesen, um die Stimmung zu heben«. Was hieße, dass man als Schriftsteller immer eines zur Hand hat. Wobei er zur Lektüre generell Wein empfiehlt & zum Schreiben Kaffee.

Dany Laferrière spricht auf den mehr als dreihundert Seiten dieses kursorischen Tagebuch eines Schriftstellers als lebendiger, staunender, lesender & alltagsphilosophisch reflektierender Zeitgenosse, der sich & seinen Lesern das Vergnügen macht, von allem zu handeln & zu erzählen, was ihm wichtig ist, nahegeht oder ihn beschäftigt. Und zwar auf ebenso einfallsreiche Art wie überraschend vielfältige Weise.

Manchmal muss man aber auch bei einigen seiner Kapitel an das erwähnte Lichtenberg-Zitat oder an Karl Kraus' Invektive gegen das Fadenscheinige denken. Weniger wäre vielleicht doch mehr gewesen, denkt man dann. Aber nicht bei einer trefflichen Bemerkung wie dieser: »Paris hat die Gabe, den Menschen zum Dummen zu stempeln, der nicht hier lebt«; oder bei diesen Stoßseufzer: »Einmal ein Buch schreiben, das des Baums würdig ist, der dafür gefällt wurde«; und auch nicht bei dem letzten der 182 Aphorismen, die jedem seiner kaleidoskopischen Einfälle beigefügt ist: »Es kommt irgendwann der Augenblick, in dem man vergessen muss, dass man Schriftsteller ist, um es zu bleiben«.

Artikel online seit 04.03.16
 

Dany Laferrière
Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama
Roman
Übersetzung Beate Thill,
Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2015.
327 Seiten
24.80 €

Dany Laferrière
Das Rätsel der Rückkehr

Roman
Aus dem Französischen von Beate Thill
Wunderhorn-Verlag
Heidelberg 2013
299 Seiten
24.80 €

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten