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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Geschmacklich fader Analogschinken

Joachim Lottmanns ratternde Pointenmaschine »Happy End«

Von Gregor Keuschnig

Irgendwann hat das jeder einmal erlebt. Man steht am Tresen in einer Kneipe und wartet auf ein Bier. Da kommt ein Mensch (es ist immer ein Mann), nicht unsympa­thisch, stellt sich neben einem und beginnt, zu erzählen. Über das Bier hier in der Kneipe, die Bedienung, seine Arbeit, über Politik, seinen Urlaub, seine Beziehung, die Ungerechtigkeit in der Welt – es geht einfach um Alles. Erst ist man nett abgelenkt, nickt zuweilen aus Höf­lichkeit, aber irgendwann wünscht man sich, dass ein ehemaliger Schulfreund das Lokal betritt, das leise im Hintergrund dudelnde Radio eine weltbewegende Nachricht verkündet oder mindestens dass das Mobiltelefon klingelt – inständig ersehnt man einen sozial halbwegs glaubwürdigen Grund, dem Redeschwall zu entfliehen.

In etwa ist das die Situation mit Joachim Lottmanns neuem Buch »Happy End«. Der wichtigste Unterschied ist, dass ich, der Leser, mich sozusagen an Lottmanns Tresen gestellt habe. Und das da jemand nicht über Beziehungsprobleme erzählt, sondern bereits auf den ersten Seiten seine Frau Elisabeth, genannt Sissi, eine 38jährige erfolgreiche Linksintellektuelle, die über das Elend in der Welt in Vergangenheit und Gegenwart zielsicher schreiben kann und in »geriatrischen« Filmen heult, in den höchsten Tönen lobt. Weiter geht es um Urlaubsreisen, Lektüreeindrücke, Kolumnenschreiberei (Schwer­punkt Tierkolumnen), seine Magenschmerzen, die auf eine zu starke Vereinnahmung durch die so vergötterte Frau hindeuten und eine Geheimwohnung in Wien. Dass einem bei der Lektüre der Kopf vor lauter Müdigkeit nicht auf das E-Book-Lesegerät fällt vermag man nur zu vermeiden, indem man diesen gelegentlich schüttelt. Eine Melange aus Hoffnung, Pflichtbewusstsein und Masochismus führt dazu, dass man bis zum Ende liest.

»Buch der Woche« oder gar »Roman der Saison« jubilieren die Feuilletons. Wie trostlos muss da eine Woche, eine Saison und auch gleich noch der Anspruch an Literatur sein, dieses Buch zum Ereignis zu adeln? Andere erkennen in diesem Buch gar eine »Satire« – eine veritable Beleidigung für die grundehrlichen Satiriker wie zum Beispiel Joachim Zelter, dessen Sprachvermögen dem von Lottmann turmhoch überlegen ist. Manche Kritiker kompensieren scheinbar ihre Midlife-Crisis mit der bedingungslosen Affirmation dieses Buches. Dabei wird man schon früh gewarnt: »Ich habe der Welt nichts mitzu­teilen«, schreibt der Ich-Erzähler Johannes Lohmer schon auf der dritten Seite. Und er behält Recht. Natürlich ist das als Understatement gemeint, und man stellt sich die sogenannten Kritiker vor, wie sie applaudierend vor dem Buch sitzen und in ihrem Notizbuch die filigrane Selbstironie des Autors lobend vermerken. Überhaupt ist alles in diesem Buch mindestens ironisch und wenn es zwei Sätze einmal nicht so ist, entschuldigt sich Lohmer bei seinem Publikum dafür, was natürlich auch wieder ironisch ist. Aber Ironie ist ein Gewürz, ähnlich wie Chili oder Knoblauch und nicht die Speise.

Keine Kritik über dieses Buch kommt ohne die Tätowierung Lottmanns als »Popliterat« aus. Manche glauben gar, er habe dieses Genre erfunden (selig diese Ahnungslosen). Im Gegensatz zu anderen bemüht sich Lottmann erst gar nicht, dieses virtuelle Arschgeweih des Feuilletons loszuwerden. Er macht aus der Not eine Tugend und dankt es mit Rundum- Betriebsbespaßung inklusive Namedropping – mal mit richtigen Namen (Tex Rubinowitz, Rainer Langhans, Thomas Draschan, Matthias Matussek), mal mit mühsam camouflierten. Ein Höhepunkt soll wohl die Auseinandersetzung mit Sara-Rebecka Werkmüller sein, der er mehr aus Verzweiflung denn aus Neigung oder gar Ahnung den Wolfgang-Koeppen-Preis zuspricht, den er zwei Jahre vorher nach Sibylle Bergs Empfehlung bekommen hatte.

Es dauert für den Unkundigen drei Sekunden um festzustellen, dass mit Sara-Rebecka Werkmüller Anna Katharina Hahn gemeint ist. Lottmann, pardon: Lohmer, hat nun für gefühlte 100 Seiten Stoff sich über Werkmüller, pardon: Hahn, deren Prosa, ihren Ehemann und den Suhrkamp Verlag (»ehemals bekannter, früher sehr seriöser Verlag«) zu verlustieren. In seiner parfümierten Eitelkeit druckt er seinen »Essay« (Lohmer über Lottmanns Text) aus der FAZ vom 12. April 2012 nach. Ein Vergleich mit dem Original zeigt den Einbau subtiler Änderungen. Aus dem Koeppen-Preis wird der »angesehene Koeppen-Preis« – schließlich ist Lohmer/Lottmann ja der Preisträger. Und es ist ja wirklich peinlich, dass die FAZ »Kir Royal« und »Rossini« verwechselte und »Karl Werner Gauß« druckte statt Karl-Markus Gauß. Abgesehen davon, wird Hahn zielsicher zu Werkmüller konvertiert. Fast unnötig zu erwähnen, dass das natürlich alles unglaublich lustig ist – etwa wie Topfschlagen oder Flaschendrehen.

Lottmann gibt den Hofnarr, tritt mit Wonne in Fettnäpfchen. Seine Figur bekennt sich als »bis zur Halskrause homophob«, sieht in Kalabrien »Afrikas Bevölkerungsmilliarde…im Anmarsch« und entdeckt vor allem im ungeliebten Berlin die »eskalierende Porno­graphisierung in Staat und Gesellschaft«. Von Harald Schmidt klaut er die Forderung des Rechts auf Diskriminierung aller. Lottmanns Schreibe ist so etwas wie eine Stellvertreter­prosa für all die Meinungen von Literaturjournalisten, die diese niemals öffentlich äußern würden, weil sofort ein Konflikt mit dem Chefredakteur, dem Verleger oder einfach nur mit allen anderen droht. Er spricht seine Sottisen gegen Gutmenschen, Literaturpreise und Schriftstellerkollegen das aus wie das Kind, das den Kaiser nackt zeiht, – allerdings ist im vorliegenden Fall die Erkenntnis des nackten Monarchen längst allen bekannt.

In Wirklichkeit finden ja mehr sogenannte Kulturschaffende als man denkt Gutmenschen und Alt-Achtundsechziger »gedankenfaul«, politisch desinteressiert und anstrengend, halten Bob Dylan für jemanden, der »verwirrtes…pubertäres Zeug« »faselt«, finden Marlene Streeruwitz’ Prosa »gleich einem ächzenden Geklapper eines Fiakers« und »ohne Talent« (da ergeht es Pasolini schon besser, der »mittleres« Talent hatte), Berliner als »dünkelhaft« und »selbstverliebt« und halten IKEA-Produkte für »kryptospießig«. Begeistert ist Lohmer dagegen von Cheeseburgern TS, Benedikt XVI. (der Text spielt 2012) und natürlich Wien.

Ernst nehmen kann und soll man ihn nicht. Immerhin beansprucht die Lektüre nicht unwesentlich Lebenszeit. Sie ist zäh. Das hat weniger mit dem Duktus der Sätze zu tun (keine Angst, wer Lisas Welt in »report Mainz« versteht, kommt auch hier mit), sondern mit der unaufhörlich ratternden Pointenmaschine, die recht viele Rohrkrepierer produziert ähnlich widerspenstigen Knallbonbons auf Silvesterfeiern.

Nur selten ist es richtig witzig, etwa wenn die Partnerin von Karl Valentin »Liesl Karstadt« heißt oder auf der Trabrennbahn Berlin-Mariendorf eine Reiterin vorgestellt wird. Zuweilen gibt es hübsche Stellen, wie die Beschreibung eines scheinbar in die Jahre gekommenen Hotels in Trastevere, Italien. Oder die Episode mit der jungen Berliner Nachbarin mit ihrem »Psycho-Latein« am Ende des Buches. Da lacht man ob man will oder nicht im Affekt; nur ein bisschen unter seinem Niveau.

Man spürt förmlich den Ehrgeiz Lottmanns irgendetwas zwischen Thomas Bernhard, Rainald Goetz, Harald Schmidt und Loriot abzuliefern. Aber was für eine Tragik: Von Bernhard fehlt ihm der Furor, von Goetz das schriftstellerische Talent, von Schmidt die Belesenheit und von Loriot die Beobachtungsgabe. »Happy End« ist keine Literatur, noch nicht einmal eine Schwarte, sondern nur geschmacklich fader Analogschinken.

Artikel online seit 28.06.15
 

Joachim Lottmann
Happy End
Haffmans Tolkemitt
351 Seiten
19,95 €
978-3-942989-89-3

 


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