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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Wechselseitige Erpressung

Pablo Larraíns intensiver Film »El Club« über »Problem-Priester«

Von Wolfram Schütte

 

Was ist mit alle jenen Priestern geschehen, die weltweit von der katholischen Kirche »aus dem Verkehr gezogen« wurden? Also mit jenen Geistlichen, die wegen ihrer zumeist pädophilen Vergehen der staatlichen Justiz entzogen & dafür von der katholischen Kirche quasi gesellschaftlich in Quarantäne versetzt wurden?

Bevor im vergangenen Jahrzehnt das immense Ausmaß der Pädophilie unter den Kuttenträgern bekannt & nicht mehr als Vergehen einzelner Sünder von der Kirche vertuscht werden konnte, waren die geistlichen Sünden-Böcke allenfalls bloß in weit vom Tatort entfernte Pfarreien zwangsversetzt worden (wo sie dann ggf. ihr Triebtreiben fortsetzten.) In jüngster Zeit musste sich die Kirche wg. des sexuellen Sünder-Aufkommens geistlicher Herren jedoch etwas Neues einfallen lassen. Es gibt heute angeblich zahlreiche, verschwiegene Anstalten, wo solche »Problem-Priester« kaserniert leben.

Das hat zumindest der chilenische Regisseur, Produzent & Drehbuchautor Pablo Larraín für sein Land recherchiert & zur erzählerischen Grundlage seines fabulös verdichteten Spielfilms »El Club« gemacht. Der 1976 geborene Larraín hat damit in diesem Jahr auf der Berlinale den Silbernen Bären gewonnen, als der Iraner Jafar Panahi mit seinem »Taxi Teheran« von einer erstaunlich treffsicheren Jury den »Goldenen Bären« erhielt.

Wie der weltbekannte Iraner ist auch der junge Chilene in dreifacher Funktion (Drehbuch, Regie, Produktion) für seinen erstaunlichen Autorenfilm tätig gewesen. Die schauspielerische Intensität der sechs männlichen Darsteller & ihrer einen weiblichen Kollegin rührte womöglich daher, dass sie während der Dreharbeiten täglich nur ihre Szenen & Dialoge von dem Regisseur & Drehbuchautor erfuhren, jedoch nie wussten, »wohin sich die Figuren entwickeln & welche Rolle sie dabei spielen würden«, wie Larraín erklärte.

Die existenzielle Ambiguität aller Figuren spiegelt sich auch in der Ästhetik der ausgebleichten Farben & der scheinbaren Unschärfe der Bilder, denen vornehmlich Musiken Arvo Pärts als Klangteppich unterlegt sind. Die diffuse optische Anmutung des Films, der in einem Fischernest an der nördlichen Pazifikküste Chiles spielt (wo abseits des Dorfes auf einer Anhöhe das Haus steht, in dem die Sünder, isoliert von der Welt, untergebracht sind), reproduziert atmosphärisch die Mehrdeutigkeit des Stoffs & seiner Charaktere vor dem Hintergrund des ewig anbrandenden Pazifischen Ozeans.

Pablo Larraín, der sich zuvor in einer Film-Trilogie mit dem Chile Pinochets beschäftigt hat, die wir jedoch nicht kennen, ist ein überragender südamerikanischer Cinéast. Die ästhetische Komplexität von »El Club« bewahrt den hochaktuellen Film davor, bei diesem brisanten Thema in  schwarz/weiß-Klischees zu verfallen.

Das pseudoklösterliche Idyll, in dem die vier priesterlichen Sünder unter dem streng-sanften Kuratel der Schwester Mónica gemeinsam leben & einen ihnen zugelaufenen Windhund trainieren, mit dem sie ein lokales Hunderennen gewinnen & daraufhin diskutieren, ob sie das gewonnene Geld unter sich aufteilen oder in den Ankauf weiterer Windhunde stecken sollten, um an nationalen Wettbewerben teilzunehmen, wird jedoch durch einen überraschenden »Neuzugang« gestört. Besser gesagt, durch den pädophilen geistlichen Bruder Matias. Eines seiner frühen Opfer hat sich aber wie eine Klette an ihn gehängt & ist ihm nun auch bis in die nichts von den dort einquartierten Sündern ahnende ländliche Gemeinde verfolgt.

Es ist der schwule Säufer Sandokan. Er klagt den priesterlichen Sünder, der ihn als Messdiener verführt hatte, provozierend lautstark & peinigend detailreich vor dem Haus an, so dass die um ihre Ruhe gebrachten »Alteingesessenen« dem verfolgten »Angeklagten« eine Pistole in die Hand drücken, mit der er seinen verräterischen Quälgeist vertreiben soll. Stattdessen erschießt er sich selbst vor dem Haus.

Der Selbstmord, dessen Ursache die hinterbliebenen Priester vertuschen, ruft nun allerdings einen episkopalischen Ermittler aus Santiago auf den Plan, der die Hintergründe ebenso klären wie dann das Heim auflösen soll. Die Recherchen der strengen Person erlauben es nun dem Regisseur - im Mittelteil seines Films - die individuellen Hintergründe, das Herkommen, die Vergehen & Charaktere aller Beteiligten breit & kontrovers im Gespräch mit dem priesterlichen Ermittler ebenso darzustellen wie auch zu diskutieren.

Damit gewinnen alle Personen an emotionaler Tiefe & der Film mit seinem zentralen Thema – die Leibfeindlichkeit des Katholizismus & der Zölibat der Priester - an Komplexität. Während in dieser Phase »Der Club« seinen Stoff gewissermaßen kaleidoskopisch in unterschiedliche Aspekte zerlegt, indem Larraín die jeweiligen individuellen Verhöre des Ermittlers zu einer Folge von Gesprächs-Situationen verdichtet, aus denen hervorgeht, dass die Priester aus unterschiedlichsten Gründen von der Amtskirche in die abgeschiedene Einöde verbannt worden waren, entwickelt sich im letzten, hoch dramatischen & gewaltförmigen Teil der filmischen Erzählung der interne Konflikt zu einem öffentlichen - wobei der schwule Skandalisierer Sandokan gewissermaßen zum Katalysator (weil Sündenbock) der brutalen sexistischen chilenischen Gesellschaft der Nach-Pinochet-Zeit wird. 

Ähnlich beklemmend & vieldeutig interpretierbar wie die Schlusssequenz von Michael Ciminos »The Deer Hunter« – als die traumatisierten Hinterbliebenen derer, die durch die Hölle des Vietnamkriegs gegangen sind, in der Küche zaghaft »God bless america« anstimmen – ist auch das Ende von »El Club«. Der schwule Sandokan, dessen rabiater Verprügelung durch die Dorfbevölkerung sie alle tatenlos zugeschaut hatten, gesteht den Priestern, dass er den von ihm in den Selbstmord getriebenen Pädophilen in Wahrheit geliebt habe; der Ermittler verlangt von dem Club der sündigen Priester, Sandokan in ihrem Kreis aufzunehmen & sich um ihn zu kümmern & der schwule Alkoholiker rasselt seinen konsternierten künftigen Paten schon einmal herunter, welche drogenhaft von ihm benutzten Medikamente sie beim örtlichen Apotheker künftig regelmäßig für ihn bestellen sollten. Nach dieser Volte ins Groteske beginnen die Priester zaghaft ein Marienlied zu singen, während der Ermittler sich auf die Rückreise nach Santiago macht.

Hat er eine vergiftete provinzielle Idylle hinterlassen, als er seinen Mittelklassewagen besteigt oder nun die klaustophobische Hölle der erzwungenen Nächstenliebe für die kasernierten Priester installiert? Es ist ein Patt. Denn nur mit der erpresserischen Androhung, an die Öffentlichkeit zu gehen, hatten die Priester die Schließung ihrer Bleibe bei dem Ermittler verhindern können; im Gegenzug erpresst er sie aber mit der Zwangsaufnahme des öffentlichen Unruhestifters.

Pablo Larraíns »El club« besitzt die fortdauernde Rätselhaftigkeit, poetische Dichte & nachhaltige Beunruhigung, für die einmal im vergangenen Jahrhundert der Name Luis Bunuels stand.  

Artikel online seit 05.10.15
 

El Club
Starttermin: 05.10.15
Regie:
Pablo Larraín
Mit: Alfredo Castro, Roberto Farías, Antonia Zegers

 


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