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Systemwechsel mit der Brechstange linker
Wirtschaftstheorie |
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Leben wir in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche? Glaubt man dem englischen Fernsehjournalisten Paul Mason, lautet die Antwort eindeutig ja. Denn im Antlitz der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre seien die langfristigen Aussichten für den Kapitalismus schlecht. Schon seit geraumer Zeit leidet er an Legitimationsproblemen: Unser globales Wirtschaftssystem ist an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit gestoßen. Die Expansion der Staatsschulden, die Zerschlagung der Sozialsysteme und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich deuteten, so Mason, auf ein Ende des Kapitalismus hin. Der
wirtschaftspolitische Konsens führender Industrienationen sowie der Glaube an
ein funktionsfähiges, internationales Recht sind nach Ansicht Masons gleichsam
in Auflösung begriffen. Ein mögliches, von Mason diskutiertes, Szenario der
nahen Zukunft: An die Stelle von Frieden und Demokratie treten Folter, Zensur
und staatliche Überwachung. Und spätestens um das Jahr 2050 werden die
gravierenden Auswirkungen des Klimawandels überall zu spüren sein. Es werde
Chaos herrschen, wenn niemand für einen geordneten Übergang in eine neue
Wirtschaftsordnung Sorge trägt. Im Postkapitalismus würden zahlreiche Güter billig oder gar kostenlos, doch weiterhin produziert. Die „Auflösung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit sowie zwischen Arbeitszeit und Arbeitseinkommen“ werde institutionalisiert. Jetzt schon gäbe es Parallelwährungen, Zeitbanken, Kooperative und selbstverwaltete Wirtschaftseinheiten, die den Übergang in eine neue Zeit vorwegnähmen. Mit Hilfe der Kondratjew-Zyklen, mit Marx, Rosa Luxemburg, Lenin und Alexander Bogdanows Roman „Der rote Planet“ sowie zahlreichen historischen Exkursen über die Entwicklung von Arbeit und Gesellschaft versucht Mason seine These von einer bevorstehenden neuen Zeit, deren Gestaltung er sich zur Aufgabe gemacht hat, zu unterstreichen. Dabei soll ausgerechnet die Informationstechnologie in ein postkapitalistisches Wirtschaftssystem führen, allerdings eine Technologie, die nicht länger den klassischen Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Mason möchte darüber hinaus ein Institut schaffen, das den Übergang zum Postkapitalismus simuliert. Wie könnte eine Verstaatlichung der Zentralbanken und die politische Kontrolle der Geldpolitik aussehen, wie der Umbau des Bankensystems? Oder eine regulierte Kapitalzuteilung für Unternehmen, Wirtschaftssektoren und Kreditgeber? Gar ein Grundeinkommen für alle? Es geht ihm aber auch um die Verringerung des CO2-Ausstoßes, die Stabilisierung des Finanzsystems und die Sicherung des materiellen Wohlstands, um freiwillige Arbeit, den kostenlosen Zugang zu grundlegenden Gütern und öffentlichen Diensten, und schließlich um eine effiziente Energie- und Ressourcennutzung: „Daher müssen wir die Prioritäten eines Projekts, das uns über den Kapitalismus hinausführen wird, der vordringlichen Herausforderung des Klimawandels anpassen. Entweder wir reagieren rechtzeitig und nehmen diese Herausforderung relativ geordnet in Angriff, oder wir schlittern in die Katastrophe ... Entweder wir beseitigen die Marktwirtschaft geordnet, oder sie wird in abrupten Schüben ungeordnet zusammenbrechen. Die Alterung der Bevölkerung droht die Finanzmärkte zu überfordern, und einige Länder werden einen sozialen Krieg gegen ihre eigenen Bürger führen müssen, wenn sie zahlungsfähig bleiben wollen.“ Beseitigung der (sozialen) Marktwirtschaft? Obwohl dem Grundgesetz keine wirtschaftspolitische Programmatik inhärent ist, wäre die Auflösung der Marktwirtschaft doch ein tiefer Einschnitt in einige ökonomische verfassungsrechtliche Grundaussagen. Dazu gehören die Garantie des Privateigentums, die Berufs-, Gewerbe- und Unternehmensfreiheit, aber auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes oder das Recht auf Gründung von Handelsgesellschaften sozietärer und kooperativer Art. Unser Grundgesetz schließt eine Zentralplanwirtschaft ebenso aus wie die Herrschaft politischer Entscheidungsgewalt über die Ökonomie. Das jedoch scheint Masons Anliegen zu sein. Zumindest bedeutete das Ende der Marktwirtschaft das Ende des europäischen Binnenmarktes, das Ende des Wohlstands, der Sicherheit und nicht zuletzt des Friedens.Artikel online seit 06.07.16 |
Paul Mason |
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