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Ein
»Schwarzbuch der Schande« |
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In einem
Interview hat Alexander Kluge einmal gesagt, Menschheitskatastrophen wie dem
Holocaust oder der Schlacht von Stalingrad könne man sich als Schriftsteller
überhaupt nur mit dokumentarischen Mitteln annähern, fiktionale
Herangehensweisen verböten sich bei solchen Themen von selbst. Man kann sicher
trefflich darüber diskutieren, ob erstens dieser Satz in seiner Rigorosität
überhaupt richtig ist, und ob zweitens die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs
und die Schlacht um Berlin, die das Setting für Heinz Reins Roman »Finale
Berlin« bilden, schon wieder in eine andere Katastrophenkategorie gehörten. Der
Roman von Heinz Rein, 1947 zum ersten Mal erschienen und jetzt vom
Schöffling-Verlag neu aufgelegt, bedient sich jedenfalls einer Mischform. Das wäre vielleicht noch nicht so störend, wenn die Figurenrede nicht auch sonst allzu oft unglaubwürdig und hölzern wirkte. Etwa wenn der desertierte Soldat seiner Frau, die er nach kurzer Bekanntschaft im Fronturlaub geheiratet hatte, wieder begegnet und erkennen muss, dass sie ihn nie geliebt hat und überdies noch eine stramme Nationalsozialistin ist, die den Fahnenflüchtigen jetzt gerne ans Messer liefern würde. Das alles ist nach wenigen Wortwechseln schon klar, aber die beiden hören nicht auf zu reden, sie wiederholen sich in immer neuen Anläufen, erklären sich über Seiten hinweg bis zum Überdruss. Da verfällt man als Leser nicht selten in ein nervöses Blättern. Großartig ist der Roman immer dann, wenn Heinz Rein seine Ansichten und Reflexionen nicht den Figuren in den Mund legt, sondern die auktoriale Erzählerstimme sprechen lässt. Da wird in weit ausholenden, knallhart treffsicheren Sätzen das Grauen beschrieben, die in Trümmern versinkende Stadt Berlin, der allgegenwärtige Tod, die seelenzerfressende Angst einerseits vor den allabendlich anrückenden britischen Bombergeschwadern und andererseits vor den Nazi-Schergen, die im Angesicht des nahenden Endes noch alles andere mit sich in den Abgrund ziehen möchten. Diese Atmosphäre des universalen Misstrauens im Gestapo-Staat beschreibt Rein auf eindringliche Weise: Keiner vertraut keinem, jeder Satz will wohlüberlegt sein, ein falsches Wort und du hast eine Kugel im Kopf. In diesen starken Passagen spürt man die zeitliche Nähe zum Geschehen, spürt, wie der Autor selbst noch ganz unter dem Eindruck dieser höllischen Erfahrungen steht. Da ist es weder fiktional noch dokumentarisch, sondern ein subjektiver Blick auf das objektive Grauen. Der kürzlich verstorbene Fritz J. Raddatz hat der Neuauflage von »Finale Berlin« ein lesenswertes Nachwort beigegeben, in dem er die unübersehbaren stilistischen Mängel des Buches ganz klar benennt, ihm aber gleichwohl als Zeugnis und »Schwarzbuch der Schande« einen hohen literarischen Rang zuerkennt. Dem ist wohl zuzustimmen. Dennoch hätten beherzte Kürzungen der ausufernden Dialogpassagen – die vielleicht aus rechtlichen Gründen nicht möglich waren? – den Roman noch stärker gemacht.Artikel online seit 15.03.15 |
Heinz Rein |
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