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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Liebe, Lust und Verlust

Graham Swift beschreibt in einem eleganten, flirrenden
Meisterwerk den »Festtag« eines Dienstmädchens

Von Georg Patzer

 

"Es war März 1924. Es war nicht Juni, aber es war ein Tag wie im Juni. Es musste kurz nach zwölf Uhr mittags sein. Ein Fenster stand offen, und er ging unbekleidet durch das sonnendurchströmte Zimmer, sorglos, nackt; er wirkte wie ein Tier. Es war ja sein Zimmer. Da konnte er tun und lassen, was er wollte. Das konnte er. Und sie war noch nie hier gewesen, würde auch nie wieder herkommen. Auch sie war nackt."

So sinnlich und liebevoll beginnt der neue Roman von Graham Swift, "Ein Festtag". Ein Festtag ist es für Jane Fairchild, denn zum ersten Mal darf sie durch die Vordertür zu ihrem Geliebten ins Haus. Sonst mussten sie sich im Gartenhaus treffen oder im Wald. Heimlich, denn sie ist ein junges Dienstmädchen, seit sieben Jahren bei den Nivens, und Paul ist der Sohn und einziger Erbe der Sheringhams, verlobt mit der schönen, reichen Emma Hobday.

An diesem Sonntag, dem Muttertag, ist geplant, dass die Sheringhams sich mit den Hobhams und Nivens zum Lunch treffen und Paul seine Verlobte in einem Hotel zum Mittagessen verabredet hat. Die Angestellten haben freibekommen, damit sie ihre Mütter besuchen können. Die Waise Jane hatte eigentlich geplant, den ganzen Tag zu lesen. Aber dann kam sein Anruf: "Elf Uhr. Komm zur Eingangstür."

Es wird ein großer Tag für sie. Denn nach dem wunderbaren Sex ("sein Samen floss aus mir"...) liegt sie noch auf dem Bett, öffnet sich seinem Blick und schaut ihm beim Anziehen zu, ein Akt höchster Intimität und Nähe: "Sie hatte nicht das Laken über sich gezogen. Sie hatte sogar die Hände hinter dem Kopf verschränkt, um ihn besser ansehen zu können. Und er konnte sie ansehen." Und er hat es nicht eilig, zu seiner Verlobten zu kommen.

Immer wieder neu ansetzend lässt Swift seine Heldin, inzwischen 90 Jahre alt, diesen Tag erzählen: Langsam und genießerisch breitet sie Details aus, ihre Gedanken zu Pauls Handlungen, der ihr gestattet, noch im leeren Haus zu bleiben, als er wegfährt: "Dann war er fort. Kein Gruß. Kein alberner Kuss. Nur ein letzter Blick. Als würde er sie in sich aufnehmen, in sich hinein trinken." Nackt geht Jane in die Halle nach unten, in die Bibliothek, in die Küche, nimmt quasi Besitz vom fremden Haus und gleichzeitig Abschied.

Sanft analysiert die alte Dame im Rückblick ihre Stellung, die komplexen Verflechtungen, in denen sie einerseits Geliebte, andererseits Dienstmädchen ist und mit Paul in einem gewissen Sinn wie Mann und Frau. Sie erzählt ihre Gedanken, Vermutungen und Hoffnungen, ihre Empfindungen, während sie im Bett liegt oder durchs Haus streift, alles, woran sie sich erinnert. Denn es ist wirklich ihr Festtag, der Tag, an dem sie nicht nur ihren Geliebten verliert, der frontal gegen eine Eiche fährt und sofort tot ist, sondern auch der Tag, an dem sie beschließt, Schriftstellerin zu werden.

Swifts schmaler Roman, eher eine Novelle, ist ein elegantes, flirrendes, brillantes Meisterwerk, sinnlich geschrieben, philosophisch unterfüttert und in jedem Absatz hintersinnig nachdenkend über die Doppelleben, die wir führen, über Lebensgeheimnisse, Verzicht, Liebe, Lust und Verlust, über Schriftstellerei und das Leben.

Artikel online seit 15.05.17

 

Graham Swift
Ein Festtag
Roman
Übersetzt von Susanne Höbel
dtv
142 Seiten
18 Euro
18,00 €

Leseprobe

 


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