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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Himmel oder Hölle?

Die »Übertragungen aus der Nähe« von René Steininger

Von Robert Schwarz

 

Wenn man - als religiöser, nachreligiöser oder vollkommen unreligiöser – Mensch auf der Erde lebt, wird man auch in unseren Tagen immer noch das eine suchen, das andere zu vermeiden suchen und dabei mitunter den hartnäckigen Verdacht wälzen, letztlich doch dem anderen - der Hölle - in die Fänge geraten zu sein, während das eine - der Himmel - entweicht.

Der fünfte Gedichtband des in Wien lebenden Lyrikes René Steininger untersucht gerade diese Verhältnisse. Ein Gedichtband, der einer theoretischen Frage nachgeht? So kann man es nicht sagen, denn alle diese kurzen oder längeren Transkripte (die »Übertragungen aus der Nähe«, wie der Titel sagt) speisen sich aus banalen und weniger banalen Alltagsbeobachtungen. Es ist Stückwerk, wie könnte es auch anders sein? Dennoch bieten sich diese Stücke in Form eines Triptychons einer Gesamtschau dar und enthalten so etwas wie eine Weltschau, eine Vision oder Interpretation unserer Welt. Die Teile dieses Triptychons tragen die beeindruckenden Namen »Hölle«, »Himmel und Hölle«, sowie - wie nicht anders zu erwarten - »Himmel«. Es ist ein steiniger Weg in diesen Himmel. Auch die Lyrik dieses Bandes in dezentem Schwarz mit einem Titelbild, über das noch zu sprechen sein wird, enthält manchmal in Papier gewickelte Steine, so dass man damit nur abstürzen kann. Andererseits, und das ist eher die traditionelle Aufgabe der Lyrik, erhalten bislang unscheinbare und ausgeleierte Dinge manchmal Federn, und man hebt unversehens ab. Bei diesem Autor kann man sich aber nicht aussuchen, was man lieber möchte. Man bekommt beides.

»...Diese beiden Mysterien sind nämlich innerlich verbunden,
getrennt nur durch einen Buchstaben
der die Wunde manchmal zu einem Wunder verklärt
und das Wunder wieder zur Wunde verkürzt
...« (Der hypochondrische Eid)

Das Gedicht endet mit einer Erinnerung (»Fühle mit, aber versuche nicht selbst der Urheber von neuen Schmerzen zu sein...«) an das Weh der Geburt, mit der alles begann und mit der man auch schon einem anderen Wesen weh tat. Entrinnen gibt es aber auch trotz dieser ersten, unfreiwillig zugleich zugefügten und erhaltenen Aggression keines, und so werden wir in einer nächtlichen Geriatrie Zeugen dafür, wie sich das groteske Schnarchen der Alten mit dem Schlürfen der letzten Tropfen einer Himbeerlimonade verbindet. Was hat das kurze Leben dazwischen eigentlich zu bedeuten?

Ich weiß nicht, ob sich der lyrische Sammler solcher Dokumente dessen bewusst ist, sein Triptychon entfaltet jedenfalls eine vollendet gnostische Vision. Das ist spannend, herzzereißend, traurig, erhebend, frustrierend und eigenartig triumphierend manchmal, und jeder muss letztlich selbst entscheiden, ob er darin seine eigene Welt wiedererkennt oder nicht. Jedenfalls lädt diese sachlich daherkommende Lektüre der Verhältnisse ein zu einer Auseinandersetzung mit den immer noch attraktiven apokalyptischen Horizonten namens Himmel und Hölle. Die Gnosis war eine religiös-philosophische Strömung vor und nach der Zeitenwende, also der Geburt Christi, der als stumm bleibender Zeuge auf allen drei Tafeln des nachreligiösen Altarbildes auch mindestens einmal kurz auftaucht – ein unerlöster Begleiter aus der Tiefe der Zeit. Der Tod ist dunkel, und auch diese Welt ist für die, die darin existieren müssen, nur ein riesiger dunkler Schoß (»Kalte, dunkle Schöße, in denen sich monoton das Leben fortpflanzt«, Variationen zu einem Satz von Guido Ceronetti). Die Menschen sind gefangen in der Illusion, dass es gut wäre hier zu sein – der Demiurg genannte Schöpfer dieser Welt ist aber Teil des Bösen und die Welt eine abgrundtiefe Falle. Nur die, die das verborgene Licht erkennen, das von einer anderen Späre herkommt, können dem Verhängnis entrinnen. Und so sehe ich diese Lyrik (auch wenn sie sich oft und bis zum Übermaß komischer und parodistischer Formen bedient): Sie will das Finstere, Lichtlose aussprechen und zugleich die Gegenkräfte des Aufstiegs beschwören.

Zum Finsteren zählt die Tatsache, geboren worden zu sein, das Schicksal, alt und gebrechlich zu werden, ein vollkommen sinnloser Tod, der die ganze Diashow des Lebens als lächerliches Ausweichmanöver bloßstellt, die Grausamkeit und Lieblosigkeit der Menschen, Psychopathen, Mörder und Folterer als die apokryphen Priester einer Religion des Bösen, und verstörte Zeitgenossen, die entweder glauben, sich mit einer Pumpgun den Weg ins Paradies freischießen zu müssen oder rettungslos Entgeisterte, denen nichts mehr zu tun bleibt als vom Balkon ihrer Wohung aus auf irgendwelche Zufallsbeglückte hinunterzuschiffen. René Steininger hat ein Auge für die komische Banalität des Bösen. Manchmal blitzt auch so etwas wie eine ironische Sympathie mit dem Kunsthandwerk des Bösen auf, aber nur, wenn es künstlerisch und hemmungslos egozentrisch auftritt.

Zu den Gegenkräften, die Licht, Aufstieg und Ekstase in die Welt bringen, gehört für ihn zweifellos an erster Stelle die erotische Liebe, und, das muss als Warnung für zartbesaitete LeserInnen wohl dazugesagt werden, ihre Hauptwerkzeuge, die Genitalien. Aus manchen Gedichten spricht geradezu eine Genitalbesessenheit, etwa wenn (und zwar auf der Himmelstafel) Luthers Psalm »Der gute Hirte« als großer Anruf des tröstenden und allrettenden Sexes nachgedichtet wird: »Dein Schwanz ist mein Herr; mir wird nichts mangeln.« (Psalm-Palimpsest) Die urkomische Wichsmaschine (Betriebsanleitung SOLOFUN WIXER) ist hingegen in die Twilight-Zone Himmel und Hölle verbannt, wie es sich gehört. Andere Aufstiegskräfte sind natürlich die Lyrik selbst (»gute Gedichtefliegen aufwie ein Schwarm Fledermäuse«), die Treue an die ergraute Geliebte im Farbton eines strahlenden Gelbs, ein Blick ins künstlerisch vorgestellte Paradies, die Schrift der Vögel am Himmel, überhaupt geöffnete Volieren, Freundschaft, Fußball und überraschende Momente.

Im Chiaoscuro finde ich diesen Künstler der Existenz am besten. Die interessantesten Gedichte bringen vieles zusammen (Der hypochondrische Eid, Bucolica), ohne endgültige Entscheidung. Was mich indes am meisten berührt, sind die kleinen Beobachtungen und Phantasien im Alltag (Wilderer at Heart, Kaltaquise, Unerwartetes Zwischenhoch, Epilog auf eine Melone, Craquelé), um die geht es hier nämlich letztlich, und sie sind der Aufmerksamkeit allemal wert. Sie heben das Leben. Und dann braucht es keine das Ich aufreizende Betroffenheit, die in manchen anderen Gedichten mitschwingt.

Vielleicht ist es auch ein Ton der Klage, denn der Himmel, so sehr er herüberleuchtet, ist brüchig. Das Gewicht der Fakten gegen das Leben in diesem noch fortlaufenden Prozess (Kafka) ist einfach enorm. Im mittleren Bereich (Himmel und Hölle) überwiegt in Steiningers Werk die eigentlich unerträgliche, zerreißende Konfrontation. Ein Bereich der Mitte, in dem der Mensch sich mit Zuversicht entfalten könnte, ist eigentlich nur schwach angedeutet. Mag sein, sagt er, dass im Menschen ein Engel steckt, aber dieser Engel muss abstürzen (Aus dem Wörterbuch eines Angelologen). Die Erde ist und bleibt »die lichtabgewandte Seite des Himmels« und Geschichte ist »die Summe aller fehlgeschlagenen Flugversuche«. Solche schwarzhumorigen Formulierungen sind Medizin für eine angeschlagene Seele, doch sie tragen in der Tat nicht sehr weit. Auf den jähen Abstoß von der dunklen Erde folgt – wie nach dem Erguss des sexuellen Akts – der Absturz. Und wie schmeckt die Welt dann? Was klingt dann noch nach?

Der Gedichtband »Übertragungen aus der Nähe« führt den aufmerksamen Betrachter, der es nicht nur auf schnelle Museumseffekte und starke Reize abgesehen hat, genau auf diese Frage zu. Was ist ein erträgliches Leben? Einige Seiten sind noch unbeschrieben. Das Wünschen muss sich auch dem mittleren Bereich zuwenden, und in diese Richtung bewegt sich vielleicht das unterschwellige Suchen. Wer kein Apokalyptiker oder Gnostiker ist, mag die Sache des Lebens nicht verlorengeben. René Steininger findet diese im wahrsten Sinne des Wortes schöne, leuchtende Unmittelbarkeit vor allem bei den Tieren, denen sich der vorhergehende Gedichtband (In Margine, Buxtehude 2015) zuwandte. Darin findet er eine – von uns selbst, vom Menschen – bedrohte freischwingende Immanenz. Aber der Mensch – wir selbst – wie kann man es mit ihm aushalten?

Das Titelbild zeigt einen kleinen Christus in blauen Shorts in der Pose des Rodinschen Denkers – fotografisch festgehalten hinter gewaltigen Gitterstäben, die wie ein kosmisches Raster sind. Eigentlich ist er gar nicht eingesperrt, aber er scheint ratlos, weiß nicht recht, was er nach der vielleicht vollommen sinnlosen Anstrengung der ganzen Kreuzigung nun machen soll. Ist es mit seiner Erleuchtung zu Ende, war alles eine große Illusion? Er selbst wirkt erstaunlich frisch und echt.

Wer glaubt, dass die Sache der Dichtung leicht ist, dem gibt R. Steininger ein kleines Rezept mit auf den Weg:

»Zutaten: 1 Gedanke/Einfall, 250 – 350 Zeichen, ¼ L Whiskey, 2 EL schwarze Galle, ½ Lorbeerblatt, ¼ L Magenbitter, 1 Prise Poesie, 1 Messerspitze Pointe, Etwas Hirnschmalz für die Form« (Einfaches Gedicht nach Hausmannsart).

Die weiteren Einzelheiten der Zubereitung entnehmen Sie bitte dem Buch.

Artikel online seit 25.02.16
 

René Steininger
Übertragungen aus der Nähe
Verlag Rote Zahlen
Hardcover
108 Seiten
€ 15,95
978-3-944643-66-3

 


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