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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Erdungen eines Luftgeistes

Arno Schmidt mit Bild &Text

Von Wolfram Schütte

 

Wissen wir nicht längst alles, was es von Arno Schmidt zu wissen gilt? »Wir« meint alle jene, die von seinen ersten Büchern bis zu den letzten Tagebüchern Alice Schmidts alles von ihm & über ihn gelesen haben & ihr Eigen nennen. Obwohl oder gerade weil er sich vom »Literaturbetrieb« (ebenso wie von der allgemein gebräuchlichen Sprache & Prosa) radikal entfernte & sich in jeder Hinsicht persönlich isolierte, ist Arno Schmidt der einzige deutsche Autor von Rang, der ohne sein Zutun oder seinen »Segen«, unter seinen Lesern einen Kreis von »Fans« hat. Es sind weit verstreut lebende Literatur-Liebhaber & -Kenner, die vornehmlich in den bislang mehr als 400 Nummern des »Bargfelder Boten« über AS & die verborgenen Feinheiten, Rätsel & offenen Geheimnisse seines Oeuvres sich regelmäßig & intensiv austauschen & verständigen.

Obwohl die darin sichtbare Leidenschaft für das Schmidt-Kundige gelegentlich Züge des Fanatischen besitzt, bezeichnet das durch den Nationalsozialismus nachhaltig kontaminierte Wort nur unzureichend die Geistesverfassung der AS-Aficionados. Deshalb ist deren popkulturelle Bezeichnung »Fan« zutreffender. Von dem Begriff einer »Gemeinde«, wie sie sich meist um weltanschaulich fixierte Autoren bildet, trennt die AS-Fans die dem Objekt ihrer beschäftigenden Zuneigung nachempfundene Respektlosigkeit, Ironie & Witz: allfällige Gegengifte zu hagiographischen Versuchungen.

Diese Fan-Leser – unter denen übrigens heute viele Leserinnen anzutreffen sind – kennen nicht nur das gesamte Oeuvre, sondern haben meist auch alle Biographika des Autors präsent, die das persönliche Image des »Solipsisten in der Heide« (Heißenbüttel) ganz wesentlich ausmachen. Speziell dazu gehört das noch von AS initiierte »Porträt einer Klasse« (über seine Hamburger Kindheit & Jugend) wie auch seine dicht gestreuselten autobiographischen Reminiszenzen in seinem letzten vollendeten Typoskript »Abend mit Goldrand« (1975).

Was über das private Leben & die (gemeinsamen) Arbeiten des Ehepaars Schmidt an den verschiedenen Orten ihrer dürftig-armseligen Existenz als schlesische »Umsiedler« in der Bundesrepublik zu erfahren ist, liegt in den zahlreich edierten Briefwechseln & den zwei Tagebüchern Alice Schmidts als intimes (auto)biographisches Material vor. Die von der Witwe Schmidt 1981 mit dem großzügigen Stifter Jan Philip Reemtsma gegründete, in Schmidts letzten Wohnort Bargfeld ansässige & schließlich nach verschiedenen Verlagswechseln bei Suhrkamp heimisch gewordene (& selbstständig gebliebene) Arno-Schmidt-Stiftung hat durch eine bedachtsame Editionspolitik nicht nur sich um die Präsenz der philologisch gesicherten Primärtexte des Schriftstellers gekümmert, sondern auch z.B. den zu seinen Lebzeiten unbekannten, durchaus beachtlichen Landschaftsfotografen AS seiner staunenden Leserschaft vor Augen geführt. Nur der viel versprechende Briefwechsel mit Schmidts einzigem literarischen »Schüler«, Hans Wollschläger, steht noch als zentrales Ereignis aus.

Jetzt aber ist »Eine Bildbiographie Arno Schmidt« erschienen. Sie gleicht mit ihrem mächtigen Umfang von 453 Seiten im DINA4-Format früheren Bildbiographien des Suhrkamp-Verlags, ist jedoch - wie es sich für Schmidt & der Bargfelder Stiftung einfach »gehört« - deutlich davon geschieden. Ein Solitär von Bildbiographie, die mit ihren 2 Kilogramm zwar nicht an das unübertreffliche Gewicht von »Zettels Traum« heranreicht, aber in Friedrich Forssmanns meisterhaften Typografie so etwas wie die gewichtige Lutherbibel des gebildeten Arno-Schmidt-Lesers werden könnte, wenngleich sie sich selbst nur als Vorschule einer Arno-Schmidt-Biografie versteht.

Obwohl die Neuigkeiten, die durch das biographische Kompendium über AS in die Welt kommen, sich in Grenzen halten, muss man mit Freude & Bewunderung gestehen: so brillant montiert, sinnlich & schön präsentiert, umfassend & Schmidt-affin waren sie alle noch nicht an einem Ort als farbiges Kaleidoskop & als umfassender Katalog versammelt worden. Gerne verweilt man nachdenklich & träumerisch auf diesem anregenden Assoziationsgelände von Texten & Zeichen der Arno-Schmidt-Welt.

Ausgewählt & als Sammlung konzipiert wurden die unterschiedlichsten Materialien & Zeugnisse von der österreichischen Herausgeberin Fanny Esterhazy. Bernd Rauschenbach von der Stiftung hat den 11 Großkapiteln ausführliche Darstellungen & Erläuterungen beigefügt. Chronologisch werden die entscheidenden lokalen Stationen der Vita Schmidts - von Arnos Geburtsort Hamburg bis zum Grab des Paares im Garten ihres Anwesens in Bargfeld (Krs.Celle) – umrissen. Sie geben dem Kenner des Schmidtschen Oeuvres auch gelegentlich Anlass zu liebevollen humoristisch-ironischen Kommentierungen, so dass man sich lesend in Rauschenbachs gut gelaunten Begleitung in »Schmidt-County« recht wohl & alsbald wie zuhause fühlt.

Arno Schmidt hatte schon von seiner literarischen Sendung & künstlerischen Bedeutung eine ebenso klare wie zweifelsfreie Vorstellung,  als der kaufmännische Angestellte & Soldat im verachteten NS-Staat noch gar nicht öffentlich als Schriftsteller & Buchautor hervorgetreten war. So arrogant sein Selbstbewusstsein als literarisches Genie erscheinen mag – und einige seiner derart auftretenden frühen Helden hat der späte Schmidt selbst zurecht für »unsympathisch« gehalten -, der selbstbewusste »Wortmetz« hat seine Einzigartigkeit immer als lebenslange verpflichtende Fron im Dienst von Kunst & Gesellschaft angesehen: als literarischen  »Ahnen-& Enkeldienst« (»Schule der Atheisten«). Es ist fast von metaphysischer Dignität, dass der letzte Gedanke, den Arno Schmidt in seinem »Julia«-Fragment zu Papier brachte, die Frage war, ob »Fleiß eine Tugend«  oder doch sogar »für Menschen & Tiere eine (Lebens)Notwendigkeit« sei. Für ihn zumindest trifft beides zu.

In dieser asketischen Pflicht zur literarischen (Höchst)Leistung überlebt unbewusst jenes »DichterPriestertum«, über dessen pseudoreligiösen Anspruch der erklärte Atheist sich immer abfällig geäußert hatte. Das hinderte den leidenschaftlichen Positivisten nicht daran, laufend für seine »Individuelle Mythologie« (Harald Szeemann) alles zu sammeln & aufzuheben, was unsereiner als alltäglichen »trash« wegwirft, also z.B. Rechnungen, Prospekte, Briefe, Fahrkarten usw.

Diese winzigen, beiläufigen Spuren von seinen Erdentagen waren ihm (& seiner Frau) nicht nur Hinterlassenschaften ihres banalen Alltags, sondern beredte Zeugnisse ihres zeitgenössischen Lebens. Sie dienten ihm manchmal auch noch als Unterfutter, mit dem er seine erzählerischen Fiktionen tiefporig mit Realien ausfütterte. In den Typoskripten ab »ZettelsTraum« hat er sie sogar gelegentlich einmontiert & dadurch den Text piktoral erweitert. Für die jetzige Bildbiografie lag also ein reicher wie kunterbunter Fundus an Illustrationen bereit.

Die »Bildbiographie Arno Schmidt« ist ihrem Gegenstand gewissermaßen zweifach verpflichtet: zum einen durch die Fülle der optischen Materialien, die die Schmidts hinterlassen haben. Dazu gehören neben den Alltagstrivialitäten (wie z.B. dem Etikett der »Alten Kanzlei«, eines vom Autor besonders geschätzten & konsumierten norddeutschen Weinbrands), aber auch Landschaftsfotos, Grundrisszeichnungen der verschiedenen Wohnungen oder kartographisch fixierte Erinnerungen Schmidts an Wohn-Orte oder Gegenden. Zum anderen entspricht die kaleidoskopische Anmutung der hier ausgebreiteten & versammelten Bild- & Text-Materialien (Zitate aus Briefwechseln, Tagebüchern, Dokumenten & Werken) der »Löchrigkeit des Gedächtnisses«(AS). Nicht alles im Leben von Alice & Arno Schmidt kann jedoch mit den vorhandenen Dokumenten »anschaulich« gemacht werden. Aber das Vorliegende reicht aus, um einen intensiven Eindruck zu gewinnen von den Nachkriegswanderungen des einander verschworenen  Paars & seinen jahrzehntelangen prekären Lebensverhältnissen.

Da Schmidt dem Schriftsteller die Kardinalaufgabe zugesprochen hat, so exakt wie möglich ein Bild von seiner Zeit zu überliefern, forderte er von der Biografie eines Schriftstellers das gleiche positivistische Erscheinungsbild. Spätestens 50 Jahre nach seinem Tod müsste, gewissermaßen von Gesetzes wegen, eine solche Biografie erstellt werden: »Nichts kann wichtiger sein, als das betreffende große >Gehirntier< (…) uns in allen Einzelheiten sichtbar zu machen; auf dass wir erfahren, aufgrund welcher geistigen und körperlichen Ökonomie (oder auch Nicht-Ökonomie), aufgrund welcher Anlagen und guten (bzw. schlechten) Eigenschaften & Angewohnheiten die betreffenden Höchstleistungen zustande gekommen sind«. In ZT richtet sich sein Furor, die existenzielle Unterfütterung der literarischen Fiktion dingfest zu machen, sogar noch auf das Fernsehen: »moderne Schriftsteller müßten gesetzlich dazu angehalten werdn«, zu notieren, »was für Sendungen sie-sich so täglich angesehen haben«.

Et alors?

Mit solchen biographistischen Fliegenbeinzählereien haben die beiden Schmidts in der Nachkriegszeit als recherchierende Tandemfahrer zu Kirchenbüchern in der norddeutschen Tiefebene den ebenso überflüssigen wie irrwitzigen »biografischen Versuch Fouqué und einige seine Zeitgenossen« realisiert – ohne dass einem als heutigem Leser einsichtig würde, warum Schmidt über 700 knochentrockene Seiten geschrieben & worin die literarische Qualität des vergessenen Oeuvres des heute nur noch als Autor des »Undine«-Märchens bekannten Dichters bestehen könnte.

Interessant ist aber, dass das bitterarme Ehepaar sich »einen großen Wunsch erfüllte« & »schweren Herzens« für 68 Mark »ein Photel« (Alice Schmidt) kaufte, eine einfache Kamerabox, deren Selbstauslöser sie allerdings insgeheim »mitgehen« ließen - & das (1950) zu einer Zeit, als Alice noch Arnos Bleistift-Manuskripte auf einer geborgten Schreibmaschine abschreiben musste.

Die Vielzahl von privaten Fotos - auch aus der Vorkriegszeit – unterstreicht Schmidts fotografische Passion, die jedoch erst später – in der ersten Hälfte der Bargfelder Jahre – sich entfaltete, als er noch mit seiner Frau oder mit den bis dato befreundeten Ehepaar Michels die Heidelandschaft durchstreifte & vornehmlich in den Erzählungen der »Kühe in Halbtrauer« (1964) seine literarischen Phantasielandschaften konkretisierte. Ab dem Arbeitsbeginn von »Zettels Traum« Mitte den Sechziger Jahre bricht er den Kontakt mit den Michels brutal ab & geht zum Leidwesen Alices kaum noch aus dem Haus oder vom Grundstück.

Immerhin hatte man in der Bargfelder Robinsons-Klause von 1963 an Telefon & Fernseher (ab 1969 sogar einen Farbapparat). Das waren vornehmlich pazifizierende Zugeständnisse an Alice, wenngleich der Herr & Meister abends durchaus gemeinsam mit seiner Frau wie Hinz & Kunz nach der Tagesarbeit »zur Erholung« sich z.B. von Prof. Grzimeks »Platz für Tiere« unterhalten ließ - wie in einer abonnierten Fernsehzeitschrift angekreuzt ist. 1966 hatte er sich als »akustisches Mikroskop« den »Globetrotter« angeschafft, von dem es in »Zettels Traum« heißt, er sei »1 Meiner (spärlichn) Verbindungen zur AußnWelt«. Ob & wie oft & wofür er ihn benutzt hat, ist nicht recherchierbar. Als ein informierter Kenner der weltgesellschaftlichen Entwicklungen ist der späte Schmidt nicht bekannt.

Arno Schmidts radikaler, nahezu totaler Rückzug aus der (lärmigen) »AußnWelt«, die ihn an der seine Hochkonzentration verlangenden literarischen Arbeit hinderte, hat viele Gründe. Einer davon aber dürfte außergewöhnlich, wenn nicht sogar einzigartig für einen Schriftsteller sein. Alice Schmidt spricht davon anlässlich einer Reise im »teuersten Opel« der Michels. Obwohl ihnen Arno abgeschrieben hatte, besaßen die freundlichen Michels aus Kronberg bei Frankfurt »die Frechheit« (Arno S.) nach dem saarländischen Kastel zu kommen, wo die Schmidts in bedrängten Verhältnissen (beidseits des Hausflurs) damals hausten. Man besuchte mit dem »immerhin gut gelaunten  Arno«  am 2. Juni 1955 im bequemen Auto dann  Gerolstein, die Igeler Säule bei Trier & die Mare der Eifel. Am Abend der »wunderschönen Autofahrt, Ca.200 km« (Alice) kommentiert Arno Schmidt den  ereignisreichen Tag: »Igeler Säule. Ja, das war ein Genuß. Aber nur die. Das andere zuviel. Zu viele Bilder!«- notiert Alice in ihrem Tagebuch.

Ganz offenbar litt Arno Schmidt an dem, was jeder Reisende sucht: Eindrücke von Abbildern der Welt zu bekommen. Deshalb wollte er auch nicht reisen & die paar größeren Exkursionen, die sie unternahmen, wurden sofort fiktional »verarbeitet« (siehe z.B. »Seelandschaft«, »Steinernes Herz« oder »Schule der Atheisten«). Novalis' romantische Empfehlung, sich reisend »auf den geheimnisvollen Weg nach innen« zu machen, hieß für den Schriftsteller Arno Schmidt, sich ins fiktional(isierte)e Innere der Sprache einzunisten. Die Bildbiografie Arno Schmidts erzählt von seiner »AußnWelt« – aus der er sich mit seinem Oeuvre immer entschiedener herausschrieb & -phantasierte.

Artikel online seit 21.12.16
 

Fanny Esterhazy (Hrsg.)
Arno Schmidt.
Eine Bildbiographie
Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
460 Seiten, zahl. Abb.,
68,- €
978-3-518-80400-1
 

 

 


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