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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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»Ganz normale Leute«

Klaus Theweleit hat »Das Lachen der Täter« analysiert
und ein eindrückliches
Psychogramm der Tötungslust erarbeitet

Von Andreas Wolf

 

Die zweibändige Studie »Männerphantasien« über den soldatisch-faschistoiden Männertypus, machte ihren Autor Klaus Theweleit Ende der Siebziger Jahre schlagartig bekannt und leistete einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Theweleits jüngstes Buch »Das Lachen der Täter: Breivik u.a.« ist eine Art Nachtrag oder aktualisierendes Update zu den »Männerphantasien«. Theweleit analysiert darin alle möglichen Greueltaten der jüngeren Vergangenheit – vom Genozid in Ruanda, über Breiviks Massaker auf der Insel Utøya, bis hin zu den Enthauptungskommandos des IS – und identifiziert dabei das Lachen der Täter als verbindendes Element dieser oberflächlich betrachtet doch ganz unterschiedlich motivierten Morde. Greueltaten, die so schrecklich sind, dass es uns beim bloßen Lesen schon die Luft abwürgt, werden von denen, die sie begehen, mit schallendem Gelächter kommentiert. Dieser erstaunlichen, ja völlig unverständlich scheinenden Tatsache geht Theweleit auf den Grund, sucht nach Erklärungen.

Formal betrachtet hat Theweleits Buch zunächst einmal die Gestalt einer riesigen Materialsammlung. Unzählige Zeitungsartikel werden ausführlich zitiert und vom Autor nur mit eher knappen Kommentaren und Querverweisen versehen. Und allein dies ist schon ein Verdienst des Buches: das Zusammentragen und Bündeln dieses ganzen Materials, das dem Leser in dieser Verdichtung Schauder des Grauens über den Rücken jagt. Was Menschen überall und zu allen Zeiten anderen Menschen für Grausamkeiten antun, ist schlicht unfassbar. Und tatsächlich – die Fülle der Belege ist erdrückend: Die lachen alle, diese Folterer und Mörder. Ob Breivik, der wehrlosen Schülern ins Gesicht schießt, oder die Schlächter, die in Ruanda ihre Nachbarn und Bekannten niedermetzeln und auch vor Kindern oder schwangeren Frauen nicht Halt machen: Sie alle lachen, während sie morden.

Zwischen die faktengesättigten Materialteile sind immer wieder mit »Theorie« betitelte Einschübe geschaltet, in denen nach Erklärungen für das scheinbar Unerklärliche gesucht wird. Was Theweleit hier vor allem zeigt, ist die Austauschbarkeit der Ideologien, in deren Namen die Täter handeln. Wichtig ist nur, dass sie sich auf eine höhere Instanz berufen können, irgendeine »Lehre« oder »Organisation«, die zur Rechtfertigung der Taten herangezogen werden kann. Aber welche das im konkreten Einzelfall dann ist, bleibt letztlich dem Zufall überlassen, ist eigentlich egal. Breivik etwa, der sich auf einen mehr oder weniger herbeifantasierten Tempelritterorden bezieht, macht im Grunde nichts anderes als die IS-Henker, die vorgeben, den Koran zu erfüllen. Derlei Rechtfertigungsmodelle sind immer konstruiert, so wie ja auch die »Rassenlehre« der Nazis jeglicher rationalen Grundlage entbehrte und den Tätern dennoch als Rechtfertigung für millionenfachen Mord dienen konnte.

Dies aufzuzeigen ist vielleicht das größte Verdienst des Buches, gerade in Zeiten, wo angesichts der Schockvideos des IS oder dem Charlie-Hebdo-Attentat die Angst vor »dem Islam« oder einer drohenden »Islamisierung des Abendlands« immer mehr zu wachsen scheint. Die Bereitschaft zu foltern und zu morden ist nichts, was »dem Muslim« exklusiv in die Wiege gelegt ist oder in dessen Religion tiefer verankert wäre als in anderen Religionen und Ideologien. Stattdessen verweist Theweleit auf das meist jugendliche Alter der Täter und auf den konkreten Körper des Einzelnen, der gerade die inneren Umwälzungen der Pubertät durchläuft. Da müssen wir natürlich alle durch, und nur die wenigsten werden deswegen zu Mördern, aber genau darauf will Theweleit hinaus: Die Mörder sind keine Ausnahmemenschen. Aus dem wiederkehrenden Staunen der Nachbarn von Amokläufern – »Er war doch ein ganz normaler Typ!« – zieht Theweleit die Konsequenz: Die Täter sind in den meisten Fällen eben keine Geisteskranken, Narzissten oder sonstige gestörte Sonderpersönlichkeiten. Sie sind »ganz normale Leute«.

»Junge Menschen, insbesondere junge Männer mit der Empfindung einer gesellschaftlichen Ortlosigkeit, die im adoleszenten Alter immer mit einer körperlichen Unsicherheit einhergeht, sind massiv davon bedroht, in diesem Zustand körperlich zu fragmentieren. Wenn dann die Unsicherheit über den eigenen sexuellen Status hinzukommt, wenn noch eine Freundschaft bricht, eine Liebesbeziehung oder eine Vereinszugehörigkeit misslingt und bei der Gelegenheit noch »Du gehörst ja nicht hierher« ins Spiel gebracht wird, geht der schwache Boden unter den Füßen womöglich ganz weg: »Hier werde ich nie was!« »Hier lässt man mich nicht leben!« Dann muss etwas Größeres her. Diesen Zustand aufzufangen und zu bearbeiten, stehen offenbar »Prediger« bereit.« (Theweleit, Das Lachen der Täter, S. 218)

Was nun das Lachen betrifft, zieht Theweleit neuere Forschungen heran, denen zufolge das Lachen phylogenetisch aus dem Zähnefletschen heraus entstanden ist. Das Lachen ist sozusagen die zivilisierte Variante des drohenden Zähnezeigens. In dieser Zivilversion stellt es geradezu die Zurücknahme des angedrohten Bisses dar, trägt aber sein archaisches Erbe immer mit sich. Theweleit: »Jedes Alltagslachen hat tötende Anteile wie auch zivilisierende, dazwischen seine unzähligen Übergänge; es existiert vor allem in Mischformen. [...] Das Lachen der Killer ballt sich ganz auf der Gewaltseite; das vernichtende Lachen. Die zivilisierenden Anteile sind gekappt bzw. waren nie da.« (S. 135) Anders gesagt: Der permanent von Fragmentierung sich bedroht fühlende Körper des Killers braucht den Mord, um sich vorübergehend »ganz« zu fühlen. Der andere muss zerstückelt daliegen, damit der Mörder eine temporäre Ganzheit erfahren kann, und dieser Zustand wird vom Killer als ein Rausch erlebt, der sich in diesem ganz auf der Gewaltseite stehenden Vernichtungslachen äußert.

An diesem gemeinsamen Merkmal, dem überall anzutreffenden Vernichtungslachen der Killer, entlarvt sich deren strukturelle Identität, wie verschieden oder gar diametral entgegengesetzt die Ideologien auch sein mögen, in deren Namen zu handeln sie vorgeben. »Breivik ist strukturell patriarchalischer Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann.« (S. 108) Wem dieser Satz paradox vorkommt, der sollte unbedingt Theweleits Buch lesen.

Artikel online seit 24.04.15
 

Klaus Theweleit
Das Lachen der Täter:
Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust
Residenz-Verlag,
248 Seiten
22,80 Euro
ISBN: 9783701716371
ISBN ebook: 9783701744817

 


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