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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Ahnen-& Enkeldienst

Zum Tod von Hans Albert Walter

Eine Erinnerung von Wolfram Schütte

 

Wahrscheinlich war es in der restaurativen Adenauerzeit nicht das Schlechteste, aus einem antifaschistischen Elternhaus zu stammen, selbst wenn in ihm weder »Gainsboroughs hingen« (Benn) noch nennenswerte Belletristik vorhanden war. Aber die Erinnerung an das Grauen der Nazizeit war dort präsent geblieben, das in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft verdrängt, vertuscht oder durch »das Wirtschaftswunder« übertüncht wurde.

Der 1935 in Hofheim (Taunus) geborene Hans Albert Walter stammte aus einem solchen antifaschistischen Elternhaus. Er hatte die Mittelschule absolviert  & von 1952/57 eine kaufmännische Lehre gemacht. Da las der 22jährige junge Angestellte kurz hintereinander Thomas Manns »Doktor Faustus« & Gedichte Bert Brechts. Diese Lektüren haben sein Leben buchstäblich verändert. Vor allem, als er nach diesem von ihm beschriebenen Initiationserlebnis bemerkte, dass das Phänomen der deutschen Exilliteratur jenseits des weltbekannten Lübecker Romanciers & des Augsburger Stückeschreibers zugunsten der sogenannten »Inneren Emigration« abgewertet, bzw. verdrängt oder gar verschwiegen wurde. Empört über diese fortdauernde Mißachtung des weit gefächerten literarischen Erbes der »verfemten Literatur« des »besseren Deutschlands« während der Nazijahre, sattelte der kaufmännische Angestellte um & machte sich – als akademischer Dilettant (!) ebenso mutig wie eigensinnig - an die mühevolle Arbeit, im Laufe seines Lebens diese klaffende Lücke der deutschsprachigen Literaturgeschichte mit unermüdlicher Energie, Geduld & Leidenschaft zu schließen. 

Zuerst finanzierte der junge Literaturkritiker – zusammen mit seiner Frau Adeline, einer Kunsthistorikerin – diese literaturhistorische Passion als Freiberuflicher. Hans Albert Walter schrieb Schulfunk- wie Abendstudiosendungen; beide arbeiteten regelmäßig als Rezensenten im Funk & in Zeitungen. Davon konnte man damals, wenn auch sehr bescheiden & in einem ererbten Haus wohnend, geradeso leben. Aber das ließ wenig Zeit, Walters großes Projekt einer vielbändigen, akribisch recherchierten Geschichte der »Deutschen Exilliteratur 1933-1950« zu erarbeiten.

Der Tübinger Ordinarius Walter Jens vor allem war es, der mit seinen Gutachten immer wieder (1968/69 & 1973/75) für Jahresstipendien der deutschen Forschungsgesellschaft sorgte. Sie erlaubten dem fleißigen, energischen, kundigen Rechercheur & Kritiker Hans Albert Walter, sich ab 1961 nahezu ausschließlich seinem Lebensprojekt zu widmen. HAW. wurde mit seiner immensen Kenntnisfülle & unbestechlichen Empathie zum einzigartigen Kenner (& Liebhaber) der deutschsprachigen Exilliteratur. Parallel zu seiner Geschichte edierte Walter in der gewerkschaftseigenen »Büchergilde Gutenberg« (wo sonst?) eine von ihm einlässlich kommentierte »Bibliothek Exilliteratur« in mehr als zwei Dutzend Bänden.

Um seine materielle Existenz auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen, erreichte Jens schließlich, dass die Hamburger Universität 1976 eine »Arbeitsstelle für Exilliteratur« einrichtete. Walter wurde als zu deren Leitung als Professor berufen. Auf einmal war der Forscher, der in die Akademische Community aufgenommen worden war, seine bisherigen materiellen Sorgen los. Als solche »Versorgung« war die einzig für HAW gedachte Professur gedacht.

Aber fünf Jahre später trat er unter Protest (»gegen die unzureichende Ausstattung der Arbeitsstelle«) verbittert zurück – anstatt diese akademische Sinekure, wie von Walter Jens gedacht, als notwendiges materielles Basislager für seine einsamen Exkursionen in das zunehmend prekärer werdende Gebiet der Exilforschung zu nutzen.

In dieser Zeit, als die bundesdeutsche Gesellschaft ihm drastisch vor Augen geführt hatte, welches Desinteresse sie seiner solitären Passion des literarhistorischen »Ahnen- & Enkeldienstes« (Arno Schmidt) entgegenbrachte, rieten ihm wohlmeinende Freunde, erst einmal (um sein freiberufliches Überleben zu sichern), sich als Literaturkritiker aktueller Literatur zuzuwenden & die Exilforschung zurückzustellen. Auf Äußerste erzürnt, wies der empörte Hans Albert Walter eine solche Arbeitsverlagerung zur eigenen Existenzsicherung von sich, weil er das buchstäblich als Verrat an seinem moralisch-politischen »Auftrag« empfand, die von den Nazis & deren willigen Landsleuten ins Elend des Exils Getriebenen mit ihrer Biographie & ihrem Werk ehrenvoll heimzuholen & sie wenigstens postum präsent zu halten.

Weiß der Himmel, wie die beiden ohnehin höchst bescheiden Lebenden fortan materiell über die Runden kamen. Glücklicherweise erhielt HAW 1993 den Hessischen Kulturpreis für Wissenschaft & 2007 das Bundesverdienstkreuz. Als er jetzt am 22.2. an seinem Geburtsort Hofheim starb, hatte der Einundachtzigjährige noch bis zwei Tage vor seinem Tod an dem tausendseitigen Manuskript für den Abschlussband seiner »Deutschen Exilliteratur« gearbeitet. Das Buch soll nun postum nächstes Jahr im Metzler-Verlag erscheinen.

«Einer muß wachen, heißt es. Einer muß da sein«. (Franz Kafka)

Hans Albert Walter war so einer.

Artikel online seit 06.03.16

 
 


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