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Fisches Nachtgesang in Zeiten des Extremtourismus |
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Mario und Tony sind alte Rockmusikerfreunde und haben mit ihrer Band Los Extraditables wilde und drogengeschwängerte Zeiten hinter sich. Jetzt sind sie in La Pirámide tätig – einer gläsernen Hotel-Pyramide mitten im tropischen Dickicht mit Blick aufs karibische Meer. Juan Villoro zeichnet in seinem neuen Roman Das Dritte Leben das Bild eines ungewöhnlichen Hotels. Es bietet seinen Gästen ein unkonventionelles Freizeitprogramm, inclusive Nervenkitzel und Adrenalinkick, dazu gehören vorgetäuschte Entführungen und Ausflüge ins Guerillagebiet. „Heute wollen Touristen etwas, was andere noch nicht gesehen haben (…) Extremtourismus. Das hier ist Guerillagebiet. Ab und zu geraten die Touristen an vermeintliche Rebellen. Sie kommen mit dem Schrecken davon, und alles geht wieder seinen gewohnten Gang (…) Mag sein, es sind beschissene Perverslinge, oder es ist das ewige Tier in ihnen. Jedenfalls brauchen sie den Kitzel der Jagd, des Verfolgtwerdens.“ Mario ist der Manager und Tony einer seiner Angestellten. Als Soundtüftler wandelt Tony die Bewegungen der Fische im Aquarium in Klänge um. Bis eines Tages der Tauchlehrer Ginger Oldenvilles mit einer Harpune im Rücken tot auf dem Boden des Aquariums aufgefunden wird. Bald gibt es einen weiteren Toten … Villoro erzählt in Das Dritte Leben aus der Sicht von Tony, der in dieser bizarren Hotelpyramide sein Musikerleben und seine Drogenvergangenheit Revue passieren lässt. „Ein Teil meines Gehirns hatten die Drogen zerfressen (…) Wir landeten am Ende in La Piedad, das seinem frommen Namen spottete, da es im Umkreis von zwei Kilometern nach Schwein stank. Wir spielten vor Landwirten, angehenden Priestern und Schustern, die sich daran berauschen wollten, Dezibel um die Ohren gehauen zu bekommen. Ich hatte diese Auftritte aus dem Gedächtnis gestrichen, weil ich mir auf der Tournee in die Hosen machte und Nacht für Nacht fast in der eigenen Kotze erstickte.“ Trotz einer Handverstümmelung, die er sich mit sechzehn selbst zugefügt hatte – er wollte einer jungen Frau imponieren und ließ einen Feuerwerkskörper in seiner Hand explodieren - war Tony ein grandioser Bassist geworden. Auch die kleine Liebelei mit der Hotelangestellten Sandra - Ashtanga Yoga und Kung-Fu Trainerin - lässt ihn den Verlust seiner großen Liebe zur Literaturstudentin Luciana nicht vergessen, den er sich durch seine Drogenaffinität, bzw. einen Rückfall – er war eine Zeitlang „nur“ auf Schlaftabletten und Schmerzmitteln gewesen - selbst zuzuschreiben hatte. „Luciana ertrug meinen Rückfall nicht, sie tat was sie tun musste: Sie kehrte nach Guadalajara zurück.“
Es ereignete sich auf dem
Höhepunkt von Los Extraditables, als sie als Vorband von Velvet Underground
spielen sollten. „Lou Reed und John Cale hatten beschlossen, eine Art
Garagenkonzert bei uns im D.F. abzuhalten, in der Stadt in der William S.
Burroughs seine Frau umgebracht hatte (…) Luciana, Velvet, das war zu
viel für mich. Die Summe der Seligkeiten ließ mich nach mehr verlangen (…) Wir
trafen bei den Betonkabinen, die als Umkleidekabinen dienten, aufeinander.
Niemand rauchte, denn das hatte Velvet verboten. Die ehemaligen Herolde
des Exzesses waren zu Gesundheitsaposteln geworden. Lou Reed war ein Knochenmann
mit getönter Brille, der einem Totenaltar entsprungen zu sein schien. Lou, der
Großartige, spielte in der Major League des Jenseits. Statt sich zum Singen
herabzulassen, zermahlte er die Wörter wie überirdische Kekse. Lou, der
Diskriminierende, sah mich an, als wäre ich Abschaum, der als nächstes an die
Reihe kam. Ich war so idiotisch, es als Ehre zu betrachten.“ Artikel online seit 13.07.16 |
Juan Villoro |
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