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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Von Ziegenfickern & Wortklaubern

Was Frau Kelek gesagt oder gemeint hat & worum es wirklich geht

Von Wolfram Schütte

 

Thierry Chervel hat eben in seinem »Perlentaucher« (& danach in der »Welt«) behauptet, dass seit Jahren die Berliner Soziologin Necla Kelek mit einer Äußerung als »islamophobe Rassistin« verfolgt werde, die sie nicht getan habe. 7 (!) Jahre sind es her, dass die als scharfzüngige feministische Kritikerin des Islam (& seiner gesellschaftlichen Rolle) ebenso bekannte wie auch verhasste Frau Kelek im Zusammenhang einer Äußerung über die Sexualität türkisch-islamischer Männer behauptete, im Islam gelte es als selbstverständlich, dass die männliche Sexualität jederzeit als erreg- & ausagierbar angesehen werde; es sei deshalb auch möglich, dass diese »entleerende« Triebabfuhr notfalls an einem Tier vollzogen werde. Kelek bezog sich dabei auf den Artikel des Berliner Psychotherapeuten Halis Cicek, der nach seinen Praxis-Erfahrungen davon gesprochen hatte, dass vier von fünf jungen Männern aus dem ländlichen Anatolien ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Tieren gehabt hatten.

Diese »sodomitische« männliche Sexualität »auf dem Lande« ist so ungewöhnlich nicht, wie alle schaudernd meinen, die von der pubertären Not im dörflichen Ambiente keinen Begriff, geschweige denn eine Ahnung oder Anschauung haben. Der Geschlechtsverkehr mit Tieren ist selbstverständlich ein öffentliches Tabu, wo immer er ausgeübt wurde & wird: ob in Anatolien oder im Schwarzwald, ob im Kaukasus oder dem Bayrischen Wald. Allenfalls kam er in ironischen Andeutungen oder derben  Witzen »unter (bäuerlichen) Männern« zur Sprache. Böhmermanns dummdreiste Beschimpfung Erdogans als »Ziegenficker« hat diese spezielle türkische Beleidigung bei uns erst bekannt gemacht.

Unter den pubertierenden dörflichen Jungmännern greifen auch selbstverständlich nicht alle über die manuelle Selbstbefriedigung hinaus zu Huhn, Ziege, Schaf oder Kalb. Dass aber die pubertäre männliche Not besonders haarsträubend dort ist, wo religiöse Gebote sowohl deren Existenz als auch deren tätige Befriedigung tabuisieren  & sowohl der voreheliche oder homosexuelle Geschlechtsverkehr öffentlich verboten ist, dürfte jedem rational Denkenden einsichtig sein.

Es ist nicht verwunderlich, dass in unserer (noch) säkularisierten, nachfreudianisch sexuell aufgeklärten, liberalisierten & urbanisierten europäischen Welt, die Erinnerung an die einst rigide Verfolgung & Bestrafung  kindlicher, jugendlicher »Befleckung« unter katholisch/evangelischer Observanz bis in die Fünfziger Jahre in der Bundesrepublik heute fast undenk- oder vorstellbar erscheint. So radikal hat sich der liberale Hedonismus mittlerweile bis in den hintersten Winkel  Deutschlands durchgesetzt.

Die auf Anhieb, weil aus Ignoranz schockierende Behauptung des Kreuzberger Psychotherapeuten hat jedoch die empirische Wahrscheinlichkeit für sich – wenn man das ländliche Anatolien als denkbar fern z.B. von der multikulturellen Welt Istanbuls oder der liberalen Realität Izmirs ansieht.

So willkommen für die feministische Soziologin Necla Kelek die Behauptung ihres Berliner Kollegen auch zur Charakterisierung islamischer Verheerungen in Psyche & Verhalten von jungen Männern gewesenen sein mag, so hat sie jedoch nie behauptet, dass der Islam insgesamt oder der islamische (türkische) Mann generell einer  »sodomistischen« Praxis nachgehe.

Aber genau das wurde ihr von der Duisburger islamischen Religionspädagogin Lamya Kaddor vorgeworfen. Ebenso streitbar als Publizistin wie Necla Kelek, ist dieser Gründungsvorsitzenden des »Liberal-islamischen Bundes« die säkular-radikale Berliner Feministin verständlicherweise ein Dorn im Auge. Zwar habe Kelek wortwörtlich nicht gesagt, aber im Kontext ihrer sonstigen Meinungen habe sie gemeint, was Kaddor  als pauschalisierende Äußerung von ihr verbreitete. Viele, denen die auch nicht gerade sprachlich-rhetorisch zimperliche Kelek missfällt,  haben es mit Wollust bedenkenlos nachgebetet, weil man Frau Kelek derlei »Beleidigendes« zutraute & sie damit bequem an den Pranger stellen, bzw. als ernst zu nehmende Islam-Kritikerin disqualifizieren konnte.

Kurz & prekär: Kaddor ed al. glaubte, die lästige Kritikerin bei ihrer Achillesferse ebenso greifen zu können, wie auch Kelek über die Nachricht der Sodomiterei in Anatolien glücklich gewesen sein dürfte – belegte diese doch Kollateralschäden konservativer Religionspolitik »hinten in der Türkei« (Goethe).

Ich denke, man muss den rivalisierenden Austausch von Hässlichkeiten oder Unterstellungen außeracht lassen, mit denen die beiden Frauen sich seit Jahren öffentlich publizistisch schmähen, um den casus belli unaufgeregt zu beurteilen, der nun durch Chervels publizistische Intervention aufgeflammt ist. Auch spielt es, meines Erachtens, keine Rolle, ob Chervel in der Sache Recht hat, als er (& Andere) nun erweisen meinte, dass Kelek nicht wortwörtlich gesagt hatte, wessen man sie in übler Nachrede zu Unrecht als »islamophobe Rassistin« inkriminiert hatte.

Es reicht schon, nicht die Augen davor zu verschließen, dass (sogar bis in die liberalste Form) der Islam bekanntermaßen ein Problem mit der männlichen Sexualität & der Existenz des Weiblichen hat – übrigens nicht viel anders als eine strikt konservative, ganz zu schweigen von einer fundamentalistischen Form des Christen- oder Judentums. Darauf hat die in Istanbul geborene Necla Kelek immer wieder hingewiesen. Das ist vom Standpunkt einer säkularen, aufklärerisch-humanistischen Kritik des Islams ein virulenter, religiös bedingter Makel – ungeachtet des praktisch-pragmatischen Humanismus' der meisten männlichen Muslime im gesellschaftlichen Alltag.

Indem sie »das Skandalöse« von Frau Keleks Islam-Kritik einzig auf die vermeintliche, de facto aber unzutreffende Pauschalisierung sodomitischer Praktiken islamischer Männer lenkt, erzeugt sie mit dieser generalisierenden Stigmatisierung natürlich erregte Empörung bei Muslimen & deren nicht-muslimischen Sympathisanten. Jedoch damit verfälschte Lamya Kaddor bewusst die Zielrichtung von Necla Keleks Kritik & verdrängte, bzw. unterschlug deren radikale Problematisierungen einer maskulinen Sexualpolitik im Islam. Was, könnte man sich fragen, sollte an einem »liberal- islamischen Bund« liberal sein, wenn er nicht genau diese illiberale religiöse Struktur kritisch reflektiert?

Artikel online seit 27.12.1
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