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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 








Klassik-Archiv:



Aphorismen:
Sprüche und Widersprüche
Pro domo et mundo Nachts




Jens Malte Fischer
Karl Kraus
Der Widersprecher
Zsolnay
1104 Seiten
45,00 €
978-3-552-05952-8
Leseprobe


Karl Kraus
Die letzten Tage der Menschheit
Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog
Reihe Österreichs Eigensinn - 800 Seiten, gebunden
€ 28,– / sFr 38,20, WG 1111
Im Abonnement: € 25,90
Sfr 35,60
978-3-99027-006-6

Die Fackel online als gratis Volltext
Die 922 Nummern und rund 22.500 Seiten der vom österreichischen Schriftsteller Karl Kraus 1899 gegründeten Zeitschrift "Die Fackel" sind ab sofort dank eines Projekts des Austrian Academy Corpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) online abrufbar.
Um Zugang zu erhalten, ist auf aac.ac.at/fackel eine Gratis-Registrierung nötig, auch eine Volltext-Suche ist möglich. Getestet, und es funktioniert.


Karl Kraus:
»Ich war selten verliebt, immer verhaßt.«


Sein kulturpessimistisches und medienkritisches Werk hat die Zeit überstanden, und wird aktuell bleiben, solange die tatsächliche Dimension des Geschehens
in den Floskeln der Ereignissprachen der Medienmacher verschwindet.


Von Herbert Debes
 

Karl Kraus wird am 28. April 1874 im nordböhmischen Gitschin (heute: Jicín) als neuntes Kind des jüdischen Papierfabrikanten Jakob Kraus und dessen Frau Ernestine (geb. Kantor) geboren. Er ist drei Jahre alt, als die Familie nach Wien umzieht. Nach dem Abitur immatrikuliert er sich 1892 auf Drängen seines Vaters an der juristischen Fakultät der Universität Wien. Der junge Kraus ist häufig im Literatencafé »Griensteidl« zu finden. Dort lernt er den Kreis um den Schriftsteller und Kritiker Hermann Bahr kennen.
1894 wechselt Kraus, obwohl sein Vater es mißbilligt, an die philosophische Fakultät und hört philosophische und germanistische Vorlesungen. Schon als Student veröffentlicht er literaturkritische Beiträge, u. a. in der Zeitschrift »Die Gesellschaft«. Er tritt als Schauspieler, Regisseur und Vortragskünstler in Erscheinung und ist mit Mitgliedern der Gruppe »Jungwien« wie Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal befreundet. 1897 verfaßt er die Satire »Die demolierte Literatur«, in der er sich von der Dekadenz der Gruppe »Jungwien« distanziert. Als Wiener Korrespondent veröffentlicht er Beiträge in der »Breslauer Zeitung«.
1898 bricht Kraus sein Studium endgültig ab und beginnt für die Zeitschrift »Wage« zu arbeiten. Er mußte jedoch bald erkennen, daß betriebliche Rücksichtnahmen und von der Redaktion selbst auferlegte Zensur seinen Vorstellungen von einer freien Presse widersprachen. »Als Chroniquer der »Wage« hatte ich wöchentlich länger darüber nachdenken müssen, was ich schreiben dürfe, als alles das zu schreiben Zeit erfordert hätte, was ich nicht schreiben durfte.« (»Die Fackel« 5, 10)
So gründete er im April 1899 konsequenterweise seine Zeitschrift »Die Fackel«, an der in den folgenden Jahren u. a. Persönlichkeiten wie Egon Friedell, Peter Altenberg, Else Lasker-Schüler, Heinrich Mann, Arnold Schönberg, Frank Wedekind und Franz Werfel mitarbeiten.
»Die Fackel« entwickelt sich zu einer führenden kultur- und gesellschaftskritischen Zeitschrift, in der Kraus 37 Jahre lang alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens analysiert und kritisiert. Von November 1911 an ist Kraus alleiniger Autor der »Fackel«, von der insgesamt 415 Ausgaben in 922 Nummern mit 23 000 Seiten erscheinen.
Im Oktober 1899 verläßt Kraus die jüdische Religionsgemeinschaft.
1902 erscheint sein Essay »Sittlichkeit und Kriminalität«, in dem er die Doppelmoral von Justiz, Presse und Gesellschaft anprangert.
1909 erscheinen in dem Band »Sprüche und Widersprüche« erste Aphorismen.
1911 konvertiert er zum Katholizismus. Sein Essay »Heine und die Folgen« behandelt kritisch das instrumentelle Verhältnis der zeitgenössischen Literatur zur Sprache.
In den Kriegsjahren 1914-1918 wird »Die Fackel« mehrmals konfisziert, weil Kraus in ihr für eine pazifistische Haltung eintritt und scharf gegen die österreichische Kriegspolitik polemisiert.
1916 Mit »Worte in Versen« erscheint der erste von neun Gedichtbänden.
1918/19 erscheint sein Antikriegsdrama »Die letzten Tage der Menschheit« in Sonderheften der »Fackel«, die nicht im Abonnement zu beziehen sind. Dieses kulturpessimistische Sittengemälde vom Niedergang einer Welt, die den Krieg als »heiligen Verteilungskrieg« begreift, ist als monumentale Warnung an die Menschheit vor dem Untergang heute aktueller denn je.
Es erscheinen weitere Aphorismen in dem Band »Nachts« sowie Essays in dem Band »Weltgericht«.
1923 Aus Protest gegen Max Reinhardts Welttheateraufführungen vor und im Salzburger Dom tritt Karl Kraus aus der katholischen Kirche aus, einer Kirche, die im Krieg die Waffen segnete und sich nun zur Theaterkulisse benützen läßt.
Seine häufig polemische Kritik attackiert in den 20er Jahren besonders die Machenschaften der Wiener Polizei und die Verlogenheit der Presse sowie den Berliner Theaterkritiker und selbsterklärten Pazifisten Alfred Kerr, den er schließlich als Verfasser blutrünstiger Kriegsgedichte, die unter dem Pseudonym »Gottlieb« erschienen waren, entlarvt.
1925 hält Kraus mehrere Vorlesungen an der Sorbonne in Paris und wird im selben Jahr von französischen Professoren für den Nobelpreis vorgeschlagen. Immer wieder warnt Kraus in Vorlesungen und Artikeln sowohl vor der drohenden »Entmenschlichung« durch den Nationalsozialismus als auch vor dem Versagen sozialdemokratischer Politik.
1933 beginnt Kraus die Arbeit an einer Analyse der Nationalsozialisten und ihrer Sympathisanten, »Die dritte Walpurgisnacht«, von der zu Lebzeiten das Fragment »Warum die Fackel nicht erscheint« veröffentlicht wird. Vollständig wird sie erst posthum 1952 publiziert.
Kraus nimmt seine Arbeit an einer Sprachlehre, die er schon in den 20er Jahren begonnen hatte, wieder auf. Sie erscheint jedoch erst 1937 posthum unter dem Titel »Die Sprache«.
Im Februar 1936 erscheint die letzte Ausgabe der »Fackel«.
Bereits seit 1933 leidet Karl Kraus an einer Herzerkrankung. Er stirbt am 12. Juni 1936 an einer Herzembolie. Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof in der Gruppe 5 A, Reihe 1, Nummer 22. 

»Im Anfang war die Presse
und dann erschien die Welt.
Im eigenen Interesse
hat sie sich uns gesellt.
Nach unserer Vorbereitung
sieht Gott, daß es gelingt,
und so die Welt zur Zeitung
er bringt […]
Sie lesen, was erschienen,
sie denken, was man meint.
Noch mehr läßt sich verdienen,
wenn etwas nicht erscheint.«
„Das Lied von der Presse“, aus: „Literatur oder Man wird doch da sehen“,
1921, in: Dramen, Suhrkamp, 1. A., 1989, S. 57

Seine in Aphorismen gegossenen Ansichten, Essays und Kritiken über die Verhältnisse zwischen Männer und Frauen, den Zustand der Kultur der Österreicher und Deutschen, insbesondere über ihren Umgang mit der deutschen Sprache, polarisieren noch siebzig Jahre nach seinem Tod die mittlerweile post postmodernen Zeitgenossen. Was Karl Kraus zu einer der herausragenden publizistischen Größen seiner Zeit machte, liegt nicht zuletzt darin begründet, daß er über sein eigenes Medium, die kulturkritische Zeitschrift »Die Fackel«, nach Belieben verfügen konnte. Er mußte keine Rücksichten auf konservative Verleger oder umsatzorientierte Anzeigenleiter nehmen. »Die Fackel« ist mit ihren 415 Ausgaben in 922 Nummern (viele Hefte waren Doppel-, Dreifach- oder Mehrfachnummern) auf 23 000 Seiten ein publizistischer Erfolg geworden, was belegt, daß Karl Kraus mit seinen Beiträgen meist auch den Nerv des Themas getroffen und freigelegt hat. Am Ende war er freilich pleite.

»Ich
lese keine Manuskripte und keine Drucksachen,
brauche keine Zeitungsausschnitte,
interessiere mich für keine Zeitschriften,
begehre keine Rezensionsexemplare und versende keine,
bespreche keine Bücher, sondern werfe sie weg,
prüfe keine Talente,
gebe keine Autogramme […]
besuche keine Vorlesungen außer den eigenen […]
erteile keinen Rat und weiß keinen,
mache keinen Besuch und empfange keinen,
schreibe keinen Brief und will keinen lesen und
verweise auf die völlige Aussichtslosigkeit jedes Versuchs, mich zu irgendeiner der hier angedeuteten oder wie immer beschaffenen, schon in ihrer Vorstellung meine Arbeit störenden, mein Missbehagen an der Außenwelt mehrenden Verbindungen mit eben dieser bestimmen zu wollen, und habe nur noch die Bitte, die auf alle derlei Unternehmungen vergeudeten Porto- und sonstigen Kosten von jetzt an der Gesellschaft der Freunde Wien I, Singerstraße 16, zuzuwenden.«
Weigel, Kraus oder die Macht der Ohnmacht, S.86

Sein publizistisches Credo, die Dinge klar und schnörkellos bei ihrem Namen zu nennen, sensibilisierte die Leserschaft. Den einen war Kraus immer für einen Skandal gut. Anderen galt er als unbestechliche moralische Instanz. Er schaute den agierenden Personen des politischen und kulturellen Zeitgeschehens auf’s Maul, entlarvte rhetorisch brillant die Inkompetenz seiner Kollegen, sezierte mit seinem Schreibwerkzeug die Verlogenheit der Politiker und attackierte genüßlich die Doppelmoral der klerikalen und staatlichen Sittenwächter.
Die Aphorismen und Statements von Karl Kraus zeigen seine thematische Bandbreite und demonstrieren eindrucksvoll seine stilistische Virtuosität. Sein kulturpessimistisches und medienkritisches Werk hat die Zeit überstanden, und er wird aktuell bleiben, solange die tatsächliche Dimension des Geschehens in den Floskeln der Ereignissprachen der Medienmacher verschwindet.
Herbert Debes

 

 


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