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© R. Reifenrath |
Voreilige Forderung - In der brieflichen Diskussion zweier deutscher Journalistinnen mit Migrationshintergrund »über ihre manchmal schwierige Heimat Deutschland« schreibt die jüngere, 1991 in München geborene & im Politikressort der SZ arbeitende, an einer Stelle: »Erst kürzlich stolperte ich über eine Pressemitteilung der bayerischen Integrationsbeauftragten, darin hieß es: >Ukrainischen Geflüchteten muss nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf.< Diese Herablassung, diese Arroganz und Ignoranz haben mich sprachlos zurückgelassen« – aber offensichtlich, umso empörungsbereiter (füge ich hinzu) : »Wenn sogar eine Integrationsbeauftragte so über Geflüchtete spricht«, fährt die eigentlich sprachlose Journalistin fort, »will ich nicht wissen, was andere Bürger über Menschen denken und reden, die aus weiter entfernten Regionen hierherkommen«. Unabhängig von der Frage, welchem Zusammenhang dieses Zitat entnommen wurde, ist es doch nichts anderes als eine faktische Feststellung. Bei Flüchtlingen aus der Ukraine kann man in Mitteleuropa davon ausgehen, dass sie aus Lebensverhältnissen stammen, die so gut wie identisch sind mit den deutschen – wozu z.B. die elektrisch betriebene Waschmaschine gehört, wie die Herdplatte, auf der das Essen zubereitet wird. Was an dieser Aussage herablassend & arrogant sein sollte, möchte ich gerne wissen. Und von »Ignoranz« zeugt es gerade nicht (sofern damit Unwissenheit gemeint ist),, wenn wenigsten eine Integrationsbeauftragte weiß, dass Geflüchtete »aus weit entfernten Regionen« kommen können, in denen das eine gar nicht bekannt oder in Gebrauch ist & das andere – nämlich das Essen auf dem Boden - so selbstverständlich zubereitet, wie dort ohne Tisch & Stuhl oder auch ohne Messer/Gabel/Löffel am Boden verzehrt wird. Womit also »Integration« für weit entfernt Fremde eventuell schwieriger wäre. Gut zu wissen. * Verlustanzeige - Besuch beim Hausarzt, weil ein Bein, das nach einer Embolie vor mehr als 20 Jahren dicker als das andere war, noch dicker geworden war. Nach der Begrüßung in seinem Zimmer hört er an, was der Grund des Besuchs ist & macht sich sofort daran, die Anschrift eines Orthopäden (möglicherweise zur Verordnung eines Spezial-Schuhs) & eines Angiologen (wegen der Ursachenforschung im Venenbereich). Nach deren Befunden erneuter Hausarztbesuch in seiner Praxis. Erneut setzt er sich vor seinen Computer (& liest die Arztbriefe). Frage des Patienten: »Wollen Sie sich nicht einmal das Bein ansehen?« Antwort des Arztes: »Nein, alles, was ich wissen will, habe ich hier« (im Computer). Der Hausarzt hat also nicht einmal das Objekt angesehen, wegen dessen sichtbarer Veränderung er vom Patienten konsultiert worden war. Die Abwehr, es sich vor Augen zu stellen & zu beurteilen, in welchem physischen Zustand es sich möglicherweise befindet, empfindet der um seine Gesundheit besorgte Patient, als demütigende Exklusion. Dabei ist das Objekt weder durch Blutung oder gar durch Geruch auffällig Es ist die pure Körperlichkeit des Patienten, die tabuisiert wird. Eigentlich wäre ein Arztbesuch in der Praxis unnötig: zum einen, weil der Allgemeinmediziner von diesem Leiden nur so viel wie der Patient weiß, zum anderen, weil er mit einer Überweisung nur den Weg zum speziellen Kenner angeben kann. Auf der Strecke bleibt, was das innerste Humanum der Beziehung Arzt-Patient einmal war: Hin-& Zuwendung, persönliche Aufmerksamkeit, um die Angst des von einem körperlichen Übel betroffenen Patienten durch die mitmenschliche, möglicherweise sogar taktile Beachtung der medizinischen Autorität zu mildern oder abzubauen. Der Gang zum Hausarzt ist das Begehren eines Schutzsuchenden, die säkularisierte Form eines früheren Gangs zum Priester oder Schamanen. *
Vergeblicher Wunsch
– »Wie will Goethe etwas gegen Hunde haben, da 1) der große ruhig dem
kleinen vergibt, und 2) der kleine kühn den größten anfällt. Ich wollte, wir
wären Hunde.« (Jean Paul) Definitionshilfe? – In Joseph Conrads »Lord Jim« (Übersetzung: Michael Walter) hat mich diese Passage, die sich auf ein Handlungsmoment im Malaiischen Archipel nachdenklich gemacht: »…die verborgenen Möglichkeiten von Rassen und Ländern, auf denen das Geheimnis nicht überlieferter Zeitalter liegt.« Was soll damit gemeint sein? Dass es Rassen & Länder gibt, die deshalb geheimnisvoll sind, weil vor ihrer Gegenwart (heute) ein Zeitalter liegt, aus dem nichts überliefert ist über sie? D.h. diese Rassen & Länder haben zwar wie alle Anderen Vorgeschichten, bzw. weit zurückreichende Vergangenheiten, aber von ihrer spezifischen Existenz(weise) in diesen Zeitaltern ist nichts bekannt? Joseph Conrad, von dem ich nicht weiß, ob er je z.B. von Angkor Watt, Tenochtitlan, Machu Pichu gehört hat - also architektonischen Zeugnissen längst vergangener Gesellschaften (& auch deren Alphabeten) - , meint hier die malaiische Inselwelt Südostasiens oder das »Herz der Finsternis« im Kongobecken – wo es, meines Wissens, weder architektonische noch schriftliche Zeugnisse früherer Zeitalter gibt. Obwohl wir von diesen Rassen & Ländern genealogisch nichts wissen – wissen wir wirklich etwas von den Erbauern der erwähnten außereuropäischen Orte? - & sie deshalb für uns geheimnisvoller als alle anderen sind, nimmt der englisch schreibende Pole an, dass zu ihrem Geheimnis gehört, dass in ihm auch Möglichkeiten (eines Anderssseins) verborgen sind. Ohne Zweifel ist weder Conrads Blick, noch der seiner Erzähler auf die nicht-europäische Welt, in deren Völker- & Rassengemisch viele seiner Romane spielen, selbst trotz seiner humanistischen Kritik am europäischen Imperialismus vom Paternalismus etc. des europäischen Imperialismus geprägt - wie z.B. der seines Zeitgenossen Kipling, der »the white man´s burden« als ethische Last des europäischen Imperialismus bezeichnete. Aber Conrads zitierte Bemerkung über die zivilisatorisch-historisch unbekanntesten »Rassen und Länder« ist insofern nicht rassistisch fixiert, weil er zugleich beiden »verborgene Möglichkeiten« zuspricht. Oder wünsche ich mir nur diese wohlmeinende (?) Interpretation seiner Welt-Anschauung?
Artikel online seit 21.06.22 |
»Petits
riens«, |
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