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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


Transsilvanischer Nackenbeißer

Über Miklós Bánffys wiederentdeckten Roman »Die Schrift in Flammen«

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Miklós Bánffy wurde 1873 in eine der ältesten und reichsten Siebenbürger Familien hineingeboren. Von 1912 bis 1918 war er Leiter der Budapester Oper und des Nationaltheaters, Anfang der 1920er Jahre für kurze Zeit ungarischer Außenminister.
Sein Roman »Die Schrift in Flammen«, erstmals 1934 in Ungarn publiziert, erscheint nun in deutscher Übersetzung.
Bánffy schildert mit Fokus auf seine Heimatstadt Klausenburg den Niedergang der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Buch bildet den ersten Teil seiner »Siebenbürger Geschichte«. Zeitlich ist die Handlung in den Jahren zwischen Jahrhundertwende und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges angesiedelt.
Die Verlagsankündigung verspricht ein großes Drama, dessen Melancholie, so eine vorab veröffentlichte Kritik, an die Prosa Joseph Roths erinnere.

Tatsächlich handelt es sich um einen zu recht vergessenen Nackenbeißer, eine transsilvanische Seifenoper, in deren Zentrum die Welt des Siebenbürger Adels steht. Er vertreibt sich die Zeit mit Kartenspiel, Pferderennen, Debatten über die Habsburgerpolitik, Treibjagden, Tanz und Glücksspiel, Duellen und Alkohol. Die Protagonisten zwirbeln sich vielsagend die Schnurrbärte und übertrumpfen sich gegenseitig mit dem exzessiven Gebrauch des Diminutivs:  Die Geschichten werden ausgeschmückt mit Pferdchen, Bächlein, Mäuerchen, Pünktchen, Wäldchen, Lüftchen, Zweigchen, Glöckchen, Männchen, Töchterchen, Tischchen und Bötchen. Die Sprache des Romans insgesamt ist der Heimatliteratur entnommen. Vizeförster, Forstingenieur und Fürstin führen wenig geistreiche Dialoge: Ach ja, meine Beste! … Ach, ist das gut gesagt! … Wirklich, wie interessant!

Interessant ist rein gar nichts an dem Roman. Die Handlung ist plump, allein ihre unfreiwillige Komik, das überstrapazierte Mitgefühl des Autors mit den Charakteren und die Fauxpas des Übersetzers sorgen für einen gewissen Unterhaltungswert. Dass einer sich der Sprache bedient, um Gefühle zum Ausdruck zu bringen, macht ihn noch lange nicht zu Schriftsteller. Ein literarischer Tiefpunkt in diesem Sinn ist eine Stelle gegen Ende des Romans, in der die weibliche Hauptfigur Adrienne ausruft: Nein, nicht das! Nein, mein Kleiner! Nicht das, nein, das nicht, mein Kleiner, nein!
Zeigt sich darin das große, vom Verlag versprochene Drama, oder ist es doch bloß das Missverständnis, verschiedene Symptominterjektionen schon für Literatur zu halten? Solch geistlose Poesie hat mit Joseph Roths Romanen gewiss nichts zu tun, wie nur eine von vielen anderen Stellen belegen soll: Hier und dort – Heuhaufen ähnlich – schichteten sich Holundersträucher als säßen eingeschneite Bären in der Runde.
Diese von Bánffy in die literarische Welt eingeführte Stilfigur, der Doppelvergleich, sorgt für Heiterkeit beim Lesen: Die Holundersträucher sind nicht nur Heuhaufen ähnlich, sondern auch den eingeschneiten Bären, die es in Siebenbürgen scheinbar häufiger, eben hier und dort, zu geben scheint. Was Heu, Holunder und Bären wirklich gemeinsam haben, sei dahingestellt. Wundersam umständlich sind auch die ungezählten Beschreibungen des Zeitverlaufs im Buch: Die Tage waren dabei länger zu werden, der Abend begann bereits hereinzubrechen.
Das ist ein unglaublich ungelenker, unbeholfener Umgang mit der deutschen Sprache. Bei den zahlreichen Naturdarstellungen ist es nicht anders. Da liest man von sich über hundert Joch erstreckende Felder, die sich auf beiden Seiten des Wegs erstreckten. Nur wenige Sätze später kommen dann langgestreckte Kuhställe in Sicht.

Der Übersetzer scheint seinem umfangreichen Stoff nicht gewachsen, seine sprachlichen Mittel sind beschränkt. Nichts erinnert in diesem Roman an die Fabulierkunst in Joseph Roths »Radetzkymarsch« oder der »Kapuzinergruft«. Erst recht nicht semantisch verunglückte Passagen wie: Wie er sprach, wie er sprach! … Schön, so schön sprach er. So tief und feurig … Doch ach, so feurig.
Nirgends liest man bei Roth ähnlich dürftige Zeilen, nirgends findet sich eine so gravierende Redundanz. Literatur zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, die Sätze bei gleichbleibender Temperatur zu halten. Anders ist es bei Bánffy. Hier glüht alles und dann erkaltet es ganz rasch. Die deutsche Fassung des Romans kommt zudem auf Stelzen daher, infiziert von einer verbalen Katatonie, steif, verkrampft und künstlich. Bánffys Prosa und die Künste seines Übersetzers haben mit Joseph Roth, abgesehen vom inhaltlichen Bezug zur Donaumonarchie, wahrlich nichts zu tun; der Roman erinnert mich eher an die »Geschichte des Fräuleins von Sternheim« — empfindsam bis zur Unerträglichkeit, geschrieben im falschen Jahrhundert; Bánffy ist ein Heimatdichter durch und durch: Die Frau selber lag da, als träume sie, während einige ihrer krausen Locken in Bewegung gerieten, sich von den fast perückenartig dichten Strähnen lösten und ihr schräg ins Gesicht fielen, die Augen und den Mund verdeckten oder aber, in Schwingung geraten, hoch aufragten; mehr und mehr Locken entfesselten sich, als triebe sie eine innere Kraft auseinander, oder als erfassten sie einander und lebten doch für sich, als gehorchten sie ihrem Instinkt.
Diese Szene hat ihre eigene Komik. Da liegt eine Frau regungslos auf ihrem Bett, nur ihr Haar (fast perückenartig, aber eben nur fast, was also wirklich?) führt ein Eigenleben.  Mit Bánffy möchte man ausrufen: Ach, wie fein war das! Nein, nein! Oh, ja! Ja! Gut denn. Schön, so schön war sie.

Wer den Roman liest, vergisst schnell die Handlung und geht früher oder später dazu über, sich mit Leidenschaft all den sprachlich missglückten Stellen zu widmen. Beispiel: Seine Worte prasselten so gleichmäßig wie das Knattern eines Zahnrads.
Beim stolpert man auch über Sätze wie: Es gab kein Licht, aber auch keinen Schatten. Das aber stört. Wo ist der Gegensatz, auf den ich als Leser hier aufmerksam gemacht werde? Gibt es Schatten ohne Licht? Es lohnt kaum darüber nachzudenken, denn Bánffys Übersetzer liefert eine Entschuldigung für seine kryptische Prosa gleich mit, wenn er schreibt: Die Kette von Zufällen löste gemäß der inneren Logik des Lebens die Katastrophe aus.
Eine Katastrophe ist auch die Lektüre der knapp 800 Seiten. Denn die Geschichte steckt voller sprachlicher Widersprüche, die weder vom Übersetzer, noch vom Lektorat oder all jenen, die diese Fama vorab gelesen haben, zum Ärger des Lesers korrigiert wurden: Unendliche Stille. Dann ein Hämmern, das aus weiter Ferne ertönte.
Missglückt sind insbesondere Sätze wie: Als wären die Abstände in der Entfernung… noch entfernter. Oder: Am nächsten Tag indessen begrüßte ihn ein herrlicher Morgen. Und: hochgezogene, hermetisch geschlossene Glasfenster, die rhythmisch klirren.
Zudem sind viele Bilder grotesk. Nur ein Beispiel: Wein- und Champagnerflaschen, die sich wie Büffel im See im Eiswasser wälzten.

Noch einmal: Joseph Roth war im Gegensatz zu Bánffy ein begnadeter Schriftsteller. Der Siebenbürger Adlige und sein Übersetzer hingegen haben überhaupt kein Sprachgefühl. Die stets wiederholten hernach und jäh zeugen davon, und einige Male beginnen gleich mehrere Sätze hintereinander mit dem gleichen Personalpronomen. Als rhetorische Figur ist das durchaus reizvoll, doch hier ist es allein dem nachlässigen Umgang mit Sprache geschuldet: Er war, Er reiste, Er beließ, Er zog, Er achtete, Er hatte, Er konnte, Er musste, Er holte, Er bemerkte, Er lag, Er faltete, Er hob, Er dachte, Er verspürte…
Dementsprechend: Der alte Herr war weise …, der alte Herr aß jeden Mittwoch…, der alte Herr nahm sehr wohl wahr…
Hingegen erscheinen die Frauen als Frauensperson und begehrenswert wie eine fürs Pflücken reife Frucht. Diese Art des Begehrens weckt schon fast so großes Mitleid beim Leser wie der innere Monolog jenes Mannes, der sich fragt: Wozu diese Frau erlegen? Du hast anderes zu tun.
Da ist es wieder, das Jagdmotiv blaublütiger Machos, oder wie es im Roman in einer eigentümlichen Wortschöpfung heißt: die grundlose, angriffige Zorneslaune.
Angriffig ist nur eines von vielen Unwörtern. Berückung und Veheiratung sind weitere. Nur eine Sprache, die den Krebs habe, sagte einst Karl Kraus, neige zu Neubildungen. Hier werden sie zu allem Überfluss begleitet von einer Farbenpracht, die den Leser blind zurücklässt: alles glänzte, glänzende Pünktchen, glänzende Kratzer, tiefpurpurne Schatten, planiertes Oval der Rotunde, Indigosträucher, karmesinrote Blüten, bräunliches Blätterwerk, wie Milch zerfließender Mondschein, Flügelblau, bläulich, kobaltblau, helle Tönung, gelblichgrün, Buntheit des Bildes, blendendes Licht, Weiße, stahlblau, schneeweiß, grau, schwarz, dunkelviolett, rosa Schnee, grüne Schatten, schwarze Tiere.
Viel buntes Flitterwerk mehr taucht auf, während im neu sprießenden Gras wiederkäuende Kühe liegen, die Landschaft ist lieblich, das sonnige Wetter zu schön, das Himmelsgewölbe zu blau. Und die Falben als Pferde von der Siebenbürger Heide wussten, was es bedeutet, auf langen Stationsstrecken zu dienen.
Die Geräuschkulisse der Fauna spielt immer dann eine besonders große Rolle im Buch, wenn der Romancier nichts mehr zu sagen hat: Eine Nachtigall schlug draußen mit betörender Hingabe. Amseln und Meisen sangen, Rohrsperlinge zwitscherten, Schwarzstirnwürger sangen im Gestrüpp, Turteltauben gurrten wollüstig auf der hohen Silberpappel.

Alles im Roman hat den Beigeschmack von Unendlichkeit, überall ziehen Nebelschleier durch das Land, alles ist erhaben oder rätselhaft. Rätselhaft sind auch viele Beschreibungen, etwa: Auf der Höhe des Obergeschosses verflochten sich die Steinrippen zu einem verwirrend dichten Geländer, indem sie den wildesten Zeichnungen des Rokokogeschmacks folgten.
Was auch immer die wildesten Zeichnungen des Rokokogeschmacks sein mögen, sie sind doch nicht annähernd so schön wie das weiße Fransenkleid eines Maibaums und dort die bisher schlafenden Blütenstände der verstreuten Fliedersträucher …

Auch der Leser des Romans errötet, wenn er von klebrig nassen Knospen liest, und über einen Liebhaber erfahren muss: Flammen loderten in seinen Adern, als ob er einen süßen Zaubertrank getrunken hätte, Gift durchdrang ihn, seine Einbildungskraft malte ihm in ungewissen Vorstellungen betörend lüsterne Bilder aus… das Streicheln ihren Körper entlang löste in ihr eine einlullende, rauschhafte Empfindung aus…

»Die Schrift in Flammen« ist gar kein Roman, sondern die Karikatur eines Romans, ein Text ohne jegliches Talent. So taucht am Ende selbstredend auf einer einzigen Seite sage und schreibe drei Mal der Hinweis auf Adriennes zerrissenes dünnes, Nachthemd auf: Sie kümmerte sich nicht um ihr zerrissenes Nachthemd… Ihr Nachthemd hing zerrissen an ihr.

Preisfrage: War das Nachthemd der Heldin

ach, so feurig schön wie das weiße Fransenkleid eines Maibaums

klebrig nass wie eine Knospe

oder

dünn und zerrissen?

 Und was hat Joseph Roth mit der Geschichte tatsächlich zu tun?
 









Miklós Bánffy
Die Schrift in Flammen
Roman
Aus dem Ungarischen von Andreas Oplatka
Zsolnay Verlag
Fester Einband, 800 Seiten
Mit Lesebändchen
27.90 €(D)/37.90 sFR(CH)/28.70 €(A)
ISBN 978-3-552-05559-9

Leseprobe

 


Glanz & Elend
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