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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Seitwert


Dem Bürger fliegt vom spitzem Kopf der Hut

Bulgakows Roman »Meister und Margarita« liegt in einer Neuübersetzung vor.
Einige grundsätzliche Anmerkungen

von Christiane Pöhlmann

Es war mal wieder so weit: 2010 jährte sich der 70. Todestag Bulgakows, damit wurden die Rechte frei, eine Neuübersetzung seines Opus magnum »Meister und Margarita« hatte eine Hürde weniger zu nehmen. Gerechtfertigt werden solche Unternehmungen häufig – und auch hier – mit dem Vorwurf, bisherige Übersetzungen seien allzu geglättet, nun gelte es, das Sperrige sichtbar zu machen. Nie ist zu hören, ein Verlag verspreche sich Gewinn davon, nie ist zu hören, man wolle einfach eine andere Interpretation vorstellen, so wie man in der Musik ja problemlos mehrere Einspielungen des gleichen Stücks schätzen kann, ohne dabei frühere Werke zu desavouieren.
Was jedoch noch viel bemerkenswerter ist: Meist greift die Strategie, bisherige Fassungen – die ja erst die weltliterarische Bedeutung eines Werkes etabliert haben – werden diskreditiert, Neuübersetzungen dagegen als einzig gültig, quasi sakrosankt ausgegeben und als «kongenial« etikettiert. Im vorliegenden Fall ist die Sache sogar noch eklatanter, da der Verlag selbst der Literaturkritik gleich die Arbeit abnimmt, indem er den Titel von vornherein so bewirbt:
»Kongenial neu übersetzt«.
In diesem Sinne: Mir nach, Leser und Leserin, nehmen wir den Text unter die Lupe.

Aller Anfang ist bekanntlich schwer, und der Anfang dieses Romans hat es in sich. Er sei hier stellvertretend eingehender untersucht. Thomas Reschke folgt in seiner, der alten, Übersetzung der Satzaufteilung Bulgakows; bei ihm heißt es: »An einem ungewöhnlich heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer. Der eine, etwa vierzig Jahre alt, trug einen mausgrauen Sommeranzug, war von kleinem Wuchs, dunkelhaarig, wohlgenährt und hatte eine Glatze; seinen gediegenen Hut, der wie ein Brötchen aussah, hielt er in der Hand, und das glattrasierte Gesicht war mit einer überdimensionalen Hornbrille geschmückt.« Alexander Nitzberg braucht weniger Wörter als das Original, dafür aber entschieden mehr Sätze: »Es war Frühling, eine heiße Dämmerstunde am Patriarchenteich. Zwei Herren zeigten sich. Der erste im grauen Sommeranzug. Ein brünetter Vierziger, klein, rundlich, beglatzt. Seinen recht ansehnlichen Hut hielt er zusammengedrückt in der Falte.«

Den Hut hielt er ... zusammengedrückt in der Falte. Mag sein, meine Assoziationen sind zu ostfriesisch geprägt, doch ich höre da gleich: Er hielt ihn in der Falte? In felcher Falte?, fragen fir uns. Diesem Hut spendiert Nitzberg sogar eine eigene Anmerkung, um sein Äußeres zu beschreiben. Er wäre ansonsten nicht der Erwähnung wert, würde er nicht auf ein echtes Problem verweisen, das Nitzberg mit Kleidung hat: Jeschua, also Jesus, tritt in einer »Robe« auf, nicht, wie es im Original heißt, im Chiton, die Römer tragen Mäntel, keine Umhänge (was im Russischen ein Wort ist) oder, schöner noch, einen Militärrock. Auch das müsste nicht weiter ausgeführt werden – wenn es nicht zeigte, wie unglücklich sich Sprache und Inhalt teilweise aneinander reiben. Jeschua, bei seinem ersten Auftritt bereits gefangen und geprügelt – dieser Jeschua trägt eine Robe? Ach ja? O nein: Vielmehr erzeugt die Übersetzung hier eine Sperrigkeit, die im Original nicht vorhanden ist.

Expressive Sprache 

Um bei der Sperrigkeit zu bleiben: Nitzberg betont, er wolle die expressiven Formulierungen Bulgakows auf keinen Fall glätten, eher noch herausarbeiten. Als Beispiel nennt er den Statthalter, der den Arm »hoch hinaus schleuderte«, was Reschke schwächer mit »hob« übersetzte. Die Kritik trifft hier insofern zu, als der russische Ausdruck tatsächlich bedeutet: »etwas mit einer abrupten Bewegung tun« – und in der russischen Sprache absolut gängig ist. Ein »riss den Arm hoch« hätte es also auch getan. Völlig ohne jede Anmerkung.

Mitunter scheint Nitzberg mit dem auf sprachliche Individualität fixierten Blick auch den Wald vor Bäumen nicht zu sehen: »Der Lastwagenfahrer mit grimmiger Miene startete den Motor. Der Kutscher daneben hielt seinen Gaul warm, indem er ihm die violetten Zügel über die Kruppe sausen ließ.« Er hält ihn also warm – und vermutlich auch sicher. (Leider wird der Gaul auch bei Reschke »angewärmt«.) Auch in diesem Fall steckt jedoch nichts als eine feste russische Fügung dahinter: Als der Fahrer den Laster startet, will der Kutscher eine Art Wettrennen aufnehmen, indem er sein Pferd »antreibt« und mit dem Zügel auf ihn einschlägt.

Das letzte Beispiel deutet aber noch ein weiteres Problem an: die Satzstellung. Nitzberg hat kein Problem, Bulgakows Sätze radikal und konsequent zu zergliedern oder in Klammern zu setzen. Gleichzeitig merkt er an, Bulgakow schreibe sehr pointiert, was heißt, das entscheidende Wort finde sich am Schluss. Obwohl das Russische durch seine flexiblere Satzstellung hier mehr Möglichkeiten hat, wollte er auch das nachahmen, was eine monotone Häufung inversiver Sätze zur Folge hat: »– Er kommt also her in Unterwäsche? – wiederholte die Frage der Pirat.«

Erzählperspektive

Viel ärgerlicher und für die Lektüre weit störender ist jedoch eine andere Übersetzungsstrategie. Bulgakow hat in seinem Roman einen (auktorialen) Erzähler aufgebaut. Nitzberg will »seinen« Text lebendiger gestalten, indem er verstärkt auf die personale Perspektive zurückgreift. Das alles – und das ist von entscheidender Bedeutung – in einem Roman, in dem es etliche phantastische Momente gibt, in dem Kater sprechen, Köpfe abgehackt und wieder angesetzt werden, Geld von der Decke regnet und sich Dinge dematerialisieren. Diese Momente werden in dem Roman als Realität ausgewiesen, nicht als Imagination. Man muss also mit einigem rechnen.

Doch auch damit? »Und schallend zerbarst die Sonne. Und überflutete seine Ohren mit Glut. Und in dieser Glut brodelten wild durcheinander: Gebrüll, Gekreisch, Gestöhn, Gelächter, Gepfiff.« Wie sieht's aus, kommt es da zu einem infernalischen Lärm oder nicht? Ein Blick ins Original klärt diese Frage eindeutig, denn dort heißt es ganz klar, ihm, Pilatus, schien es so, als ob. Das ist kein Einzelfall, im Gegenteil, fast durchgängig verzichtet Nitzberg darauf, sprachliche Indikatoren, die etwas Vages, einen Eindruck, anzeigen, im Deutschen kenntlich zu machen. In einem Roman, in dem derart viele Personen psychiatrisiert werden, in dem die Frage nach Realität, Wahn und Wahnvorstellung eine solch zentrale Rolle einnimmt, ist das zumindest irritierend.

Die Anmerkungen

Ein Kapitel trägt die schöne Überschrift »Schwarze Magie nebst ihrer Enthüllung« – nur dass die Herren Schwarzmagier dann auf die Enthüllung verzichten. Nitzberg hat seine Übersetzung ausführlich kommentiert, zum einen einzelne Textstellen, zum anderen mit einem Nachwort. Vielleicht ist es ein Fehler, diese Anmerkungen parallel zu lesen. Vielleicht käme die Übersetzung ohne sie überhaupt besser weg.

So aber erfährt man, in dem und dem Satz käme es zu einer Häufung dieser und jener Laute, die saloppe Ausdrucksweise parodiere die bewusst ungehobelte Sprache proletarischer Dichter jener Jahre oder wie die Namen »B. Trugowa« bzw. »O. W. Mirowa« zu dechiffrieren seien, nämlich als »Betrug-owa« und »Oh-weh-mir-owa«. Um Missverständnissen vorzubeugen: Einige Anmerkungen sind durchaus sachdienlich. Aber wenn Nitzberg in seinem Nachwort den grundlegenden Ansatz seiner Arbeit erläutert, der auf einer »poetischen Lesart« beruht – warum lässt er die Leserschaft diese Entdeckungen nicht selbst machen? So entzaubert er den Text, stuft ihn zum Werkstattbericht herab.

»Frisch und zupackend«

Die Lektüre dieser Übersetzung bescherte mir die x-te Wiederbegegnung mit Bulgakows Roman – und zum ersten Mal ermüdete er.

Die Strategie war – bei aller harten Arbeit, die dahintersteckt –schnell erkannt: Sätze werden zerhackt, Personalpronomen in direkter Rede weggelassen (was einen gewissen Gleichklang der Stimmen erzeugt) und das Wienerische eingeschmuggelt.

Sicher, vieles davon ist eine Frage des Geschmacks, so der Dialekt. An vieles gewöhnt man sich auch im Laufe der Lektüre, so an den Woland mit W oder an die Wiedergabe der direkten Rede mit Gedankenstrichen statt Anführungszeichen (was das Druckbild angesichts der häufigen Verwendung dieses Satzzeichens mitunter wie einen Schweizer Käse aussehen lässt und Bezüge aufhebt: nicht immer ist klar, ob etwas zur gesprochenen Sprache gehört oder nicht). Nur: Weder bei der alten Übersetzung noch im Original bedurfte es solcher Phasen des Warmlaufens.

Wenn der Verlag die vorliegende Übersetzung als »frisch und zupackend« charakterisiert, hat er zumindest mit Letzterem recht. Nitzberg hat zugepackt – und herausgekommen ist eher ein Nitzberg als ein Bulgakow. Das erklärt sich vor allem durch seine Lesart: Er verweist die inhaltliche, also politische oder religiöse Lesart, auf den zweiten Rang und bevorzugt die formale, poetische, wohl weil er selbst von der Lyrik kommt. Das ist als Ansatz durchaus interessant. Gerade in der Personalisierung von Dingen sind ihm hier auch einige gute Lösungen gelungen. Und das einzige Gedicht im Text ist tatsächlich besser als bei Reschke. Andrerseits: Bulgakow selbst hat, so weit bekannt, keine Gedichte geschrieben ...

Für die nunmehrige Altübersetzung lässt sich damit festhalten: Sie braucht sich nicht zu verstecken. Die Neuübersetzung dürfte dagegen eine Fundgrube für Literatur- und Translationswissenschaft darstellen. Doch rein zur Lektüre? Wie heißt es da doch in ihrem ersten Kapitel zu Berlioz? Er »sagte recht fit: – Tja, dann«. In diesem Sinne: Ich sag's ganz fit: Mein Fall ist die nit.
 









Michail Bulgakow
Meister und Margarita
Aus dem Russischen übersetzt
von Alexander Nitzberg
Galiani 2012
601 Seiten
29,99 €uro

 


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