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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Von den Nazis ausgezählt

Stephanie Barts großartiger Roman
erinnert an
den
deutschen Boxer Johann Rukelie Trollmann, der,
weil er Sinto war, 1933 nicht
»Deutscher Meister« sein durfte.

Von Lothar Struck



 

31. März bis 21. Juli 1933 - es sind nur knapp vier Monate, die Stephanie Bart in ihrem Roman "Deutscher Meister" erzählt. Vier Monate im Leben eines Boxers, des deutschen Sinto Johann Rukelie Trollmann, der seine Boxerlizenz auf den Vornamen Heinrich beantragt hatte. Vier Monate die bestimmend sein sollten, obwohl mit einem anderen Datum, dem 30. Januar 1933, eigentlich schon alles vorgegeben ist. Trollmann erlebte in diesen vier Monaten das, was man gemeinhin eine Achterbahnfahrt nennt, aber natürlich alles andere als ein harmloses Kirmesvergnügen war. Auch wenn man den (sehr knappen, lakonischen) Epilog nicht gelesen und die in den letzten Jahren durchaus zahlreichen medialen Erinnerungen an Johann Rukelie Trollmann versäumt haben sollte, ahnt man das Ende.

Es sind sieben Boxkämpfe, die Trollmann in dieser Zeit bestreitet; für heutige Verhältnisse ein unmögliches Pensum. Da gibt es zum Beispiel den Kampf gegen den belgischen Weltergewichtler Gustave Roth in Antwerpen, den dieser knapp und durchaus umstritten nach Punkten gewann. Nur neun Tage später gewann Trollmann gegen Otto Klockemann, ein Gegner, der vom schnell auf nazistische Linie gebrachten Verband ausgeguckt wurde, um den ungeliebten "Zigeuner" als potentiellen Herausforderer durch einen Schwergewichtler auszuschalten. Aber das klappte nicht, Klockemann wurde in der 2. Runde ausgeknockt. Jetzt konnte man ihm den Kampf um die Deutsche Meisterschaft, den man seit Jahren systematisch mit allerlei Tricks verhindert hatte, nicht mehr verwehren zumal der Verband den Juden Erich Seelig, der eigentlich der Herausforderer gewesen wäre, derart bedrohte, dass dieser Deutschland sofort verlassen hatte.

Trollmann kämpfte am 9. Juni, also zwei Wochen nach dem Sieg über Klockemann, gegen Adolf Witt, einen wuchtigen, aber technisch eher mittelmäßigen Boxer mit starken Nehmerqualitäten. Schließlich gibt es noch den Kampf vom 21. Juli, in dem Trollmann, dem man den Meisterschafts-Titel mit schmutzigen Tricks wenige Tage später am grünen Tisch aberkannt hatte, gebrochen werden sollte.

Die Kämpfe gegen Roth, um die Deutsche Meisterschaft und die Farce am Ende werden genauer erzählt. Bart thematisiert die rassistischen Umtriebe des Ersten Vorsitzenden (der im ganzen Buch namenlos bleibt; es ist Georg Radamm), der den Faustkämpfer-Verband von allem Undeutschen bereits wenige Wochen nach dem Sieg der "nationalen Revolution" zügig "gesäubert" hatte. Aber irgendwie hatte man den Zigeuner Trollmann vergessen. Und plötzlich ist ein Kampf um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht zwischen Adolf Witt und Johann Rukelie Trollmann von den Statuten her unvermeidbar.

Faszinierende Simultaneitäten

Die Verbandsinterna werden nicht mit Ironie, sondern zuweilen mit beißendem Sarkasmus erzählt und Bart erlaubt sich sogar den ein oder anderen wohldosierten Kalauer. Fast simultan werden zusätzlich mindestens immer zwei weitere Handlungsstränge geführt, beispielsweise: Trollmann mit seinem Manager Zirzow und Trainer Dirksen, sein Gegner Adolf Witt mit Freundin und Berater Haymann, der mit seinem völkischen Boxtrainingsbuch Witt zum Titel führen sollte und undeutsche Trainings- und Boxallüren ausmerzen wollte (was dazu führte, dass Witt konditionell im Kampf ganz schnell am Ende war). Dann gibt es noch den Lebenskünstler und Salonlöwen Bishop mit seinem Partner und Freund Beaujean, die beiden Bäckereifräulein Henriette Kurzbein und Maria Plaschnikow, beide glühende Verehrerinnen von Trollmann, die Ullstein-Lehrlinge aus der Druckerei, die untereinander auf Boxkämpfe um die Übernahme einer unangenehmen Schicht wetteten, die Familie des Boxers in der Nähe von Hannover und der – freundlich ausgedrückt - nicht besonders kluge SA-Mann Radzuweit nebst seiner "Freunde" (Bart macht nicht den Fehler, diese Personen zu denunzieren; ihre Dummheit und, später, Bestialität wird dadurch besonders plastisch). Je mehr sich alles auf einen Kampf konzentriert, desto intensiver werden die einzelnen Szenen schließlich in der Boxhalle zusammengeführt. Es entstehen faszinierende Simultaneitäten, die einen mächtigen Sog mit einer immensen Dichte erzeugen.

Schon in der Schilderung des Roth-Kampfes deutet sich die große Virtuosität der Autorin in der Schilderung des eigentlich doch eher rauen Boxsports an. Etwa wenn es folgende Szene gibt:

In der Tat nagte Roth an dem Schlag gegen die Schläfe. Die Wirkung des Aufpralls hatte sich ausgedehnt, die weiße Haut sich gerötet, die Stelle brannte. Innen war das Hirn gegen den Schädelknochen geschleudert worden, Nerven gezerrt, Zellen gequetscht, das Blut in Schlagrichtung geschlossen, die Halswirbelsäule weggerissen. Nun musste sich das Hirn in hin und her schwappenden Liquor wieder in seine richtige Lage schaukeln. Roth sah Sterne. Trollmann sah die Sache nüchtern: Im Hause des Gegners kannst du nicht nach Punkten siegen.

Einen Tag vor dem Meisterschaftskampf Trollmanns gegen Witt hatte Max Schmeling gegen Max Baer in New York vernichtend verloren. Baer, dessen Vater Jude war, äußerte sich deutlich über die Diskriminierung der Juden in Nazi-Deutschland und politisierte den Kampf, indem er einen Davidstern auf seiner Hose trug. Schmeling wird im Buch ambivalent geschildert, weil er die Nazis sofort akzeptierte, bei diesen aber längst als "Amerikaner" galt, weil er nicht mehr in Deutschland boxte. Durch diese Niederlage missgestimmt gingen die Verbandsfunktionäre also in den Trollmann-Kampf, der das Kraft- und Erzählzentrum dieses Romans bildet.

Ansteckende Begeisterung

Bart gelingt mit dem Kampf vom 9. Juni nochmals eine Steigerung ihrer Erzählkunst. Das Boxen bekommt eine eigene, eine ganz neue, bildhafte aber dabei nicht metaphernlastige Sprache. Aktionen und Interaktionen der Kämpfer werden bei der Lektüre zuweilen nahezu physisch spürbar. Bart begeistert sich dabei ansteckend über Trollmanns tänzelnden, leichten Stil, der natürlich an den damals noch gar nicht geborenen, aber inzwischen für uns längst legendären Cassius Clay bzw. Muhammad Ali erinnert. Die anwesenden (oder auch abwesenden) Personen, die dem Kampf zuschauen, werden zu einem faszinierenden Panoramabild zusammengefügt, in dem es neben derben Massenszenen aber auch wunderbare kleine, zeitlupenartige Momente gibt, die selbst den hartnäckigsten Boxsportmuffel neugierig macht und milde stimmt:

Unter gnadenlos klarem Nachthimmel der Garten, darinnen das Publikum, die Menge, ein summendes Nest ohne Jenseits, darinnen die Kämpfer, eingehüllt in das Hantieren ihrer Sekundanten, schwer atmend, beschienen vom Licht der Ringlampen, separiert von der Welt durch die Seile, pausierend für abgezählte sechzig Sekunden. Es war die letzte Stunde des Tages, des 9. Juni, und die Zeit waltete ihres Amtes, sie lief.

Als sich der überlegene Sieg Trollmanns abzeichnete (selbst die eigentlich "auf Linie" vergatterten Punktrichter mussten zum Teil zähneknirschend die Überlegenheit des "Zigeuners" anerkennen), versuchte der Erste Vorsitzende noch einen billigen Trick. Er ließ den Siegerkranz kurz vor dem Ende wegschaffen und ordnete an, den Kampf zwar als für Trollmann gewonnen zu werten, aber wegen unboxerischen Verhaltens beider den Titel nicht zu vergeben. Trollmann hatte Witt nicht einfach verprügelt, sondern umtanzt und seine boxerische Überlegenheit für jeden sichtbar damit noch verdeutlicht. Das Urteil löste wütende Proteste und Tumulte aus. Gegenstände flogen durch die Luft. Das Publikum beruhigte sich auch nicht als ein neuer Kampf begonnen wurde. Schließlich gab man nach, der Gewinner wurde zum Deutschen Meister ernannt, die Halle tobte diesmal vor Freude und Trollmann schwebte auf hochgestreckten Händen, die ihn hielten […] und die Leute schrieen vor Vergnügen und drehten, weil sie nicht genug davon kriegen konnten, einen Ehrenrunde durch den unteren Teil des Gartens. Noch hatten die Beliebtheit Trollmanns und die Sportlichkeit einen Sieg errungen.

Aber nur für einige Tage. Handstreichartig und in wenigen Minuten wurde in der Sitzung des Verbands Trollmann Sieg und Titel aberkannt und Strafen unter anderem an Zirzow ausgesprochen. Offiziell hieß es "wegen ungenügender sportlicher Leistung beider Kämpfer". Tatsächlich wollte man sich in seiner weltanschaulichen Verblendung des "Zigeuners" nun endgültig entledigen. Also wurde ein Kampf mit Gustav Eder angeordnet, der sich zwar zunächst unwillig aber letztlich dann doch kampfbereit zeigte. Um die fast 6 kg auszugleichen, die Eder leichter war, wurden kurzerhand die Spielregeln "angepasst". Der Ring wurde satzungswidrig verkleinert und vor allem: Trollmann durfte nicht laufen, flitzen oder tanzen. Bart legt Trollmann eine lakonische Replik auf diese "Anweisungen" in den Mund: "Ich hätte da noch einen Vorschlag: Sie könnten mir die Linke auf den Rücken und die Rechte auf den Bauch binden!" Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte man mit dem Verlust des Kampfes und dem Entzug der Boxlizenz. So blieb eigentlich keine Wahl: Boxt er wie angeordnet, verliert er. Boxt er seinen Stil, dann wird er disqualifiziert und verliert auch.  

Das Ende vom Geist der Weimarer Republik

Aber etwas anderes hatte sich zwischen dem Meisterschaftskampf Anfang Juni und der Farce vom 21. Juli ereignet. Es war die sogenannte "Köpenicker Blutwoche" zwischen dem 21. und 26. Juni 1933, in der SA-Schlägertrupps und andere Pöbelbanden wahllos missliebige Personen festnahmen, folterten und ermordeten, und all dies natürlich mit Billigung bzw. Wegsehen von Polizei und Justiz. Von diesem Augenblick an wich der noch vorhandene Geist der Weimarer Republik zu Gunsten der Fratze der Diktatur. Der früher eher gleichmütige Blockwart achtete nun auf den ordentlichen deutschen Gruß der Bäckerfräuleins, der homosexuelle Beaujean, der unbedingt in seiner Heimatstadt bleiben wollte, wurde festgenommen und arrestiert und nur durch den aus englischem Exil wieder zurückkommenden Bishop befreit. Von nun an glaubte man nicht mehr an eine Episode dieses Regimes; der Apparat zeigte seine Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit. Bart schildert diesen Blickwechsel, diesen Kipppunkt, nein, sie schildert ihn nicht, sie erzählt ihn exzessiv, voll Ekel (und nur einmal etwas melodramatisch, wenn sie die Folterer und Mörder bis zum Hals im Blut ihrer Opfer baden lässt).

Der Kampf gegen Eder geht natürlich für Trollmann verloren, der die Nazis damit brüskiert, mit blondgefärbten Haaren zu erscheinen. Nur in einer Runde zeigt er, was möglich wäre, als er seinem Gegner trotz der lächerlichen Einschränkungen fast an den Rand einer Niederlage brachte. Das Buch endet, aber das Elend für Trollmann beginnt erst. Der extrem kurze Epilog wirkt dennoch angemessen, weil damit der wunderbare Boxer beim Leser bleibt.

Stephanie Bart hat vier Jahre für dieses Buch in Archiven recherchiert, Quellen gesichtet und Zeitzeugen befragt. Obwohl "Doku-Fiktion" – die Dialoge beispielsweise sind fiktional - ist "Deutsche Meister" ein auf andere Weise historisches Buch. Mit vielen Legenden räumt Bart sanft auf, indem sie einfach nicht erneut kolportiert werden. Der Gefahr, ihren Helden zu mystifizieren und in falsche Rührseligkeit oder Betroffenheit abzugleiten, bannt sie gekonnt. "Deutscher Meister" ist ein wunderbarer Epitaph und ein großartiges Stück Literatur. Lothar Struck

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.

Artikel online seit 12.08.2014
 

Stephanie Bart
Deutscher Meister
Roman Hoffmann & Campe
384 Seiten
22,- €
978-3-455-40495-1

Leseprobe

 


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