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Bücher & Themen Artikel online seit 07.05.14 |
Grenzgänger
am Grünen Band |
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Von Travemünde bis zum "Dreiländereck" Sachsen, Bayern und Tschechien reist Rüdiger Dingemann für seinen opulent bebilderten Prachtband "Mitten in Deutschland" und unternimmt "Entdeckungen an der ehemaligen Grenze" um das sogenannte "Grüne Band", der Niemandslandstreifen im Grenzgebiet zwischen BRD und DDR. Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert: Von der Ostsee bis an die Elbe, vom Wendland bis in den Harz, von dort bis in die Rhön und schließlich ins Vogtland. Das sind insgesamt 1393 Kilometer. 17 Naturräume werden miteinander verbunden. Ehemalige Zonenrandgebiete, zumeist (aber nicht immer) wirtschaftlich weil geographisch benachteiligt und daher auf westdeutscher Seite subventioniert, werden zu Biosphärenreservaten. Von 16 Biosphärenreservaten in Deutschland sind fünf um das "Grüne Band", eine "Lebenslinie", "ein Refugium für Tiere und Pflanzen im Schatten des einstigen Todesstreifens". Dingemann erläutert die einzelnen Zonen, in denen Biosphärenreservate eingeteilt sind. Immer gilt: Es sind fast ausnahmslos Kulturlandschaften, zuweilen auch landwirtschaftlich genutzt. Allerdings geschieht dies behutsam und sanft. Dingemann reist dieses "Grüne Band" ab, fast von Dorf zu Dorf, fächert dort, wo es lohnt, die Historie eines Ortes oder einer Landschaft auf und findet Bemerkenswertes, Skurriles und zuweilen auch Unterhaltsames. Man liest von der Schlacht um Gorleben, einer Dorfrepublik Rüterberg und über den "Freistaat Coburg". Einem Erdgasfeld in Salzwedel und dem Permafrost-Boden bei Reulbach wird ebenso wie dem ehemaligen US-Beobachtungsposten Point Alpha (wie putzig dieser heutzutage wirkt) ein Besuch abgestattet. Man bekommt den Unterschied zwischen Rundlingsdörfern und Doppeldörfern erklärt und wird über die Vorteile des Anerbenrechts im Vergleich zur Realteilung unterrichtet. Der Leser erfährt von Goethe und Heine im Harz, dem Notaufnahmelager Friedland, welches heute eine andere Funktion hat als zu Beginn der Bundesrepublik und man erfährt von den Grenzübergängen im Vogtland, die ein Spiegelbild politischer Stimmungsbilder abgaben – mal waren sie geöffnet, mal nicht. Durch die Teilung wurden Landstriche willkürlich auseinandergerissen, und das auf Jahrzehnte. Es gab Zwangsumsiedlungen ("Aktion Ungeziefer") und gelegentlich wurden Dörfer dem Erdboden gleich gemacht; am Ende wird ein verschwundenes Dorf besucht. Dingemann wartet mit Augenzeugenberichte von Ereignissen auf, die sich an und um die Grenze abspielten. Und der Leser erfährt etwas über die Thematisierung der Teilung im deutschen Film und in der deutschen Literatur. Aber auch die nationalsozialistische Vergangenheit einiger Orte bleibt nicht unerwähnt. Und hinsichtlich der "Natur im Schutz der Grenze" wird ebenfalls nichts beschönigt: Die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Landwirtschaft, Tourismus und Naturschutz müssen Ort für Ort, Region für Region immer wieder neu ausbalanciert werden. Noch funktioniert es; das Buch ist beredtes Zeugnis davon.
Dingemans Ton ist
unaufdringlich, sachlich, informativ, aber nicht vollgepfropft mit Zahlen und
Daten. Trotz der zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die gewürdigt und bebildert
werden, ist das Buch kein Reiseführer. Dingemann hält sich wohltuend zurück, was
Empfehlungen oder "Tipps" angeht; Superlative gibt es nur dort, wo sie wirklich
angebracht sind. Trotzdem erzählt er anregend, teilnahmsvoll und kurzweilig.
Gerade das ist es, was den lesenden (West-)Reisemuffel anspricht. Fast möchte
man den Koffer packen und losfahren. Und Landschaften besuchen, in denen Natur,
Geschichte und Politik auf eine höchst interessante Weise miteinander verknüpft
sind. Dabei wird nicht sentimental auf die alte Bundesrepublik zurückgeschaut.
Im Gegenteil: 25 Jahre danach wird hier die Wiedervereinigung still aber doch
emphatisch gefeiert. Aus dem "Eisernen Vorhang" ist ein "Grünes Band" geworden.
Lothar Struck |
Rüdiger
Dingemann |
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