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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


Als wär’s ein Stück Papier.

Über die Erzählungen von Jens Dittmar

Von Franz Blaha

Siebzehn sind es. Natürlich. Eine Nichtprimzahl wäre viel zu unbizarr, diesen Erzählungen viel zu inadäquat, in denen Assoziationsschätze einer unerschöpflichen Fantasie einander wie inhomogene, bunte Kristalle durchwachsen.

Da brennt der Balzer Basil den Balzner Wald nieder, schreibt Liebesbriefe im Stil des 18. Jahrhunderts und das Mädchen heißt Maria Theres. Da heißt ein Direktor, der wie ein Pausensnack aussieht, Kägi Fred – Pseudokausalitäten, die in den Erzählungen zu weit auseinanderliegen, um sich abzunutzen, die sich abwechseln mit Gegenständen, denen ein Nebensatzbündel an Beifügungen ein abstruses Eigenleben verleiht. Schlüpft jemand in Stiefel, so sind es Winterstiefel, die er im Bregenzer Wald gestohlen hat. Bedient er sich einer Kopfbedeckung, ist es eine Fellmütze aus dem letzten Russlandfeldzug. Wird um einen Doktorhut gestritten, so ist dieser längst durch eine Weihnachtsmann-Zipfelhaube ersetzt, deren Träger von Ninja-Turtles mitten aus einem traditionellen Beisel abgeführt wird.

Ein halbnackter Bernsteinbaron bellt seine Hunde an – mit deren Namen: Hitler und Trotzki. „Was treiben Sie in meinem Garten?“, fragte er ohne jede Spur von Verwunderung. Hilflos auf die Hunde weisend und erkennend, dass die Gefahr vorüber war, kehrte meine Ruhe wieder und ich antwortete lakonisch: „Schneemänner bauen.“ Worauf der Baron eine mit Pseudophilosophien gespickte Schneeflockengeschichte zum Besten gibt. Wieder enthält die Erzählung ein Spiel mit den freien Assoziationen des Lesers, der sich nicht enthalten kann, im „Bernsteinbaron“ einen Münchhausen'schen Lügenbaron zu entdecken, der diesem aber wieder gar nicht entspricht.

Um welche Themen geht es in den Geschichten? Ja – es ist von Liebe und Tod, von Gelehrsamkeit, freier Liebe und Perversion die Rede, von Autostoppern, von Schule, von mysteriös wandernden Geschirrspülmitteln und Tätern mit fehlendem Gedächtnis . Aber doch nur, um den Leser Vertrautes erwarten zu lassen und ihn dann mit Unvertrautem, alle Grenzen der Logik Durchbrechendem zu überraschen. Immer wieder scheint bekanntes Gelände aufzutauchen und immer wieder betritt man stattdessen einen wundervoll mit Surrealitäten gespickten Irrgarten. Da gibt es den Lehrer Gregor, der jede Schülerin Bärbel und jeden Schüler Moritz nennt, weil er sich keine Namen merkt. Schon erwartet man eine „zerstreuter Professor“-Story, da scheint Gregor sich als Absurd-Gelehrter zu entpuppen, der frei nach Linné eine Sprachzoologie entwickelt, in der sich alphabetisch Kater an Katzenklo, Katzensee, Katzensprung und Klammertier reiht. Letzteres stammt übrigens aus einer der vorangegangenen Geschichten, in der ein abnormaler Goldhamster namens Marco Polo vorkommt, wie auch Basil und Hermann in verschiedenen Geschichten und variierenden Zusammenhängen auftauchen. Der Lehrer Gregor verwandelt sich eine gehörnte Heidschnucke, eine Anspielung an die Kafka´sche Metamorphose, die auch wieder nur dazu dient, falsche Erwartungen zu wecken, denn die Heidschnucke ist glücklich, wenigstens eine Zeitlang und verabschiedet sich mit philosophischen Sätzen aus der Erzählung.

Am Ende findet der Leser in „Jim strandet. Ein Anagramm“ Hinweise auf das Schreibkonzept des Autors. Nur ist man an dieser Stelle schon zu gewitzt, diese im Stil perfekten Gelehrtenjargons gesetzten Ausführungen noch für bare Münze zu nehmen. Böse kann man dem Autor für das wunderbare Irreführspiel ein ganzes Buch hindurch nicht werden. Jens Dittmar schafft es, die Realität als einen Klöppel zu nutzen, der die Glocke eines Surrealgefüges zum Klingen bringt, und zwar so, dass man gerne hinhört.

Inmitten dieser absurden An- und Nebenklänge steht, beinahe konventionell erzählt, beinahe Arthur-Schnitzler-haft, die Titelgeschichte. Darin wird am Geplänkel eines Paares in einer Alltagssituation ein Beziehungsgefängnis sichtbar gemacht. Gleichzeitig porträtieren sich die beiden Protagonisten in den Dialogen aneinander. Ein Mann in den Fängen einer Klammertier-Frau, die ihrerseits dem Gespinst ihrer Trennungsängste nicht entkommt.
Als Autor, der es versteht, den Leser zu dessen Vergnügen an der Nase herumzuführen (und das, ohne ihn dabei zum Deppen zu machen), nimmt Jens Dittmar in der Gegenwartsliteratur zweifellos eine Sonderstellung ein.

Mit freundlicher Erlaubnis vom Driesch Verlag
 







Jens Dittmar
Als wär’s ein Stück Papier
Erzählungen
168 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag.
Bucher-Verlag, Hohenems 2011.
Hardcover, 13,5 x 21,5 cm,
168 Seiten
Euro 18.50
ISBN 978-3-99018-046-4
Auch als Kindle-Edition
 


Glanz & Elend
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