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&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 27.11.12

Sex, Drugs and Poetry ...

... wäre die passende Benennung, würde man Philippe Djian
ein eigenes Genre widmen. Denn auch in seinem neuen
Roman »Die Rastlosen« (Incidences) führt der französische
Autor die Leser anhand dieser Leitmotive durch die 219 Seiten.


Von Krisha Kops

 

Wahrlich verkauft sich Sex immer gut, doch wer einen erotischen Groschenroman oder einen Exkurs über Schlafzimmervorlieben à la Charlotte Roche erwartet, ist hier fehl am Platz. Djian ist nun mal ein Meister des Auslassens, der versteht, dass weniger oft mehr ist, ob es nun um Sex, Literatur oder beides geht.
Die gleiche Philosophie vertritt auch seine Hauptfigur Marc, ein gescheiterter Schriftsteller und Literaturdozent für Kreatives Schreiben, der den Großteil der zeitgenössischen Literatur verabscheut und seinen Schülern beipflichtet, dass ein wirklich guter Schriftsteller die Dosierung von Informationen beherrscht.
Allerdings beschränkt sich Marcs Auslassen nicht nur auf die Literatur, sondern auch auf sein Gedächtnis. So findest er nach einer berauschenden Nacht seine Studentin Barbara tot in seinem Bett auf, ohne zu wissen, was geschehen ist. Diese Gelegenheits-Amnesie tritt immer wieder bei ihm auf.
Daraufhin beschließt der paranoide Marc, die junge Studentin in einer Felsspalte im Wald verschwinden zu lassen, aus Angst zu Unrecht von der Polizei verdächtigt zu werden. Dieser Spalt ist mehr als nur ein geeignetes Versteck für die Leiche, es ist ein Symbol für das Verdrängte, das sich in Marc verbirgt.
Marc und seine Schwester Marianne scheinen eine schreckliche Kindheit durchlebt zu haben. Anfangs nur selten, dann immer öfter brechen diese Erinnerungen durch. Auch hier zeigt Djian, wie er das Auslassen beherrscht und somit dunkle, opake Figuren kreiert, die sich auch am bitteren Ende niemals völlig offenbaren, ja nicht offenbaren können.

Etwas, das Marc hingegen nicht wohl dosieren kann, ist seine Anziehungskraft auf das andere Geschlecht, insbesondere auf seine Studentinnen. Die Gabe, »bei diesen verdammten Frauen gut anzukommen, bevor man überhaupt den Mund aufgemacht hatte«, wird ihm allzu oft zum Verhängnis.
Nicht nur wegen Barbara, auch wegen dem literarisch hoffnungslosen Fall Annie Eggbaum. Diese penetrante Studentin lässt Marc sogar verprügeln, um endlich ihre »Nachhilfestunden« zu bekommen.
Dass Marc sich schließlich in Myriam, Barbaras Stiefmutter, verliebt, macht ihm sein Leben nicht leichter. Insbesondere da Barbaras Vater im Einsatz in Afghanistan verschollen ist, und man sich seiner Rückkehr nicht gewiss ist.
Noch weniger erleichtert Marianne ihm sein Leben mit ihrer depressive Art und ihrer Eifersucht. Die gemeinsame, grausame Kindheit hat zwischen den Geschwistern ein schwieriges Verhältnis geschaffen, das die Beiden zwischen einem ewigen Festhalten und Loslassen zermürbt. Etwas morbid Inzestuöses liegt von Anfang an in der Luft. 
Hinzu kommt, dass Marcs eifersüchtig auf seinen Erzfeind Richard ist. Einerseits da Richard ein undurchsichtiges Verhältnis zu seiner Schwester hat, andererseits da er sein Vorgesetzter ist und Marc auf Grund seiner unangebrachten Verhältnisse zu den Studentinnen und deren Müttern zu entlassen droht. Zu Unrecht wie Marc findet.

Daß Dijan wie so oft über einen Literaten schreibt, ist nichts Neues. Weder bei ihm, noch in der Literatur an sich. J.M. Coetzee und John Irving sind da nur zwei Beispiele, die Beweisen, dass es für einen Schriftsteller doch einfacher ist, zwischen seinen eigenen Schläfen zu recherchieren.
Nichtsdestotrotz sind die Parallelen zwischen der Figur, der Geschichte und Dijans Stil interessant. Pragmatisch und ohne jegliche Akrobatik sind nicht nur Marc und seine Literaturtheorie, sondern auch Djians souveräner Aufbau und seine Sprache. 
Das erscheint einem natürlich, wenn man bedenkt, dass Djian seinen Sprach- und Erzähl-Puritanismus im Anklang zu der modernen amerikanischen Literatur findet. Djian und sein Protagonist sind sich einig, dass sie den Leser nicht mit unnützen Wortspielereien und »Überheblichkeit« bestechen wollen, sondern durch präzisen Satz- und Sprachrhythmus.

Die Rastlosen ist kein Buch, das eine tiefe Botschaft vermitteln will. Es ist ein Buch, das aber trotzdem eine nüchterne Wahrheit widerspiegelt. Die Wahrheit der Defätisten. Oder wie Marc sinniert: »Wie könnte man heute noch mit gutem Gewissen froh und munter sein, außer man ist Zyniker oder steinreich?“
Philippe Djian ist seinem Motto Sex, Drugs und Poetry treu geblieben, auch wenn die einzigen Drogen Schmerzmittel und Zigaretten sind. (Ein Haufen Zigaretten). Die Rastlosen ist eine Empfehlung für jeden, der Reduziertes, vielleicht sogar Untertriebenes mag und sich für eine halbwegs spannende Geschichte über die zerrissenen Verhältnisse und Verdrängungen seiner fiktiven Nachbarn interessiert.

Blog von Krisha Kops
 

Philippe Djian
Die Rastlosen
Roman
Hardcover Leinen, 224 Seiten
Diogenes
ISBN 978-3-257-06834-4
€ (D) 19.90 / (A) 20.50
sFr 28.90


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