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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Vertrackte Testamentsvollstreckung

Lutz Hachmeister möchte hochambitioniert eine Biographie
von Martin Heideggers »Spiegel«-Interview von 1966 abliefern -
und dabei den Philosophen gleich mit erledigen. Besser als dies
gelingt es ihm, den Mythos des Nachrichtenmagazins zu dekonstruieren. 

Von Lothar Struck

 

Am 23. September 1966 empfing der Philosoph Martin Heidegger auf seiner Hütte in Todtnauberg den »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein zu einem Interview. Dabei waren der Ressortleiter »Geisteswissenschaften« des Magazins, Georg Wolff,  eine Photographin (die junge Digne Meller Marcovicz), ein Stenograph, Heideggers Frau und des Philosophen Faktotum Heinrich Wiegand Petzet. Heidegger galt als einer der bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Seine Vorlesungen in den 1920er Jahren füllten den Hörsaal. »Sein und Zeit« von 1927 gilt heute noch als eines der wichtigsten philosophischen Bücher der Neuzeit.

Aber dieser fast mythisch-verehrte Philosoph wurde auch damals schon angefeindet. Er hatte einen schwarzen, genauer: einen braunen Fleck auf seiner Weste: Heidegger diente sich den Nazis an, wurde im Mai 1933 NSDAP-Parteimitglied und Rektor der Universität Freiburg. Seine immer wieder herbeizitierte (freilich ebenfalls wenig gelesene) Rektoratsrede scheint mehr als nur ein Sündenfall eines Karrieristen zu sein. Heidegger verspürte im Nationalsozialismus das Aufkommen einer neuen Zeit in die »griechische Philosophie« und formulierte nichts weniger als eine »Kampfgemeinschaft der Lehrer und Schüler«, die einer »geistigen Gesetzgebung« zu folgen habe. Damit war – ohne auch nur einmal das Wort zu erwähnen – unzweifelhaft der Nationalsozialismus gemeint gewesen. Heidegger schwärmte von einem Aufbruch; die Universität wollte er zu einer Forschungsanstalt formen, sprach eine Trias von »Arbeitsdienst, Wehrdienst und Wissensdienst« aus, in der die Universität den Wissensdienst zu leisten habe. Zehn Monate später war Heideggers Enthusiasmus anscheinend vorbei. Er trat vom Posten des Rektors zurück. Die NSDAP verließ er nicht, aber wer vollbrachte das schon; es hätte ja noch mal ein Vorteil sein können.

Heidegger wurde nach dem Krieg mit einem vorübergehenden Lehrverbot belegt, was die Aura des Seins-Philosophen allerdings fast noch beförderte. Zu seiner Affinität zum Nationalsozialismus schwieg er. Augstein und sein ehrgeiziger Ressortleiter Wolff antichambrierten Heidegger und sahen in einem Gespräch einen Coup für das Magazin. Umso überraschter und enttäuschter war Augstein dann als der Philosoph darauf bestand, dass das Interview erst nach seinem Tod veröffentlicht werden soll. Heidegger war damals bereits 77 Jahre alt, aber es dauerte dann noch fast zehn Jahre. Am 26. Mai 1976 starb Heidegger und bereits am 31. Mai 1976 wurde das Interview gedruckt.

Lutz Hachmeisters hohe Ambition

»Heideggers Testament« soll, so Lutz Hachmeister, die Biographie eines Interviews werden. Das klingt verlockend. Aber erste Vorbehalte zeigen sich schon beim Untertitel: »Der Philosoph, der Spiegel und die SS«. Da hat sich einer viel vorgenommen. Die Skepsis bewahrheitet sich früh: »Heideggers Testament« ist als Biographie eines Interviews gescheitert. Aber es ist nichtsdestotrotz ein hoch interessantes Buch; die Lektüre ist lohnend.

Gescheitert ist Hachmeister an dem dann doch zu hohen Anspruch, alles Mögliche in das Buch hineinzupacken. So quillt es einerseits über, greift dann aber fast naturgemäß wieder zu kurz, weil es vereinfachen muss. Nach einem kurzen Überblick über Heidegger, dessen kompliziert-komplexe Philosophie, die Vorgeschichte des Interviews und dem groben Ablauf wird der Faden zum originären Gegenstand des Buches für mehr als 120 Seiten verlassen. Zu engagiert ist Hachmeister mit anderen Dingen: So schildert er wie Heidegger die letzten Wochen des »Dritten Reichs« verbracht hat – in der Abgeschiedenheit der Burg Wildenstein, mit einigen wenigen Studenten. Sehr instruktiv dann die Zitate aus der Hachmeister vorliegenden, nicht publizierten Autobiographie von Georg Wolff, der in den 50er und 60er-Jahren ein ungemein fleißiger »Spiegel«-Schreiber war, was sich zum Beispiel an den mehr als 80 Titelgeschichten zeigte, die Wolff – wie Hachmeister mutmaßt - geschrieben haben soll. Akribisch wird Wolffs Vita erzählt, zum großen Teil aus seinen Aufzeichnungen. Der 1914 geborene Wolff war während des Krieges Norwegen-Spezialist des SD und SS-Hauptsturmführer gewesen. 1950 erschien sein erster Artikel im »Spiegel«. Zusammen mit Horst Mahnke, ebenfalls ein SS-Offizier, von 1952 bis 1960 beim »Spiegel«, erkundete man das deutsche Schmugglerwesen, welches die beiden ehemaligen SS-Leute unter anderem unter jüdischen »displaced persons« verorteten. Thematisch entwickelte sich Wolff im Laufe der Jahre als ein Tausendsassa, hatte aber ein Faible für Philosophie und wurde Ressortleiter für »Geisteswissenschaften«. Er sollte sogar 1960 in die Chefredaktion eintreten, was aber dann doch nicht geschah. Hachmeisters Quelle, Wolffs Aufzeichnungen, geben keinen dezidierten Grund an, also bleibt nur die Spekulation, dass sich Augstein dann doch scheute, einen ehemaligen SS-Offizier in eine solche Position zu hieven. Wolff schied erst 1978 aus; nach seinem Tod 1996 bekam er, wie Hachmeister anmerkt,  keinen Nachruf im Blatt. (Bekam Mahnke einen?) 

Das »Sturmgeschütz« und die »›Wiesengrund‹-Leute«

Personen mit Wolffs und Mahnkes Vergangenheit waren in der Redaktion des Nachrichtenmagazins keine Einzelfälle. Die Schilderung der Rekrutierungspraxis Augsteins und die Durchdringung des »Spiegel« mit ehemaligen SD- und SS-Männern gehört fast zum Kern dieses Buches. Hachmeister schreibt beinahe eine Geschichte des »Spiegel« der 50er und 60er Jahre. 1951 sei das Nachrichtenmagazin eine Mischung aus Orden, Freimaurerloge, Kadettenanstalt und Investigationsmaschine gewesen. Augstein akquirierte zu dieser Zeit vor allem Fachleute vom nationalsozialistischen SD,  allen voran Georg Wolff und Horst Mahnke. Auch Propaganda-Spezialisten mit SS-Hintergrund konnten reüssieren - nachdem sie Augsteins rustikale Eingangsfragen überstanden hatten (»Haben Sie Juden erschossen?«). Süffisant merkt Hachmeister an, dass Augsteins gern zitierte Erfolgsformel vom »Sturmgeschütz der Demokratie«[…] angesichts der vielen Hauptsturmführer beim frühen Spiegel eine pikante, komplexe Note bekomme. Touché.

Nüchtern konstatiert der Autor: Augsteins Strategie der Rekrutierung von SD- und Gegner-forschungs-Spezialisten zahlte sich aus – in Auflage und Reputation. Durch sie erwarb sich das Nachrichtenmagazin den Nimbus von Allwissenheit, zumindest aber von wundersam präziser Recherche. Letzteres auch, weil dadurch Kontakte zur »Organisation Gehlen« bestanden. Hachmeister zitiert Franziska Augstein, die irgendwann einmal ihren Vater befragend als Antwort erhielt: »Es hätte keinen Sinn gehabt, den Spiegel mit lauter Emigranten zu machen, die keine Ahnung davon gehabt hatten, was sich in den Vorjahren in Deutschland abgespielt hat. Du brauchtest natürlich alte Nazis, und zwar eben solche, die Funktionen ausgefüllt hatten, so dass sie die Apparate, um die es ging, so gut kannten, dass sie in der Lage waren, darüber zu schreiben.«

War es wirklich dieser abstoßende Pragmatismus? Augstein warb offensiv um die ehemaligen Nazis; mit ein oder zwei Vertretern gab er sich nicht zufrieden. Hachmeister verfolgt eine zweite Spur und kümmert sich um das politische Weltbild des Herausgebers. Nachdem sich Augstein in Hannover eine Zeitlang für den marxistisch-nationalistischen SPD-Führer Kurt Schumacher begeistern konnte, wendet er sich politisch ganz der FDP zu, die damals national-liberale Züge trug und diese erst in den 70er Jahren abstreifte, in dem Leute wie Erich Mende mit der gewendeten Partei brachen. In den fünfziger Jahren ist der Spiegel mehr als jede andere Zeitschrift der publizistische Arm der FDP, besonders des nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Beharrlich verfolgt Augstein die Ablösung des Adenauer-Regimes durch eine sozialliberale Koalition. Gleich zu Beginn stellt Hachmeister hier eine verblüffende Parallele zwischen Heideggers und Augsteins politischem Denken der Nachkriegszeit fest. Für beide, Heidegger wie Augstein, waren seit der Weimarer Republik die »Schwarzen«, Zentrumsleute, Funktionäre der katholischen Kirche, später dann Adenauers Christdemokraten die politischen Hauptgegner in Deutschland. Heidegger war vom katholischen Glauben abgefallen und zur »Fundamentalontologie« übergegangen, auf der Suche nach dem »Sinn des Seins«. Augstein, selbst aus der katholischen Diaspora kommend, focht so lange gegen Adenauers klerikalkonservative Kanzlerdemokratie, bis er 1962 dessen Regierung destabilisiert und als Märtyrer der Pressefreiheit einige Monate im Gefängnis verbracht hatte. Als das Gespräch mit Heidegger stattfand, wankte die Regierung Erhards; die Große Koalition zeichnete sich bereits ab.

Mit fast sichtbarem Genuss zeigt Hachmeister auch die durchaus ambivalenten Urteile über Heidegger in der deutschen (und französischen) Kollegenschaft. Sartre hatte »Sein und Zeit« in der deutschen Kriegsgefangenschaft 1940/41 in Trier gelesen. Der Einfluss zeigte sich in seinem Buch »Das Sein und das Nichts« von 1943. Hachmeister subsummiert diesen Einfluss als eine Art Missverständnis – auf beiden Seiten. Im Oktober 1945 versuchte Heidegger, Kontakt mit Sartre aufzunehmen; eine Antwort bleibt aus. 1947 verfasste er dann seinen »Brief an den Humanismus«, der vor allem auf die französische Rezeption angelegt war und in dem sich Heidegger von der Vereinnahmung als »Existentialist« befreien wollte. Ein Treffen Heideggers mit Sartre 1952 verlief dann »offenbar wenig ergiebig«.

Zwielichtig fällt auch das Urteil über Hannah Arendt aus, die in jungen Jahren Heideggers Geliebte gewesen war. In Briefen an Karl Jaspers, ihrem intellektuellen Mentor, griff sie Heidegger scharf an, nannte ihn »charakterlos«, einen »Lügner« und sogar einen »potentiellen Mörder«, der Husserl, Heideggers Lehrer, drangsaliert und auf dem Gewissen habe (er war 1938 gestorben). Im Briefwechsel mit Heidegger schlägt Arendt dagegen einen ganz anderen Ton an und lässt sich auch huldvoll (Hachmeister) Widmungen Heideggers gefallen. Arendt neigte dazu, so Hachmeister, mit zunehmendem Alter jede politische Äußerung Heideggers zu verzeihen, wobei sie allerdings bei Jaspers auf Widerstand stieß. Mitte der 1960er Jahre hatten Arendt und Jaspers jedoch einen neuen, gemeinsamen Gegner gefunden, der nicht Heidegger hieß: Es waren die »Wiesengrund«-Leute, wie sie Arendt nannte, die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno. Und Hannah Arendt hatte jedenfalls auch ihre biographischen Gründe, Adorno zu hassen, so Hachmeister kühl.

Der Leserbrief

Genau rekapituliert der Autor, wann und wie sich der »Spiegel« mit Heidegger beschäftigte - von der ersten eher beiläufigen Notiz 1947, bis zu den ersten zwei Heidegger-Originalsätze[n] 1960 bis zur langen Geschichte um Karl Jaspers (»Der Bodenlose«), die strategisch den »Spiegel« als geisteswissenschaftliches Blatt für die Szene satisfaktionsfähig machen sollte. Wie damals üblich erschien der Text ohne Autorenname; Hachmeister setzt ein wohl verfasst dazu – für ihn ist aber der Autor Georg Wolff. Jaspers wird hier ausdrücklich »neben dem ›Umworter aller Worte‹ Martin Heidegger« zum »bedeutendste[n] lebende[n] Philosoph deutscher Zunge« erklärt. 1966 kam es dann zum ersten Artikel, der sich direkt mit Heidegger und seinen Sympathien zu den Nazis befasste. Es war eine Rezension über Alexander Schwans Freiburger Dissertation 'Politische Philosophie im Denkens Heideggers'. Heidegger sah sich zu Richtigstellungen in einem Leserbrief an das Magazin provoziert (der prompt auf Seite 3 als erste Reaktion Heideggers zu den längst kursierenden Vorwürfen an ihn gefeiert wurde).

War da nicht noch was? Ach ja: Heideggers Interview. Hachmeister schweift ab, verliert sich in Details, die zwar an sich alle sehr interessant, aber dann für die Intention des Buches nicht unbedingt von Wichtigkeit sind. Auf Seite 197 ist dann schließlich der Brief vom 22. März 1966 abgedruckt, mit dem Augstein den »hochverehrten Herrn Professor« um ein Gespräch bittet, um in Rede und Gegenrede den Stoff zu erörtern. Hachmeister führt aus, dass man sich längst im Heidegger-Lager auf ein solches Gespräch vorbereitet, es als Möglichkeit zur Darstellung fast ersehnt hatte. Und das obwohl Hachmeister anfangs behauptet, Heideggers Intellektuellen- und Journalistenkritik in »Sein und Zeit« sei der von Goebbels bis ins Vokabular hin ein ähnlich; eine typische Überspanntheit eines Journalisten. Sechs Tage nach Augsteins Brief bekundete Heidegger bereits seine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft. Termin- und Ablauffragen zogen sich dann noch einige Monate hin. 

Auf Seite 203 geht es endlich los. Hachmeister vergleicht die ihm zur Verfügung gestellte Tonbandaufnahme mit den diversen schriftlichen Versionen des Gesprächs und schließlich dem Abdruck von 1976. Dabei muss er zwei Handicaps meistern. Zum einen gibt nur für rund 1 Stunde 40 Minuten Tonbandaufzeichnungen – das Gespräch soll aber mindestens drei Stunden gedauert haben. Zum anderen: Die Rechte an dem Interview trat der »Spiegel« an Heidegger bzw. dessen Erben ab. Dies ist auch der Grund, warum dieses Gespräch nicht im Online-Archiv des »Spiegel« abrufbar ist. Für einen auszugweisen Ausdruck 1997 in einer Jubiläumsausgabe musste man an Hermann Heidegger, dem Nachlassverwalter, noch 5000 DM bezahlen.

Trotz der offensichtlich fehlenden Erlaubnis aus dem gedruckten Interview ausgiebig zu zitieren, ist Hachmeisters Vergleichen oft genug fruchtbar, zumal wenn er Stellen zitiert, die später vollständig gestrichen wurden. Die Mutmaßungen von Víctor Farías und anderen…Heidegger habe im Dialog mit Wolff und Augstein Gefährliches oder Überraschendes über sein NS-Engagement verraten, das dann eventuell wieder herausredigiert worden sei, lässt sich nach der Analyse der Tonbandabschrift textkritisch nicht halten. Die Angesprochenen werden nun dahingehend mutmaßen, dass vom dreistündigen Gespräch ja Teile fehlen; die Verschwörungsmaschine wird nicht verstummen.

Hachmeisters Empörung über Heideggers zum Teil umfassende Korrekturen des Gesagten wirkt ein bisschen wohlfeil, wo doch inzwischen jeder halbwegs Kundige weiß, wie die Autorisierungen bei Print-Interviews funktionieren. Eine Praxis, die fast nur im deutschsprachigen Raum Usus ist und das »Recht auf das gesprochene Wort« als eine Art Naturgesetz ansieht (statt vielleicht das Recht des Interviewers auf ein vorheriges Nachdenken über das Gesagte gleichrangig mitzudenken). Auch die »Spiegel«-Journalisten veränderten schließlich den Duktus ihrer Fragen. Der leicht servile Ton wurde durch ein etwas kräftigeres, insistierendes Fragen ersetzt (wobei das gedruckte Interview aus der heutigen Sicht heraus immer noch fast unterwürfig daherkommt). Die zustimmenden Einwürfe gegenüber Heidegger wurden natürlich ebenfalls nicht abgedruckt.

»Intellektuelle Differenzen«

Punkt für Punkt arbeitet sich Hachmeister an Heideggers Einlassungen vor allem was die Rektoratszeit angeht, ab. Tatsächlich sind die Verteidigungen Heideggers oft genug lächerlich. Hachmeister läuft insbesondere zu großer Form auf, wenn er explizit zeigen kann, wie Heidegger sich als ein Intrigen- und Überwachungsopfer präsentiert, welches 1934 aufgrund bösartig gesonnener Gegner den Posten hätte aufgeben müssen. Zwar gab es eine veritable Gegnerschaft, die Heideggers Rektorat aushebeln wollte. Dies wird in einem separaten Kapitel ausgiebig besprochen. Dabei ist von intellektuellen Differenzen zwischen Heidegger und seinen Gegnern, vor allem Ernst Krieck und der Heidelberger Studentenführer Gustav Adolf Scheel, die Rede. Die Aussage, er sei von der Gestapo überwacht worden, relativiert Hachmeister – natürlich sei damals jeder in einer solchen Position überwacht worden. Allerdings nicht von der Gestapo, die gar nicht zuständig gewesen sei, sondern vom SD.

Die Korrektur ist sachlich richtig, verkennt aber, dass Heideggers Sturz nach nur zehn Monaten vielleicht nicht nur auf sein herrisches Wesen alleine zurückzuführen ist, wie Hachmeister suggeriert. Tatsächlich hatte Heidegger zunächst mit Krieck noch gegen den bestehenden Universitätsbetrieb zusammengearbeitet. Krieck wollte ihn durch eine NS-Nomenklatura ersetzen. Heidegger empfand Krieck als Emporkömmling; ein strammer Nazi aber untauglich zur Lehre und vor allem untauglich für seine Vision des Aufbruchs. Heidegger habe Krieck, der sieben Jahre älter war, herabgewürdigt, so Hachmeister. Dieser gründete eine eigene Zeitschrift und schoss von dieser völkisch-propagandistische[n] Plattform publizistisch gegen Heidegger und seine Philosophie.

Man griff Heidegger aber vor allem ideologisch an, bezweifelte die nationalsozialistische Gesinnung des Philosophen. Dieser konnte mit der rassisch-völkischen Attitüde seiner Widersacher nichts anfangen, was diese nun gegen ihn verwendeten. Bei der Demission Heideggers dürfte es sich letztlich um eine primitive Universitäts-Ranküne gehandelt haben; Krieck fühlte sich übergangen, bildete Allianzen – etwas, was Heidegger fremd war. Hieraus einen Widerstand gegen das NS-Regime zu konstruieren, wie Heidegger dies versuchte, ist natürlich lächerlich. Und so bröckeln Heideggers morsche Verteidigungslinien, die Hachmeister leicht dekonstruieren kann.

Beispiel: Das Zerwürfnis mit Husserl, Heideggers Lehrer; ein Jude. Hartnäckig hielt sich die Behauptung, Heidegger habe Husserl das Betreten der Universität verboten. Heidegger hat dem immer widersprochen, so auch im »Spiegel«-Interview. Das Abkühlen des Verhältnisses zu Husserl erklärt Heidegger dann dahingehend, dass dieser sich im »Sportpalast« zu Berlin vor Studenten negativ über ihn geäußert habe. »Aha. Also das ist mir völlig neu« konstatiert dann auch Augstein (Tonbandaufnahme). Und Hachmeister ergänzt trocken: es stimmte ja auch nicht.

Noch ein Entlastungsversuch Heideggers: Er habe die Bücherverbrennung verboten. Hachmeister glaubt das nicht und zitiert allerdings nur im (verblüffend kurzen) Anmerkungsapparat einen neueren Artikel, der dem indirekt widerspricht. Kein Wort braucht man eigentlich darüber zu verlieren, wenn sich Heidegger in einer Bemerkung als Inspirator der »Weißen Rose« stilisiert; eine veritable Unverschämtheit und Obszönität.

Was Heideggers angeblich unverändertes Verhältnis zu jüdischen Studenten angeht, hat Hachmeister ebenfalls große Zweifel. Im Interview führt der Philosoph die jüdische Studentin Helene Weiss an, die Heidegger 1948 aus Schottland eine Buchwidmung zueignete. Dass Weiss diese Widmung nicht mehr hätte aussprechen können, wenn sie damals in Deutschland geblieben wäre – dieser Gedanke scheint weder bei Heidegger noch bei Augstein/Wolff aufgekommen zu sein. 

Klein-klein und Inszenierung

Gelegentlich wirken aber Hachmeisters Folgerungen kühn. Etwa, wenn Heidegger behauptet, er habe ein antisemitisches »Judenplakat« trotz Aufforderung durch einen Studentenführer nicht wieder aufhängen lassen, nachdem es sein Vorgänger, der Sozialdemokrat Möllendorff, habe entfernen lassen. Da es hierzu offenbar weder Beleg noch Widerspruch gibt, kommt Hachmeister zu dem Schluss: Es erscheint…nicht besonders glaubwürdig, dass der Studentenführer, nachdem man den »Demokraten« Möllendorff losgeworden war, nun sofort wegen des »Judenplakats« wieder einen Grundsatzkonflikt mit dem Hoffnungsträger Heidegger gesucht haben soll.

Das Klein-klein Heideggers, diese zum Teil abenteuerlich konstruierten Widerstandsgeschichten (so führt Heidegger Schanzenarbeiten als eine Art Kriegsdienstverpflichtung an, die er 1944 habe machen müssen nachdem er als »Ganz-Entbehrlicher« eingestuft worden sei), bieten naturgemäß eine große Angriffsfläche. Hachmeister läuft hier zu großer Form auf, was allerdings gelegentlich dazu führt, dass er seinerseits noch kleinteiliger und zuweilen arg spekulativ erwidert. Er zeigt deutlich, dass Augstein und sogar Wolff schlechter vorbereitet waren als Heidegger. Während des Autorisierungsprozesses hätten sie Heideggers Legenden überprüfen können, aber daran war offensichtlich beiden nicht gelegen: die Trophäe war im Kasten (wenn auch leider nicht im Blatt). Es war ein kluger Schachzug Heideggers der Veröffentlichung erst posthum zu gestatten. Damit versicherte er sich indirekt der Gewogenheit des »Spiegel« bis zum Ende seiner Tage. Er selber war allerdings auch gebunden. Heidegger hielt sich auch daran; der Versuch der französischen Zeitung »L'Express« 1969 ein informelles Gespräch als Interview auszugeben, wurde unterbunden. Ein zwanzigminütiges Interview im ZDF von 1969 tangierte nur die Philosophie Heideggers; die Nazi-Verstrickungen wurden ausgespart.
(Das Gespräch ist auf Youtube in zwei Teilen zu sehen: Teil 1; Teil 2.)

Ein gewisses Maß an Bewunderung zollt Hachmeister dem Philosophen hinsichtlich seiner Inszenierungskünste. Die Bilder von Digne Meller Marcovicz, von denen etliche in der Mitte des Buches abgedruckt sind, situiert er als unfreiwillige Akte im Dienst der Heideggerschen Selbstinszenierung. Eingangs erzählt Hachmeister, wie die junge Meller Marcovicz (Jahrgang 1934) mit Augstein und Wolff zu Heidegger fuhr. Sie, deren Halbschwester Cato Bontjes van Beek von den Nazis wegen Verbindung zur Roten Kapelle 1943 ermordet wurde (ihr Vater wurde nach einer dreimonatigen Haft wieder freigelassen), musste sich von Wolff erklären lassen, dass die SS doch eine »ordentliche militärische Organisation« gewesen sei. Knapp zwei Jahre nach dem Interview besucht Meller Marcovicz Heidegger noch einmal. Der Philosoph posierte…umgeben von Holzbalken, Schindeln und Büchern, als Denker, Wortartist und Besorger des schlichten Hüttenlebens. Ein Bild zeigt ihn im Gegenlicht in der Hütte mit Zipfelmütze wie einen Oberschlumpf. Für das Interview nahm man dann ein anderes Bild, in dem Heidegger fast als Betender posiert (Untertitel: »Heidegger in seiner Hütte – ›Fragen ist Frömmigkeit‹«).

Heideggers Gottesbegriff

Weniger versiert zeigt sich Hachmeister, wenn es um die Interpretation der philosophischen Aspekte des »Testaments« geht. So nimmt er Heideggers Satz »Nur ein Gott kann uns retten« (den der »Spiegel« als Titelschlagzeile wählte), um zu fragen, welcher Gott denn gemeint sei. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich nicht um den christlichen Gott -  in welcher theologisch-dogmatischen Auslegung auch immer – handeln könne. Aber alle anderen Projektionen von »Gott« und den »Göttern« im Kontext der griechischen Mythologie sind möglich.

Hier irrt er. In einem Aufsatz von 1943 über Nietzsches Verdikt »Gott ist tot« definiert Heidegger den Gottesbegriff wie folgt: »Gott ist der Name für den Bereich der Ideen und der Ideale«. »Gott ist tot« bedeutet also: »Die übersinnliche Welt ist ohne wirkende Kraft« - so Heidegger, der sich Nietzsches Thesen zu eigen macht und die »Abwesenheit einer übersinnlichen, verbindlichen Welt« konstatiert. Nietzsches Satz ist für Heidegger die Summe von »zwei Jahrtausenden abendländischer Geschichte«. Der Tod Gottes bedeutet das Schwinden aller irgendwie verpflichtenden Werte. Stattdessen bestimmt die Wissenschaft (und mit ihr die Technik) die Welt. »Die Philosophie ist am Ende« konstatiert er demzufolge schlüssig im »Spiegel«-Interview. Schon 1943 hieß es ähnlich: »Die Metaphysik, d. h. für Nietzsche die abendländische Philosophie als Platonismus verstanden, ist zu Ende.«  Heidegger geht mit seiner Bemerkung über den rettenden Gott deutlich über seinen Vortrag von 1943 hinaus, der die Philosophie Nietzsches bis zum »Übermenschen« rekapitulierte und schließlich in seine Seins-Philosophie überführte. Natürlich ist weder ein zweiter Jesus Christus noch eine religiös-mythologische Figur gemeint, sondern vielleicht eher so etwas wie ein Aggregatzustand, eine Verfasstheit eines Gemeinwesens, welche – um weiter zu mutmaßen – die von Wissenschaft und Technik zugeschüttete Welt des Seienden zu ent-birgt.

Wie man es dreht und wendet: Auch für Hachmeister hat die Frage nach der Verstricktheit Heideggers in den Nationalsozialismus Priorität. Hierfür verwendet er leider oft genug die gängigen Topoi. So kann man sich natürlich über Heideggers Jargon lustig machen (wie Adorno dies schon praktizierte) und dabei vergessen, dass Heidegger selber seine damaligen Versuche, auch die Sprache neu zu formulieren und nicht mehr den Duktus der »Seinsvergessenheit« zu übernehmen, als gescheitert betrachtete. Man kann über Heideggers »Fetisch« Hölderlin lästern. Ich frage mich allerdings ob dies im Rahmen einer solchen Untersuchung angebracht und fruchtbar ist. Der gruseligste Gedanke liegt doch darin, dass Heidegger glaubte, dass ausgerechnet die Nazis die Grundlage für eine neue Verfasstheit der Welt hätten bieten können; ein Gedanke, der erschütternder ist als alle Recherchen über unterlassene Widmungen, gesprochene Klammersätze und gesetzte Fußnoten in »Sein und Zeit«.

Eine maßgebliche Quelle für Hachmeister ist Guido Schneebergers Textsammlung zu Heidegger von 1962, eine Art »Schwarzbuch«, in dem penibel alle Verfehlungen des Philosophen aufgelistet werden. Am Ende konstatiert Hachmeister: Für Heideggers Akte der Resistenz oder des »geistigen Widerstands« gibt es kaum Belege. Das Wörtchen »kaum« lässt dann doch wieder eine Hintertür; ich hätte gerne gewusst, wie dies gemeint ist.

Getrübter Blick

Zwar maßt sich Hachmeister nicht wie Emmanuel Faye 2005 an, mit der Person Heideggers auch gleich das ganze Werk als durch und durch nationalsozialistisch kontaminiert zu betrachten, aber die Antipathie strahlt bis weit in die Erörterungen zu Heideggers Philosophie hinein. So vermag er beispielsweise mit Heideggers Technikkritik nichts anzufangen. Einmal bezeichnet er diese – recht kühn – als Anthropozentrismus. Ein andermal redet er vom esoterische[n] Spätwerk, wobei vielleicht Heideggers leicht verschwörungstheoretisches Raunen von einer »planetarischen Bewegung der neuzeitlichen Technik« eine gewisse Rolle spielt.

Dass Heideggers Widerwillen an einer Unterwerfung des Menschen durch die (von ihm selbst geschaffene) Technik aktueller denn je ist, müsste eigentlich ein Allgemeinplatz sein. Die Medien sind voll davon; das Feuilleton der FAZ schreibt seit Jahren fast über nichts anderes mehr. So wird der Algorithmus in einer Mischung aus Panik und Faszination als eine Art neuer Feind des 21. Jahrhunderts ausgemacht – ob nun in sozialen Netzwerken, im Online-Buchhandel oder im Hochfrequenzhandel an der Börse. Überall werden die Gefahren der Verselbständigung der Technik und die damit einhergehende Unkontrollierbarkeit durch den Menschen an- und beklagt. Bei Byung-Chul Han, der explizit Rekurs auf Heidegger nimmt, wird eine zeitgemäße und weitgehend entmystifizierende Kritik an den neuen Digitaltechniken geübt. Aber Hachmeister empfinde bei Philosophen wie Han, aber auch Friedrich Kittler,  Peter Sloterdijk und sogar Jochen Hörisch – alles Denker, die im weitesten Sinn Rekurs und/oder Referenz auf Heidegger nehmen - ein Unbehagen eben wegen dieser Nähe zu Heidegger, diesem, wie Hachmeister sich ausdrückt, Darling der spezifisch deutschen Medien- und Kulturwissenschaft. Das wäre dann sozusagen die dritte Generation von Heidegger-»Schülern« (die unmittelbaren Schüler wie Jaspers oder Gadamer klammert er aus). Mit etwas Mühe hätte man vielleicht auch noch die amerikanische Kultursoziologie bis Richard Sennett als zusätzlich »infizierte« Heideggerianer finden können.

In Frankreich sei, so Hachmeister, der rätselhafte Einfluss des Schwarzwald-Philosophen auf Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre, Michel Foucault, Jacques Derrida oder Jean Baudrillard mitunter als »zweite deutsche Besatzung« empfunden worden. Auch hier trübt sich leicht der Blick: die Gegner Foucaults und Derridas bemühten diese Attitüde, um deren Philosophie zu diskreditieren. Schließlich denunziert Hachmeister einerseits Heideggers »Frage nach der Technik«, in dem er suggestiv einen Rekurs auf Ernst Nolte herstellt und formuliert andererseits durchaus die Notwendigkeit einer Propaganda-, Medien- und Journalismuskritik welche angesichts von Facebook und post-privacy, Suchmaschinen und NSA vielleicht brisanter denn je sei.

Den Führer führen?

Die Antipathie verbaut vielleicht auch die Antwort auf die Frage nach dem Grund für Heideggers schreckliche Verirrung. Hachmeister schreibt hier: Heidegger entschloss sich…als sich im April die konkrete Gelegenheit zur Rektoratsübernahme in Freiburg ergab, seine große Fusionsidee aus völkischem Sozialismus und radikaler Universitätsreform im Wortsinne »preiszugeben«, mithin auf dem unübersichtlichen Markt der nationalsozialistischen Geistespolitik feilzubieten. Damit suggeriert Hachmeister, Heidegger habe sich devot dem Nazismus angedient. Das kann man zweifellos so sehen. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, die weitaus unheimlich sein könnte. So erinnerte Willy Hochkeppel 1983 an eine Überlieferung von Karl Jaspers, der meinte, Heidegger habe den Führer führen wollen. Hochkeppel führte seinerzeit aus, dass man neben all dem »anpasserisch[en] oder gar völkisch begeistert[en]« Tonfall nebst entsprechenden NS-Vokabular die Rektoratsrede an bestimmten Stellen eben auch als eine Art Autonomierklärung der Universität vom Staat (vulgo dem Nationalsozialismus) lesen könnte. Es beginne beim Titel (»Die Selbstbehauptung der deutschen Universität«) und setzte sich dann in Formulierungen über das »Wesen der deutschen Universität« fort, welches »umgrenzt wird als die hohe Schule, die aus Wissenschaft und durch Wissenschaft die Führer und Hüter des Schicksals des deutschen Volkes in die Erziehung und Zucht nimmt.« Hiermit erhebt Heidegger die Universität zur obersten Macht im Staate.

Ohne das womöglich als Entlastung konzipierte, von Petzet überlieferte Heidegger-Zitat zu übernehmen, in dem er die Übernahme des Rektorats als die »größte Dummheit seines Lebens« bezeichnete, hätte man an Hochkeppels Analyse zweierlei illustrieren können: Zum einen Heideggers alberne Hybris (hier schreibt Hachmeister deutliche Worte: Hitler wusste…wohl gar nicht, dass ein Philosophieprofessor mit Namen Heidegger überhaupt existierte) und zum anderen seinen vollkommen beschränkten politischen Horizont. Mit der Fehleinschätzung der Nationalsozialisten stand er allerdings nicht alleine. Auch ein gewisser Ernst Jünger, der publizistisch kräftig an den Pfeilern der Weimarer Republik gesägt hatte,  resignierte dann früh (allerdings pflichterfüllend) angesichts des Nazi-Mobs, der sich so gar nicht zur subtilen Jagd bewegen ließ und den Meister nach der Inkarnation des »Arbeiters« befragen wollte. (Heidegger übernahm diesen Topos dann und bezog ihn unter anderem auch auf den »deutschen Studenten«.) Erstaunlich am Rande, wie der Fundamentaljakobiner in Sachen Heidegger, Emmanuel Faye, tatsächlich an einen Einfluss Heideggers auf Hitler zu glauben scheint, was bei Hachmeister ja entsprechend kommentiert wird. 

Heidegger wird wieder einmal durchgeschüttelt

Man mache sich nichts vor: Derzeit wird Heidegger wieder gewaltig durchgeschüttelt. Anlass sind die Publikation der ersten sogenannten »Schwarzen Hefte« (rund 1.200 Seiten), in denen nun nazistische und, vor allem, antisemitische Äußerungen Heideggers gesucht werden. »Das kommt einem so vor, wie das pubertäre Suchen nach Stellen in Romanen von Henry Miller« kommentierte neulich Ruthard Stäblein dazu. Das passt natürlich zum reduktionistischen Pathos einer hypermoralisierten Erregungsgesellschaft. Vor allem im Frankreich streben starke Kräfte die Liquidation von Heideggers Büchern aus dem philosophischen Kanon an, in dem man seine unsäglichen politischen Verirrungen auch in seinem Werk glaubt entdecken zu können. Das ist in etwa so, als wollte man behaupten, Stalins Gulags seien in den Marxschen Schriften prädisponiert. Über diese Formen der Argumentation hat Goedart Palm in seiner Besprechung zum Faye-Buch in diesem Magazin eigentlich alles Notwendige festgestellt.

Hachmeisters Buch überzeugt immer dann weniger, wenn er die nazistische Gesinnung Heideggers dafür verwendet, die Philosophie, die sich im weitesten Sinn auf Heidegger gründet, auch noch mit »erledigen« zu wollen. Ähnlich bemüht wirkt auch der Versuch, den umtriebigen und leicht zänkischen Stiefsohn Heideggers, der 93jährige Hermann Heidegger, der vor sechs Jahren seine lächerlichen Landsernotizen noch als Buch glaubte herausbringen zu müssen, zu einem Protagonisten der neuen deutschen Rechten aufzubrezeln. Zwar erläutert Hachmeister, wie Hermann in seiner Funktion als Nachlassverwalter Autoren wie Rüdiger Safranski oder Hugo Ott mit Einwänden drangsaliert hat, damit nur  keine despektierlichen oder als unrichtig empfundenen Äußerungen über den Vater verwendet wurden (über 150 Korrekturen…manche sachlich und faktisch berechtigt, viele allerdings aus Motiven emotionaler und familiärer Berührtheit habe er bei Hugo Ott vorgebracht). Er sagt aber nicht, inwiefern dies die entsprechenden Werke tatsächlich beeinflusst hat. Wenn schon ein derartiger Umweg beschritten wird, sollte man auch nicht zwischendurch aufhören weiterzugehen.

Am stärksten ist Lutz Hachmeisters Buch zum einen in der ausgiebigen, aber sicherlich keineswegs vollständigen Aufarbeitung der Vergangenheit des »Spiegel«. Er zeigt, dass das bundesrepublikanische Kontinuum, in wichtigen gesellschaftlichen und politischen Positionen auf Altnazis zurückzugreifen auch beim später so idealisierten Nachrichtenmagazin nicht nur praktiziert, sondern aktiv betrieben wurde. Auch die unmittelbaren Untersuchungen über das Interview selber sind sehr interessant. Gezeigt wird sowohl das Desinteresse der Redakteure am Werk Heideggers (das scheint sich ja ebenfalls als Kontinuum zu zeigen) als auch die gekonnt spitzbübisch[en] Inszenierungen Heideggers selber, denen der »Spiegel« erliegt – eben weil kein umfassendes Interesse besteht. Augstein kam es nur auf den »Scoop« an. Dass ein SS-Hauptsturmführer ein »einfaches Parteimitglied« nach seiner NS-Vergangenheit befragte mutet durchaus etwas skurril an. Hachmeister zeigt auch, dass das Interview substantiell eher enttäuschend war. Heidegger dachte gar nicht daran, um Vergebung zu ersuchen und flüchtete sich in zum Teil listig erfundenen Ausreden. Das spätere Attribut »legendär« für das Interview ist rein unter medialen Gesichtspunkten zu sehen. Und wenn es dann ein »Testament« sein soll, hinterlässt es mehr Fragen als Antworten.

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus Lutz Hachmeisters Buch »Heideggers Testament«. 
 

Lutz Hachmeister
Heideggers Testament
Propyläen
Hardcover
gebunden mit Schutzumschlag
368 Seiten
22,99€
ISBN-13 9783549074473

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
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