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Was vom gekränkten Nationalontologen bleibt
Eine Nachlese zur Feuilleton-Debatte um
von Timotheus Schneidegger |
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In der Aufregung um Sibylle Lewitscharoffs
öffentliche Ablehnung von Kindern, deren Dasein seinen Ursprung nicht in
Schweiß, Schleim und Sperma der Eltern hat,
schrieb Gregor Keuschning einen Text, der ausnahmsweise nicht von der
besonderen Klugheit seines Autors kündete. Denn solcher bedarf es wenig, um die
Boulevardisierung zu bemerken, im Zuge derer sich das Feuilleton als letzten Ort
für auch abseitige Debatten selbst erledigt:
In der seit dem Jahreswechsel laufenden Debatte um
die Veröffentlichung von Martin Heideggers Notizen der Jahre 1931 bis 41
(»Schwarze Hefte«) »fällt auf, dass die deutschen Kritiker bisher fast nur die
wenigen, eindeutig antisemitischen Äußerungen heraus geklaubt haben«, bemerkt
Ruthard Stäblein im Deutschlandfunk. Heideggers Schwarze Hefte seien also
»ein philosophischer Wahnsinn und in einigen Abschnitten ein
Gedankenverbrechen«, schreibt
Thomas Assheuer in der ZEIT mit einer Emphase, die erahnen lässt, wie sehr
er sich darauf gefreut haben muss, seiner Leserschaft das Streichen Heideggers
von der Leseliste als antifaschistischen Akt empfehlen zu können. Endgültig aus
sei es nun mit der apologetischen Mär, Heidegger habe sich lediglich für die
zwölf Monate seines Freiburger Rektorats mit den Nazis eingelassen und danach in
die innere Emigration zurückgezogen (oder gar der
südwestdeutschen Widerstandsbewegung um Filbinger angeschlossen). Winke in der Gesamtausgabe
Es ist ein seltsames Unterfangen, Bände aus der
Heidegger-Gesamtausgabe zu rezensieren. Normalsterbliche kommen an sie nämlich
nicht so einfach heran. Man muss die GA subskribieren und dem Klostermann-Verlag
dann
Band für Band abnehmen. Für Seminarbibliotheken selbstverständlich, ist das
für den fern von Saus und Braus wesenden Heideggerianer kaum zu stemmen. Zunächst die Draufsicht: Band 94 (im Folgenden GA94) umfasst die »Überlegungen« II bis IV aus den Jahren 1931 bis 38. Hier schlagen sich Heideggers Hoffnungen auf den nationalen Umbruch und das Rektoratsamt nieder, ehe er sich wieder seinem »eigentlichen« Vorhaben widmet: dem neuen Anfang der Philosophie und dem Weg dahin sowie den Begriffen der Machenschaft, Technik und Geschichte. Band 95 (GA95) enthält die »Überlegungen« VII bis XI aus den Jahren 1938/39, in denen Heidegger die Ent-scheidung, das historische Tier und das »Leben« thematisiert, mit Kriegsausbruch auch den Tod und die ontologische Endzeit. Band 96 (GA96) enthält die in den ersten Kriegsjahren angelegten »Überlegungen« XII bis XV zum Bolschewismus und Planetarismus. Auf Textstellen wird im Folgenden verwiesen, indem der entsprechende Band der Gesamtausgabe gefolgt von der Seitennummer darin genannt wird, die nicht mit Heideggers eigener Nummerierung der Seiten und Abschnitte übereinstimmt. Der Ton in den Schwarzen Heften
Die »Mischung aus Brutalität und Heulerei«, die
Ijoma Mangold (Die ZEIT)
in Akif Pirinçcis Schmähschrift zur Rettung Deutschlands ausmacht, prägt
auch den Ton der Schwarzen Hefte. Diese Melange war und ist typisch für weiße
Heteromänner und verwöhnte Kinder, wenn sie mal nicht als Erste drankommen oder
teilen sollen. Heideggers bis 1939 anhaltende begriffliche Kraftmeierei
(»erobern«, »jagen«, »Unerbittlichkeit«, »Kampf«, »Härte des Begriffs«) nebst
seiner Klagen über die Tyrannei des Kleinen und Mittelmäßigen sind Symptom einer
standes-, zeit- und volksgemäßen narzisstischen Kränkung, bei der Größenwahn und
Selbstzweifel Hand in Hand gehen. Heidegger ist des Uni-Betriebs überdrüssig,
der frechen Studenten, Denk-Amateure, Rezensenten und (v.a. lebens- und
existenzphilosophische) Konkurrenten, mit denen er nicht verglichen oder gar
gemein gemacht werden will (GA94 32f., 48).
Alle zu blöd also, außer vielleicht
Nietzsche – neben Hölderlin die mit Abstand am häufigsten genannte Person in den
Schwarzen Heften und das große Vorbild als Überwinder und als Vorbereiter einer
»Philosophie der Zukunft« (vgl. den Untertitel von »Jenseits von Gut und Böse«;
GA94 325, 349, 374-376; GA95 434f.; GA96 11f., 64f.). Obwohl dieser an seiner
Einsicht in die Grundverkehrtheit des abendländischen Denkens zerbrach, blieb
selbst nach diesem »alles beim Alten«. (GA94, 39, 49, 324; GA96 177, 227) Zumal
auch Nietzsche nicht über die verirrte Metaphysik hinauskam und noch zu
überwinden wäre. (GA95 217-220, 224f.,
250, 254-258, 347f., 351f., 412f.; GA96 24-26, 134, 199) Es finden sich darin aber auch knackige Einlassungen aus erster Hand, etwa Leselisten zum optimalen Einstieg in Heideggers Gesamtwerk (GA94 290) und in die Philosophiegeschichte (GA94 492f.) sowie Erklärungen zu seiner »Bildersprache«, die er (giftig!) gegen Kritik verteidigt (GA94 100), oder zu seinem seynsgeschichtlichen Programm (GA94 178f.): Das Christentum hat den antiken Anfang des Denkens zum Ergebnis umgebogen, das Sein auf Anwesenheit reduziert und damit im Zuge der Aufklärung die heutige Rationalität hervorgebracht. (GA94 49, 458; GA95 345; GA96 11, 55, 255f.) Eine solche pragmatische Verkürzung des Seins (und des Menschen als Subjekt und animal rationale, vgl. GA94 491f.; GA95 224f.) ist in etwa so, als würde der Begriff der Wahrheit auf logisch wahre Sätze reduziert. Schon das Verbalsubstantiv »Sein« sei irreführend (GA94 86, 279), weshalb er recht bald zum »Seyn« übergeht. Im Versuch, an die zugeschüttete Geistesströmung der Vorsokratiker wieder anzuknüpfen, deutscht Heidegger antike Begriffe ein und denkt von da aus weiter entlang der »Gesetzlichkeit des Wortes, entsprungen aus der Geschichte des Seyns« (GA95 20; GA96 49, 82). Die οὐσία ist nicht »Sein«, sondern Haus und Anwesen, aus der aristotelischen ἐπιστήμη wird »davor und darüber stehen«. Daraus entfaltet sich ein ganzes »denkerisches Sprachwerk« (GA94 242) einer Metaphorik von Bewegung, Ballsport, Raum- und Bauwesen: Da wird vorgelaufen (etwa auf den vom »Vor-läufer« Hölderlin erdichteten Pfaden) bis zum ersten Anfang, um Anlauf zu nehmen für den Sprung zum zweiten bzw. für den gründenden Einsprung in das Da-sein. (vgl. GA94 385f., 487; GA95 160f., 375f.) Philosophische Fachbegriffe kann man lernen, auf Heideggers wortbildliche Sprache (vgl. GA95 307-309), die ein »wesentlich gewandeltes Denken« (GA96 104) voraussetzt, muss man sich einlassen. Das entspricht ganz seiner philosophischen wie persönlichen Absicht: Heidegger sitzt in der Falle seines Denkens und gibt sie, als besonders schlauer Fuchs, einfach als seinen Bau aus, wie Hannah Arendt in ihrem Denktagebuch nach einem Besuch bei Heidegger Anfang der 1950er schreibt. Der einsame Überwinder
Der Bau, in den Fuchs Heidegger sich immer tiefer
hineinwühlt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ihn für Fremd-
und Jungfüchse zugänglich zu halten, ist sein Großprojekt, die grundverkehrte
abendländische Metaphysik auf neuen Boden – den Grund des Seyns – zu stellen.
Nur selten lässt sich das verbitterte Genie in
seinen Notizen zu Viertelalbernheiten hinreißen wie der, die beiden G in seinem
Namen stünden für Güte und Geduld. (GA94 273) Oder das hier: »Jede Frage eine
Lust – jede Antwort ein Verlust.« (GA94 36) Leider ist diese aphoristische
Leichtigkeit so unbeabsichtigt wie die Komik der heideggerschen Sprache. Denn
das ist bier-, wenn nicht gar todernst gemeint als Haltung einer Philosophie,
die auf die Ankunft von Göttern vorbereiten soll (GA94 427) und sich der
Antworten wie dem Nutzen verweigert. (GA94 429f.) Diese nämlich würden bloß das
Bekannte bestätigen, das Fragen der Philosophie jedoch müsse erschüttern. (GA94
251-254; GA96 18-22, 26-29) Machenschaft: Technik und Historie
Grundverkehrt ist für Heidegger das abendländische
Denken, das alles in Subjekt und Objekt aufteilt, wobei jenes stets etwas mit
diesem macht. Diese Zweckrationalität – genannt Machenschaft –
beruht auf dem Vorrang des Seienden, der christlich-sokratisch angelegt, von
Descartes verschärft (das Seiende als höchste Gewissheit) und in der
neuzeitlichen Metaphysik von Hegel und Nietzsche (als deren Umwerter) vollendet
wurde. (GA95, 310-313) Die Machenschaft reduziert alles auf Bedürfnisse und Interessen (GA94, 331f., GA96 125f., 130), um wiederum alles und jeden zu deren Befriedigung einzuspannen. Sie zeigt sich in der Welthektik der modernen Massengesellschaft (GA94 272-274, GA96 56), Zerstörung der Erde (GA94 295), dem Diktat der Nützlichkeit (GA94 319) und »Geschäftemachen ohne Sinn und Ziel« (GA94 316). Unter solchen Bedingungen stellt sich Heideggers Leitfrage nach dem Sinn vom Sein natürlich nicht mehr. (GA94 289) In der neuzeitlichen Überzeugung, Wissen müsse nutzen, ist die Antwort darauf, wie spät es ist, alles und die Frage nach dem Wesen der Zeit nichts. Sie ist überflüssig, wird nicht mehr gestellt, und daran zeigt sich die Besinnungs- und Fraglosigkeit nebst Seynsvergessenheit der Moderne. Am Ende »gibt es« nur noch das Nützliche, das bloß Seiende der Machenschaft als die »Jedermannswirklichkeit«. (GA94 450) An der Universität beobachtet Heidegger, wie sich die Machenschaft als Wesen der Neuzeit in den Naturwissenschaften (als Technik) und in den Geisteswissenschaften (als Historie) ausbreitet. Die Machenschaft trägt die Brutalität der Herrschaft in sich, zu der u.a. gehört, über das tatsächliche Herrschaftsverhältnis zwischen Mensch und Maschine hinwegzutäuschen. (GA95 360-362, 394-397) Historie und Kulturpolitik (GA95, 322-325; GA96 41f., 118) eignen sich Mensch, Geschichte und Natur ebenso machenschaftlich an, täuschen mit ihren Erfolgen über die tatsächliche Ahnungslosigkeit hinweg und sind ängstliches bis bequemes Ausweichen vor der Fragwürdigkeit des Seyns. (GA94 443-445, 452f., 459, 461f.; GA95 3f., 77-81, 246f., 394; GA96 222) Die Machenschaft kennt keine Erinnerung. Darum ist Geschichte für sie nicht wie in Heideggers Vorlesungen geschichtliche Besinnung (GA95 206-208, 335f.; GA96 211; Geschichte wieder wörtlich, also räumlich gemeint: Ge-schichte, Schichten, Grund), sondern besinnungslose Historie: die fraglose Chronologie machenschaftlicher Erlebnisse (GA94 315), ohne Bewusstsein für Zeithorizonte angehäuftes Bisheriges (GA94 358-360, 296f., 432f.; GA95 105; GA96 179). Das zeigt sich etwa an der Journalistik (GA95 161, 413-415) und ihrem Abfeiern von Jubiläen, für das unerheblich ist, ob es ums Torpedoboot oder Hölderlin geht (GA94 320). Die Reklame »Hellas erleben« der Kraft-durch-Freude (GA95 366f.) ist Heidegger nicht bloß peinlich, sondern Zeichen der Zeit: Die Kunsthistorie reduziert Kunst zu Technik und Erlebnis. Auf diese Weise ebnet sie den Zugang zur Fragwürdigkeit des Seyns ein, der in der Kunst liegen könnte (GA95 208f., 209-212, GA96 5-7, 194, 216-218, 231, 264). »Lohengrin« und Panzerwagen sind in der Machenschaft dasselbe (GA95 133, 134-137). Fuchs Heidegger erinnert uns Wagnerianer damit an die Bedingung, unter der Lohengrin bereit ist, Elsa zu dienen: Sie darf nicht nach seiner Art und Herkunft fragen. Man kehre nur mal an den Ort der Kindheit zurück, nehme den Schulweg von damals und sage dann, das, was einem dabei durch Kopf und Gedärme geht, sei mit GPS-Daten, Jahreszahlen und dem psychologischen Konzept »Nostalgie« angemessen beschreibbar. Die meisten Menschen geben den »Fakten« Vorrang, obwohl sie auch als Nichtlateiner wissen müssten, dass es sich um »Gemachtes« (und damit um etwas Technisches) handelt (vgl. GA96 62-64), und das ist mindestens so bedenkenswert wie die Frage, was Geschichte »eigentlich« mit uns macht – im Gegensatz zur gemachten Historie (vgl. GA96 233). Aber es wird nicht gefragt, sondern gerechnet und gehandelt: Heidegger sieht Geschichte wie Philosophie zu Historie, Kulturpolitik und Propaganda verzweckt und verkitscht (GA95 157-159, 214f.; GA96 32-34, 272f.). Durch ihren Massenbetrug und ihre Verdumpfung der Gegenwart (GA95 97-100, 112-116, 182f., 376, 387, 410, 428f.; GA96 176, 250) werde die Historie über kurz oder lang die Geschichte vernichten (GA95 64f., 419-422, 427, 436f.; GA96 205f.), ehe die Machenschaft selbst von der Alltäglichkeit gänzlich Besitz ergreift. (GA95 97) Historie ist wie die Technik im rechnenden Vor- und Her-stellen des Seienden, von Gegen-ständen für das Subjekt. (GA95, 100-104, 189f., 210-212, 235f.) »Technik ist die Historie des Seienden« (GA95 116), indem sie alle und jedes als gemacht und machbar darstellt (GA96 188). Um alles immer rationaler zu rationalisieren, nimmt sich die machenschaftliche Rationalität, die vom Bewusstsein und Subjekt ausging und dabei stehenblieb, auch den Menschen vor. (vgl. GA96 27) Sie reduziert ihn zum Tier (GA95 320-322; GA96 67) und sein Inneres auf Pläne und Gefühle. Die Psychologie erkläre nur den seienden Menschen ohne etwas vom Menschsein zu ahnen. (GA95 106-109) Demgegenüber versuchte Heidegger bereits in »Sein und Zeit«, mit dem Begriff der »Gestimmtheit« von der Seinsfrage her den Menschen als Da-sein zu bestimmen (GA95 154-156), das ereignishaft »aus der Stimme der Stille des Seyns« (GA96 86f.) bewegt wird. Ab 1939 bringt Heidegger mit dem »historischen Tier« Nietzsches letzten Menschen auf den neuesten Stand der Technik. (vgl. GA95 285) Die Seynsabgewandtheit und das Wesen des historischen Tiers, das ein machenschaftliches Raub-Tier ist, bedingen einander. (GA95 287, 397, 422f.) Der Mensch in seinem machenschaftlichen Selbstbild ahnt nicht einmal mehr von seiner Besinnungslosigkeit (GA96, 4, 41, 251), ist aber höchst erfolgreich darin, sie mittels Rundfunk und Motorkraft über die ganze Welt zu verbreiten. Antimodernistischer Anschluss
Eigentliche Existenz und das Fragen der Seynsfrage
hieße demgegenüber, sich nicht mehr ums bloß Vorhandene und Unwesentliche zu
kümmern. (GA94 56; GA95 373) Heideggers Gekränktheit, Überforderung und
hasserfüllte Weltabgewandtheit werden so zur philosophischen Haltung. (GA96 107)
Besinnung ist gegenstandsloses Fragen nach dem
Seyn jenseits des bloß machenschaftlichen Vordergründigen. (GA95 68f., 206, 258;
GA96 85) Das Sein (bzw. »Seyn«) kann nämlich kein Gegenstand von Forschung,
Denken und Vorstellen sein (GA94 362, 502f.) und ist auch nicht von der
bisherigen Sprache zu fassen (GA95 93f., 288f.). Der Denkweg nimmt sich dabei wie eine Hochgebirgsexpedition aus (vgl. »Ab-grund« und Chaos: GA95 294f., 426). Heidegger will fern des Nützlichen und Bekannten über das bloße »Leben« (das er verächtlich in Anführungszeichen schreibt) hinausdenken, um dessen Grund im Seyn zu finden. Denn die Wahrheit des Seyns kann nicht dem Seienden entnommen werden, weshalb der andere Anfang nötig ist. (GA95 422) Dieser neue Anfang kann nicht hergestellt werden, er muss erschwiegen und erharrt werden – und zwar vom seltenen Selbst. (GA94 6f., 19; GA95 91, 294-297, 304-309, 327, 337f.; GA96 213) Das kann nur glücken oder nicht, denn es geht um Stimmung statt Empirie. (GA96 253) So kann Heidegger einmal nichts als diesen Satz notieren: »Wie weit das Herz mit der Stimmung des Seyns überein-stimmt.« (GA96 79) Das Befremden, das solches Geraune auslöst, nimmt Heidegger zufrieden als Ausweis machenschaftlicher Seynsvergessenheit zur Kenntnis. Er hat sich nämlich mehr vorgenommen als die Stürmer-Bestseller-Liste zu erobern: Der Mensch soll »in die Befremdung des Seins« zurückgestellt und die Wahrheit des Seyns zum Ereignis gebracht werden – das ist einfach und schwierig, unsagbar und nutzlos, weil es sonst nicht befremdlich wäre. (GA94 411, 430, 447f.; GA95 266, 276f.) Die Befremdlichkeit ist Signum des neuen Anfangs als gänzlich Anderes. (GA94 212, 448f.; GA95 213; GA96 5, 228f.) Die Seynsfrage möge darum nicht mit »dem elenden Wühlen in der erbärmlichen Menschlichkeit« behelligt werden. (GA94 77; GA95 400) Stattdessen müsse »der denkerische Blick« sich auf die Vollendung der bisherigen Metaphysik richten (GA96 45) – frei von Pessimismus und von »moralischer Tantenhaftigkeit« sowieso. (GA96 114) Heideggers Antimodernismus, seine Verachtung des Subjektiven und die Hoffnung auf einen radikalen Umbruch, die sich nicht nur Anfang der 1930er mit knöchrigstem Konservatismus vereinbaren lässt, machen ihn für den Nationalsozialismus anfällig. Die Deutschen als Seynsgründer
Die Frage, um die es in der Debatte nur
vordergründig gehen konnte, weil in ihr das Denken kaum vorkam, ist doch, ob
Heideggers Philosophie »bis in die letzten Verästelungen nationalsozialistisch«
war, wie
Micha Brumlik in der taz schreibt. Brumliks Urteilsbegründung in der taz
erfasst immerhin recht genau die philosophische Motivation Heideggers, der
hinter Aufklärung und Mythos zurückgehen will, um das Weltverhältnis des
Menschen als »mimetisches« (oder besser gesagt: superholistisches) neu zu
begründen.
Mit dem Christentum verflachte das von den
Griechen begonnene abendländische Denken, an dem er die cartesische
Selbstgewissheit des Subjekts (GA95, 172f.) und die Dialektik als rechnendes
Vorstellen (GA95, 7f.) kritisiert. Mit letzterer geht er besonders hart ins
Gericht, weil sie als Denkbewegung eben auch Konkurrenz zu seiner Besinnung und
unvereinbar mit seiner superholistischen »Zugehörigkeit« ist. (GA95 28-30, 35)
In seinem antiidealistischen Überschwang stellt er Hegel (und Marx) nicht bloß
vom Kopf auf die Füße, sondern diese auf Blut und Boden. (vgl. GA94, 127)
Auf die fixe Idee, die Deutschen seien
auserwählt zu Umkehr und »Austrag eines unentfalteten Anfangs« (GA94 172; GA96
235), mag Heidegger ausgerechnet durch den den Deutschen wenig schmeichelnden
Schluss von
Hölderlins »Hyperion« gekommen sein. (vgl.
GA94 329f.; GA95 56)
Neben den zeitgemäßen völkischen Sperenzchen hat
Heideggers Umwidmung der andersanfänglichen Philosophie zur Dichtung (GA94
41,65, 86) hat auch taktische Gründe. Heute würden wir sagen, Heidegger
brande auf diese Weise seine unique selling proposition innerhalb der
scientific community. Das Seyn ist unumgänglich und unerrechenbar (GA94
64) und deshalb den der Machenschaft anheimgefallenen Wissenschaften wesenhaft
unerreichbar. (GA94 409-411, 463) Das Rektorat 1933/34
Philosophen, die sich als Lieferanten für Wert-
und Orientierungssysteme verstanden, waren im Dritten Reich anfällig für eine
Selbstinstrumentalisierung zugunsten des Totalitarismus. Die
Wissenschaftsgeschichte nennt dafür zwei Gründe: Erstens die schon in der
Weimarer Zeit herrschenden Dünkel und den Korpsgeist der gebildeten Stände,
zweitens die erstarkende naturwissenschaftliche Konkurrenz um den Platz der
Leitwissenschaft. Im Verteilungskampf um wissenschaftliches Kapital schreckten
die wenigsten davor zurück, politisches Kapital durch Ergebenheitsadressen zu
erwerben und einzusetzen. Konkurrierende Denker als formalistisch oder
individualistisch zu kritisieren kam einer Denunziation gleich, die nach 1933
»zur Standardform der Auseinandersetzung« wurde (Gereon Wolters: »Der ‚Führer‘
und seine Denker«, DZPhil Bd. 47, 2, Apr. 1999).
Leitmotiv des Rektors Heidegger war die im
Minderwertigkeitskomplex gepflegte Überzeugung, Wachstum und Stärke seien nur
durch Gegnerschaft und Not zu haben. Es braucht also den Kampf und Feinde. (GA94
141, 377, 507; GA95 74f.; GA96 227) Was sich beim einsamen, kranken Nietzsche
noch als autosuggestive Durchhalteparole liest, wird zur allgemeinen Bedrohung,
sobald die solchen Trosts Bedürftigen die Macht ergriffen haben.
Die berüchtigte Rektoratsrede vom Mai 1933 ist als
Versuch, die Universität zur Besinnung auf den seynsgeschichtlichen Auftrag der
Deutschen zu bringen, ausdrücklicher Teil seines denkerischen Projekts. (GA94
286, 324f.) Philosophie und Universität sollen als Gerede und Paukanstalt
überwunden werden. Also begann ihr Untergang (GA94 115f, 225f., 232) zugunsten
von Metapolitik hier und geistig-politischer Führung (vgl. GA94 128) da, um
einem neuen Geschlecht und seiner Wahrheit den Boden zu bereiten. (GA94 124) Die
Notizen bieten umfangreich Einblick in Heideggers Traum von der Wissensakademie
zur »Zucht höchster Denkart« als »Beherrschtheit im Wesentlichen« (GA95 340).
Zwar sieht Heidegger seine Aufgabe nicht darin, dem NS den philosophischen Unterbau zu liefern (GA94 134f.), fühlt sich andererseits aber mit seinem Beitrag zum nationalen Kampf nicht ernst genommen als »Arbeiter der Stirn«, wie er sich seine »Führeraufgabe in der Wissenserziehung« überhaupt ganz anders vorgestellt hat. (GA94 139; vgl. GA96 177) Seitenweise schreibt sich Heidegger den Frust über die Scheinrevolution an der Universität von der Seele. (GA94 144-147, 180) Geradezu zeitlos sind seine Klagen über die Vernutzung der Universität zur technischen Fachschule (GA94 183, 193; GA95 314-316) und die Verkehrung des Wissens zum bloßen Werkzeug (GA94 222f.; GA96 172, 175, 182f. 197, 226, 239). Als wäre es nicht vor 80 Jahren geschrieben: »Das Wichtigste an der heutigen Universität ist das Presseamt – mit einem möglichst großen Stab besetzt.« (GA94 148) Besinnung kommt nicht gut an, weil sie – ausdrücklich nutz- und wirkungslos, unerfreulich und erschütternd – den Fortschritt des besinnungslos-machenschaftlichen Universitätsbetriebs hemmt und für die Jugend wenig attraktiv ist. (vgl. GA95 17-19, 163f., 409) Schließlich wirft Heidegger das Handtuch und zieht sich in die unsichtbare »Front des geheimen geistigen Deutschland« (GA94 154f.) bzw. in die »bejahende Opposition« zurück, die sich ihre guten Ideen klauen lassen muss (GA94 156) wie etwa die von der Dozentenakademie, die freilich das Gegenteil von dem wird, was Heidegger in der seynsgeschichtlichen Hochschulpolitik hatte durchsetzen wollen. (GA95 102f., v.a. 125f.) Er tröstet sich (wie auch in seiner Abschiedsrede am 28.04.1934) über das »verlorene Jahr« mit dem Scheitern als Lehre: Das Eigentliche verhüllt sich im Unwesentlichen, weshalb dieses jenes erahnbar macht an dem, was das Unwesentliche am Eigentlichen verbirgt. Der Witz an Heideggers – später in der Technikphilosophie vollends ausbrechenden – Denkbewegung besteht darin, zen-mäßig auf den Vorhang zu starren. Ähnlich wie in der Sorge (»Sein und Zeit«) sich das Da verweigert und darin zeigt (GA94, 495), wie das Seyn im neuzeitlichen Wesen (GA95 3) oder die Dichtung im Kulturbetrieb (GA96 168) als Vergessenes aufgehoben ist, so meint Heidegger, die Verstrickung ins machenschaftliche Denken noch besser ermessen zu können, nachdem er die Alltäglichkeit eines Universitätsrektors durchgestanden hat. (GA94 160-162) Trotzdem oder deswegen das beleidigte Schlusswort: »Es lebe die Mittelmäßigkeit und der Lärm!« Zurückgezogen in seinen Schmollwinkel auf dem Todtnauberg muss Heidegger in den Jahren nach seinem Rücktritt mitverfolgen, wie machenschaftliche Propaganda die Besinnung als dadaistische Hochstapelei für Freaks abtut. (GA94 247f.; GA96 36f.; 51f., 182) In der Folge hält Heidegger ein übers andere Mal sein Privatgericht über die etablierte Philosophie, die nichts versteht oder achtet (GA94 353-355, 368-372, 405f., 431, 435-437; GA95 9), und über die machenschaftlich verkommene Universität (GA94 467f., 487, 506; GA96 254). Echte Philosophie könne es nur abseits des Zeitgemäßen und Mittelmäßigen geben (GA94 246f., 280f., 302, 348, 517-519; GA95 411), wo sie sich als Besinnung nutzlos, wirkungslos und ziellos in der Irre herumtreibe. (GA95 14, 16, 147f.; GA96 76, 78, 100) Hannah Arendts schlauer Fuchs bekundet nach dem raschen Karriere-Ende, die viel zu sauren Trauben ohnehin nie gewollt zu haben: Er schütze seine Philosophie mit ihrer »Wirkungslosigkeit« davor, von den Machenschaften vernutzt (GA94 378f., 469f.) oder durch Psychologisierung verharmlost zu werden (vgl. GA94 374f., 390). Lesen Sie im zweiten Teil:
Vom Privatnationalsozialismus zur Privatopposition
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Timotheus Schneidegger
ist Herausgeber des »Lichtwolf
- Zeitschrift trotz Philosophie«.
Überlegungen VII-XI |
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