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Literatur und Zeitkritik


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Ein zeitloses, literarisches Kunstwerk

Wolfgang Herrndorfs Weblog
»Arbeit und Struktur«
posthum in Buchform

Von Lothar Struck







 

Tagebuch-Texte von Künstlern potentiellen Lesern nahezubringen und dabei womöglich literarisch einzuordnen, ist immer schwierig. Fühlt man sich doch ständig herausgefordert Werkbezüge zu entdecken bzw. fortzuschreiben, die den mit der Materie nicht einigermaßen vertrauten Leser eher langweilen. Tagebücher von Literaten liefern ja zuweilen durchaus instruktive Einblicke in die sogenannte Werkstatt. Neben Form- und Schreibproblemen und  literaturwissenschaftlichen und/oder philosophischen Überlegungen stehen auch häufig genug banalste Notizen aus dem Alltag. Und immer entsteht dabei die Frage, ob der Autor – bei aller Intimität einzelner Eintragungen – eine spätere Veröffentlichung nicht immer schon bei der Niederschrift einkalkuliert hat (also eine gewisse Form der Selbstzensur praktizierte) oder ob der naive Glauben nach dem "reinen" Text, einer  Art "Écriture automatique" vielleicht dieses Mal wahr werden wird.

Dieser Kinderglaube wird im Laufe eines Leserlebens zurechtgestutzt auf die Floskel der "Authentizität" –  ein Unterpunkt des "Realismus", eines Mitglieds der Götter-Dreieinigkeit der zeitgenössischen Literaturkritik (neben "Identität" und "Gesinnung"). Tagebücher werden fast immer wenn nicht vom Autor selber, so von Lektoren, Freunden, Angehörigen bearbeitet, glatt gestrichen, allzu Intimes womöglich entfernt oder mindestens entschärft. Das ist weder schlimm noch suspekt, sondern die Realität. Damit sind Tagebücher jedoch keine jungfräulichen Aufzeichnungen mehr, sondern werden zu Literatur.     

Noch ein bisschen anders sieht die Lage bei Blog-Tagebüchern aus, die zeitnah zu ihrer Entstehung im Netz erscheinen. Aus einer Ego-Spielwiese entstanden und von Krethi und Plethi bis zur brüllenden Trivialität ausgewalzt, hat sich nach dem "Bloggersterben" der letzten Jahre das (der) Weblog als Kulturtechnik in den entsprechenden Subkulturen etabliert. Man könnte es auf die griffige Formel bringen: Wer jetzt noch schreibt, hat (fast immer) etwas zu sagen. (Die nächste Frage wäre, wie viele diese Texte dann noch lesen möchten; Blogs sind Nischenerzeugnisse.) Dabei haben Weblogs von Schriftstellern unverändert einen besonderen Reiz.

Die Enttäuschung folgt meist auf dem Fuße. Die halb geöffnete Werkstatttüre zeigt allzu oft eine zugige Rumpelkammer mit maximal mittelmäßig begabten Protagonisten. Nicht alle sind in der Lage über Jahre eine derart polyphon-fiktionale Kunstwelt wie Alban Nikolai Herbst in seinem "Dschungel" lebendig zu erhalten. Für den produktiven Herbst ist der Blog jedoch nicht nur ästhetisches Laboratorium, sondern notgedrungen existenzielles Marketinginstrument, da er als Paria des Betriebs von wichtigen Multiplikatoren weitgehend ignoriert wird. Während die saturierten Betriebsschreiber verkniffen die wenigen Perlen in der literarischen Blogosphäre ignorierend und hastig das Ende des literarischen Blogs in den Feuilletons annoncier(t)en, implementierte im April 2010 ein anderer Schriftsteller einen Weblog:

Wolfgang Herrndorf. Er nannte ihn "Arbeit und Struktur". Herrndorf hatte einen Grund für diesen Blog – er war krank, die Diagnose lautete Gliobastrom, ein Hirntumor, der, von Herrndorf durchaus ironisch betrachtet, lange Zeit nicht "Tumor" genannt wird, sondern mit dem Euphemismus des raumfordernden Objekts umschrieben wird. Das Objekt ist absolut tödlich; die verbleibende Lebenszeit ungewiss (die Schätzungen variieren je nach Google- und Arztkonsultation zwischen wenigen Monaten und fünf Jahren).

Transmissionsriemen Weblog

Es drängte Herrndorf nun, einige literarische "Projekte" noch zu verwirklichen. Hierfür diente (unter anderem) der Blog als eine Art Transmissionsriemen oder, altmodisch ausgedrückt, als Ordnungsinstrument. "Arbeit und Struktur" half bei Planung und Organisation und wurde fast nebenbei ein Protokoll der Kranken- und Lebensgeschichte. Dabei bezog sich die Bezeichnung "Weblog" auf das Medium an sich, weniger auf die gängigen Kriterien des Blogs. So waren Leser-Kommentare von Anfang an ausgeschlossen. Herrndorf wünschte ausdrücklich nichts, was ihn von seiner Arbeit abbringen konnte. Gelegentlich weist er harsch und bestimmt darauf hin: keine Kommunikation von außen; er alleine bestimmt, mit wem er kommuniziert. Fast unnötig zu erwähnen, dass er dennoch mit Zuschriften geflutet wurde (über die Impressumanschrift). Die drolligsten Schreiben – vor allem von Ärzten mit Alternativbehandlungsmethoden – finden dann doch Erwähnung.

Im Blog lieferte Herrndorf sich selber das Maß seiner Arbeit – mit allen Rückfällen und Schwierigkeiten. Er umfasst den Zeitraum vom 08.3.2010 bis zum 20.8.2013. Am 26.8.2013 hatte sich Herrndorf erschossen wie uns, den Zurückgebliebenen, per Twitternachricht in Strebermanier brühwarm mitgeteilt wurde. Der Rowohlt-Berlin-Verlag legt nun posthum diesen Blog als Buch vor, ergänzt um einige wenige nicht in der zeitlichen Chronologie des Blogs ohne weiteres unterzubringenden Gedankensplitter (die alle aus dem Jahr 2013 stammen). Dabei sind, gemäss Herrndorfs Wunsch, alle Texte "kritisch durchgesehen und lektoriert" worden. Im kurzen, in merkwürdig bürokratischem Duktus verfassten Nachwort von Kathrin Passig und Marcus Gärtner wird auch eine Kategorisierung des Buches versucht: "Man kann es, wenn man mag, Literatur nennen." - Was soll es denn bitteschön anderes sein?

Bereits kurz nachdem Herrndorf diesen Blog publiziert und seine Krankengeschichte öffentlich gemacht hatte, schaltete der bis dahin in Sachen "Schriftsteller Herrndorf" zurückhaltende bis ablehnende Literaturbetrieb sofort um. "Tschick" und "Sand", die, wie man eindrucksvoll nachlesen kann, unter enormer Anstrengung Herrndorfs 2010 und 2011 fertiggestellt wurden (frühere Fassungen gab es schon Jahre vorher), wurden geradezu jubelnd gefeiert, obwohl zumindest der Duktus von "Tschick" ziemlich genau den Erzählungen, die Herrndorf 2007 veröffentlichte, entsprach. Die beiden neuen Bücher entwickelten sich zu Bestsellern, "Tschick" sogar Schullektüre (was anderen Autoren zumeist erst Jahrzehnte später gelingt). Der Autor wurde zwischen 2010 und 2012 mit etlichen Preisen bedacht. Herrndorf nimmt hierauf kaum Bezug, allenfalls die Tatsache der hohen Einnahmen – er hat nun Geld wie Heu auf dem Konto - ironisiert er zum Paradoxon, als über die Filmrechte von "Tschick" verhandelt wird: Und das ist vielleicht der Punkt, wo ich dann doch so eine Art von Ressentiment empfinde: 25 Jahre am Existenzminimum rumgekrebst und gehofft, einmal eine 2-Zimmer-Wohnung mit Ausblick zu haben. Jetzt könnte ich sechsstellige Summen verdienen, und es gibt nichts, was mir egaler wäre.

Der Betrieb mag den früh verstorbenen Dichter

Scheinbar vergessen die Kritteleien bei seinem Auftritt in Klagenfurt 2004, als er Diesseits des Van-Allen-Gürtels vorlas (auch der Titel des Erzählbands von 2007), von der Jury fast ausnahmslos gelobt wurde – und dann am Ende vollkommen überraschend leer ausging. Noch Jahre später schimpft Herrndorf unflätig auf Uwe Tellkamp, der damals den Bachmannpreis zugesprochen bekam. Lediglich den Publikumspreis gewann Herrndorf – damals war die "ZIA" um Passig und Lobo, der Herrndorf sozusagen angehörte, gut vernetzt, auf den Bachmannpreis fokussiert und konnte die notwendigen Stimmen auftreiben (die Stimmenzahl, die man für diesen Preis benötigt, war und ist überschaubar. Dass Herrndorfs Erzählung sträflich unter Wert behandelt wurde, wird jeder Leser schnell bemerken (besonders beim Vergleich mit den damals Zweit- und Drittplatzierten). Wie dann im Angesicht veränderter Situationen reagiert wird, zeigt sich bei Martin Ebel, diesem Hans-Jochen Vogel der Literaturkritik, der damals in Klagenfurt Herrndorf eine ziemlich öde, flache Sprache attestierte. Er saß 2012 in der Jury, als Herrndorf mit "Sand" den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie "Belletristik" zugesprochen bekam.   

Reden wir nicht herum: Noch mehr als den armen, darbenden Schriftsteller mag der Betrieb nur noch den (früh) verstorbenen Dichter. Er ist entzückt bei den Namen Georg Büchner, Emily Brontë, Albert Camus oder Rolf-Dieter Brinkmann - die Liste ließe sich beliebig erweitern. Einer der Gründe ist, das ihnen damit ein oft genug larmoyantes und schwaches Alterswerk erspart bleibt. Dass sich Herrndorf das Leben nahm (es ist ein durchgängig behandeltes Thema im Blog: das selbst-arrangierte und -bewusste Sterben), mehrt noch seinen posthumen Ruhm. (Von den durchaus auffindbaren Parallelen zu Kleist erst gar nicht zu reden.) Wenn ihn Ijoma Mangold in einem Video als "Klassiker" und "bedeutenden Vertreter der deutschen Gegenwartsliteratur" bezeichnet, dabei sich jedoch jeglicher ästhetisch-literarischer Betrachtung enthält, wird die derzeit bestimmende (Lese-)Richtung angezeigt. Auch von ihm im Blog beschimpfte wie Volker Weidermann von der FAS (Armleuchter, Thor-Kunkel-Bejubler…) greifen tief in die Phrasenschweinkiste (poetisch, herzzerreißend…), wenn es um "Arbeit und Struktur" geht. Derartiges bewegt sich schnurstracks in Richtung Amazon-Rezension.

Bereitwillig, ja lustvoll, gehen die Kritiker in die Authentizitätsfalle (siehe oben). Sie erzählen – wider besseres Wissen – dem staunenden und betroffenen Publikum: Das, was da steht, ist realistisch und ungeschönt. Bei genauer Lektüre zeigt sich, dass dies falsch ist. Herrndorf spricht von "Moleskinen", in die er Notizen schreibt. Die Blogbeiträge sind also – bearbeitet. Später müssen ihm Freunde helfen, sie abzusetzen. Aber es ist scheinbar ein großes Faszinosum, die Eintragungen Herrndorfs als unmittelbaren, nackten Realismus zu vermitteln. Eine literarische Betrachtung wird verweigert, ja, so unausgesprochen die These dahinter, sie verbietet sich geradezu. Wer die Arztbesuche Herrndorfs, die Schilderungen seiner Bewusstseinsstörungen, seine Gedankengänge – wer all dies mit dem Besteck des Literaturwissenschaftlers angehe, richte in unangemessener Weise über die Person Herrndorfs. Diese Abwehrhaltung entspringt nicht zuletzt der Tatsache, dass es sich bei Herrndorf um einen Zeitgenossen handelt. Und es hat unter anderem den Vorteil, dass man nur auf den Betroffenheitsknopf zu drücken braucht und sich ansonsten die Arbeit ersparen kann. Am Ende wird dann das schlechte Gewissen für das jahrelange Ignorieren Herrndorfs mit einer geradezu äffischen Akklamation camoufliert.

Selbstmitleidlos, drastisch, ungerecht

Aber es bedarf einer solchen geheuchelten Rücksichtnahme gar nicht; Herrndorf hätte sie auch gar nicht gewollt. "Arbeit und Struktur" ist ein zeitloses, literarisches Kunstwerk. Und zwar jenseits der Lesart einer medizinisch-historische Momentaufnahme, wie man Krebs bzw. Tumore in den 2010er Jahre behandelt hat (wobei es schon interessant wäre: wie viele und welche der Medikamente, die Herrndorf genommen hat, dann noch verwendet werden), noch als philosophischer Steinbruch von Herrndorfs krausem Weltbild. Was bleiben wird sind die vollkommen selbstmitleidlosen Reflexionen über sein Leben, die assoziativen Rückblenden darauf, das Balancieren zwischen Wahnsinn, Arbeit und Ordnung und die unprätentiösen Schilderungen einer sich verflüchtigenden Welt (die Herrndorf jedoch eigentlich immer schon als nicht existent angesehen hat), wozu er selber noch beiträgt, wenn er all seine Tagebücher und Notizhefte der letzten Jahre und Jahrzehnte mit schmunzelnder Radikalität in seiner Badewanne sammelt und dann vernichtet.

Herrndorf wirkt während seiner Arbeit an den beiden Büchern vital, dynamisch. Er spielt Fußball und registriert dabei sehr genau seine Fitness und seine Reflexe. Er ist geistreich, aber auch mit einer schier gnadenlosen Ehrlichkeit. Auch Herrndorfs Lektüreeindrücke zeitgenössischer Literatur sind oft drastisch, fast immer ungerecht. Goetz und Kracht sieht er niedergegangen. Tellkamps "Turm" wird verflucht (er findet aber zwei Stellen, die er schätzt). Walser mag er nicht, obwohl er zugibt, nie ein Buch vom ihm gelesen zu haben. Je mehr die Krankheit fortschreitet, desto mehr widmet er sich bereits gelesenen Büchern, möchte hier seine Eindrücke bestätigt haben, erinnert sich an die Momente der zuweilen jahrelang zurückliegenden Lektüre – und wird allzu oft enttäuscht, sogar von seinem geliebten Dostojewski und Nabokov (eine Wiederlesensenttäuschung, die nichts mit der Krankheit zu tun hat; anderen geht und ging es ähnlich). Pathos ist Herrndorf nicht einmal verhasst, es ist ihm vollkommen unbekannt. Nur ganz selten bricht sich eine Hybris Bahn, etwa beim Anblick des Papstbesuchs in den Medien: In hundert Jahren kennt dich kein Mensch mehr, römischer Irrer. Mich schon. In Wirklichkeit sind dies natürlich lebensnotwendige Selbstbehauptungen.

Nach "Sand" stockt die Arbeit. Erst nennt Passig Herrndorfs Entwürfe für ein nächstes potentielles Projekt "reine Scheiße", ein paar Wochen später stürzt er; Diagnose: Schultereckgelenksprengung. "Zwei Romanruinen bleiben liegen" sagt er einem Arzt fast gleichgültig; die Arbeit (ver-)schwindet, man liest das Wort seltener. Ganz am Schluss ein paar Kapitel zu einem Text mit dem Titel "Isa". Der Blog wird dominierend, gibt Halt und wird fast Ursache und Wirkung zugleich. Trotzdem überlegt Herrndorf, den immer größer werdenden Zeitaufwand für den Blog einzusparen und ihn aufzugeben, zu groß werden die Anstrengungen.

Die Bestattung einer Libelle

Gegen Ende immer häufiger: Berechnungen und Wahrscheinlichkeiten über möglichst sichere Methoden des Freitods. Ein paar Tage später, im November 2012, mit zunehmend eingeschränktem Sicht- und Orientierungsvermögen: "Mehr Sport", steht dann dort. Die Anspielung auf "Mehr Licht" ein Zufall? Herrndorfs Wissen, den Todeszeitpunkt selber (sowohl autonom vom Tumor als auch von assistierenden Sterbehelfern) wählen zu können, verschafft ihm eine große und wichtige Freiheit in Bezug auf die Krankheit, die damit ein gutes Stück Schrecken verliert. Pathetisch formuliert könnte man sagen: Herrndorf gewinnt dadurch an Stärke. Die Probleme nehmen zu: epileptische Anfälle, Taubheit links, dann das immer mehr zerbröselnde Sprachvermögen. Dazwischen immer kleinste Augenblicke von Schönheit, ja Glück: ein Schwall Lindenduft im Frühling etwa. Oder die Spatzen auf dem Balkon (er kauft Vogelfutter). Die Bestattung einer Libelle.

Fast bis zum Schluss diszipliniert er sich mit den medikamentösen Behandlungen durch seine Ärzte. Anfangs googelt er noch Therapien und ihre Erfolge, die sich in Studien zeigen oder eben nicht – und muss feststellen, dass die Ärzte auch nicht schlauer oder dümmer sind als er.  Kaum ein verzagtes Wort über das Gesundheitssystem, obwohl ihm die "Avastin"-Therapie nicht bewilligt wird (erst zwei Wochen nach seinem Tod – wie man in einer Bemerkung am Ende erfährt). Er zahlt die 7000 Euro selber; ob's genutzt hat? Die Ärzte nummeriert Herrndorf – alle kommen leidlich gut weg. Wer das bei diesen Krankheiten fast obligatorische Bashing über Krankenkassen, Ärzte, Schwestern oder Pfleger oder alle zusammen erwartet, wird enttäuscht.

Herrndorf wird niemals wehleidig; Weltschmerz ist ihm fremd. Er hadert nicht, sondern versucht so lange wie möglich mit seinen Freunden zu kommunizieren. Leben bedeutet für ihn Kommunikation. Als diese nicht mehr in für beide Seiten erträglichem Stil möglich ist bzw. die Gefahr drohte, nicht mehr selbständig seinen Freitod organisieren zu können, griff er ein.

Das Buch "Arbeit und Struktur" wirkt jetzt schon anders als damals die Blogtexte, die man vielleicht mehr oder weniger regelmäßig gelesen hatte. Jetzt ist Herrndorfs Ende bekannt – bei der Lektüre der einzelnen Kapitel war dies nicht der Fall. (Einige windige Zeitgenossen spekulierten sogar, es handle sich um einen Marketingtrick.) Die fortschreitende Zeit wird immer wieder die Rezeption verändern. Die Lebenskraft Wolfgang Herrndorfs, die in diesen Notaten literarisch erfasst und vor dem Leser erzeugt wird und ihn zum Teil mitreißt, wird noch hell leuchten, wenn die halbgaren Lobreden des Feuilletons längst vergessen sind. So paradox es klingen mag - man wird Wolfgang Herrndorfs Tagebücher vielleicht irgendwann als einen neuen Werther lesen, einen Werther des 21. Jahrhunderts, der am Ende nicht aus purer Verzweiflung Hand an sich legt, sondern mit Würde sein Leben bis zum Schluss in seinen Händen behalten will.    

 

Wolfgang Herrndorf
Arbeit und Struktur
Rowohlt Berlin, 448 Seiten
19,95 €
978-3-87134-781-8

Leseprobe

 


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