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Das
größte Operndrama von allen
Den chinesischen Autor Mo Yan hatte kaum einer
auf
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Es ist ein
untergehendes Imperium, in dem Mo Yans epischer Roman »Die Sandelholzstrafe«
angesiedelt ist. Das 20. Jahrhundert steht vor der Tür und die Qing-Dynastie,
seit dem 17. Jahrhundert Herrscher über China, ist innenpolitisch zum Spielball
der westlichen und japanischen Kolonialmächte geworden. Erstarrt in überholten
Ritualen erweist sich die Dynastie als unfähig, sich selbst zu reformieren. Die
Kolonialmächte haben Kaiserinwitwe Cixi umfangreiche Rechte abgerungen. In der
Provinz Shandong bauen deutsche Ingenieure und chinesische Kulis eine
Eisenbahnstrecke, deren Verlauf nahe der Provinzstadt Gaomi, Heimat von Mo Yan
und Handlungsort der meisten seiner Romane, durch die Ruhestätten der Ahnen
führen soll. Vor dieser historischen Kulisse setzt die Handlung ein. Der Begriff
Kulisse ist nicht nur im übertragenen Sinn anzuwenden. Yans Roman orientiert
sich im Aufbau an der Katzenoper, einer traditionellen, volkstümlichen
Opernform. Im Nachwort stellt der Autor den prägenden Einfluss der Katzenoper
auf sein Schreiben heraus. Bereits in jungen Jahren verfasste er eine Oper in
neun Akten, die den Titel des Romans trägt und aus der einzelne Passagen den
Kapiteln vorangestellt sind. Gleich zu Beginn offenbart Meiniang dem Leser, dass sie am Ende des Romans ihren Schwiegervater Zhao Jia töten wird. Der Alte ist ein Meister seiner Profession, als Henker am Kaiserhof hatte er die Kunst der Hinrichtung perfektioniert. Einen letzten Auftrag bekommt er, nachdem Sun Bing die Schändung und Ermordung seiner Frau und Kinder bei einem durch deutsche Soldaten vollführten Massaker rächte. Sun Bing wird zum Anführer einer Rebellentruppe, die das Lager der Eisenbahnerbauer angriff. Er wird gefasst und zum Tode verurteilt. Um ein Exempel zu statuieren, soll sich seine Hinrichtung über fünf Tage hinziehen, pünktlich zur Eröffnung der Linie soll Sun Bing sterben. Zhao Jia wählt die Sandelholzstrafe aus, in deren Verlauf ein Sandelholzstab quer durch den ganzen Körper des Verurteilten getrieben wird, ohne den sofortigen Tod zu verursachen.
Der Roman ist
in drei Teile gegliedert. Im ersten und dritten Teil wird das Geschehen durch
die handelnden Figuren erzählt, im mittleren Teil kommt ein Erzähler zu Wort,
der in der 3. Person spricht. Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt, in
Vorgriffen und Rückblenden erschließt sich das Geschehen nach und nach.
Beeindruckend ist die kunstvolle, sprachgewaltige Art, mit der Mo Yan den
Protagonisten unverwechselbare Stimmen gibt. Vor allem die vorwitzige, frivole
Meiniang und der selbstgefällige, in tradiertem Standesdünkel verharrende Zhao
Jia geben ein sprachlich spannendes Kontrastpaar ab. In der Sprache erklingt
auch das Volkstümliche, von Karin Betz hervorragend ins Deutsche übertragen. Es
wird geflucht, geschimpft, gejammert, das Vokabular ist derb und zugleich
prachtvoll. Die lustvolle Verwendung der Sprache geht einher mit detailreichen
Beschreibungen von Orten und Kostümen. Dieser Detailreichtum findet sich aber
auch in den Beschreibungen der Hinrichtungen. Die Grausamkeit ist immens und
erinnert stellenweise an die Exzesse, die Bret Easton Ellis in »American Psycho«
zu Papier brachte. In einem Kapitel wird auf Zhao Jias Meisterwerk
zurückgeblickt, die Zerstückelung in fünfhundert Teile. Auch hier darf
der Verurteilte erst nach dem fünfhundertsten Schnitt sterben. Schnitt für
Schnitt wird der Leser zum Zeugen der Hinrichtung und darf den Gedanken des
Henkers folgen. Das mag für manchen Leser verstörend sein, ist aber mehr als
bloße Lust an drastischer Gewaltdarstellung. Öffentliche Hinrichtungen waren
häufig auch (in China ebenso wie in Europa) nicht nur Bestrafung, sondern
theatrales Element zur Unterhaltung des Volkes. An einer Stelle schreibt Mo Yan,
dass das größte Operndrama von allen die Hinrichtung eines Menschen sei. In
diesem Sinn versteht sich auch Zhao Jia, als Künstler. Das ist irritierend, aber
konsequent, wenn man Tradition und Form des Romans betrachtet, der auf
theatralen Effekt bedacht ist. Derartige Effekte finden sich zahlreich. Es gibt
Slapstickeinlagen, Maskierungen werden beschrieben, es werden Farb- und
Geruchsbilder imaginiert. Die Handlung wird immer wieder durch komische Dialoge
und herrlich skurrile Begebenheiten aufgelockert. |
Mo Yan |
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