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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 24.06.14

Ein ermüdender und ungeordneter Aufguss

Ernst Pipers Versuch einer Kulturgeschichte
des Ersten Weltkrieges »Nacht über Europa«

Von Klaus-Jürgen Bremm


 

Auf den ersten Blick mag Ernst Pipers Projekt einer Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges als ein Widerspruch in sich erscheinen. Bedeutet denn nicht jeder Krieg auch eine Entartung der Kultur, eine blutige Barbarei, die zunächst einmal jede Kulturleistung unterbricht oder sogar für lange Zeit beendet?

Umso spannender wäre es natürlich gewesen, zu erfahren, was denn nun der Autor überhaupt als Kulturgeschichte verstehen will. Wer waren ihre Protagonisten und was waren ihre prägenden Elemente nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt in einem Europa, das trotz aller Gegensätze spätestens seit der Jahrhundertwende eine Art Protoglobalisierung erlebte. Allein schon auf Deutschland beschränkt wäre es eine Titanenaufgabe gewesen, sämtliche Facetten der Kultur, von Dichtung, Philosophie, Kunst, Politik, Wirtschaft, Religion, Vereinswesen, Arbeits- und Alltagswelt bis hin zur militärischen Parallelwelt der Kasinos und Kasernen zu erfassen.

Doch schon in seinem Vorwort bremst Piper solche Erwartungen. Was im Untertitel noch als »Kulturgeschichte des Krieges« erscheint, reduziert sich nun zu einer »kulturgeschichtlichen Perspektive« und diese bleibt auf Deutschlands Intellektuelle und Kunstschaffende  beschränkt. Dem Verfasser geht es lediglich um eine begrenzte Auswahl von Akteuren und deren diskursive Bemühungen, das ungeheuerliche Geschehen zu erfassen oder gar zu legitimieren. Es sind also bei Licht besehen, die so genannten Ideen von 1914 und damit die üblichen Verdächtigen von Ernst Troeltsch über Johann Plenge bis zum unvermeidlichen Thomas Mann, die nun wieder einmal die Bühne betreten. Alles dies ist nicht neu und seit Hermann Lübbe bereits Dutzendmal und auch pointierter beschrieben worden.
Schlimmer noch: Pipers Darstellung der Kriegsdiskurse erweist sich recht schnell als eine ermüdende Aneinanderreihung von Kurzbiogrammen mit mehr oder weniger ausführlichen Werkzitationen, nur scheinbar geordnet von einer Gliederung, die sich als unentschiedener Mix aus chronologischen und systematischen Elementen präsentiert. 

Dabei erläutert Piper seinem schon bald Überdruss empfindenden Leser weder die gewählte Reihenfolge seiner Protagonisten noch arbeitet er eventuelle Gemeinsamkeiten heraus. Stattdessen verbreitet er etwa die sattsam bekannten Plattitüden über Deutschland als die zu spät gekommene Großmacht, die ihre Genese nicht einer bürgerlichen Revolution verdankte, sondern nur drei gewonnenen Kriegen: »Jetzt artikulierten sich die Inferioritätsgefühle einer verspäteten Nation im Postulat der Überlegenheit deutscher Kultur gegenüber der westlichen Welt.« Als Resümee klingt dies nicht nur dürftig, sondern ist auch schlicht falsch, denn in den Jahren unmittelbar vor Kriegsausbruch war Deutschland, das ehemalige Land der Dichter und Denker  längst zu einer Nation der Ingenieure, Erfinder und Unternehmer geworden, das inzwischen als zweite Industrienation in der Welt (nach den Vereinigten Staaten) den ehemaligen Primus Großbritannien überholt hatte und sich damals durchaus berechtigt fühlte, sein scheinbar autoritäres politisches System über den von Klassenkämpfen und Revolten geprägten französischen Parlamentarismus zu stellen.

Wenn Piper aber schließlich am Ende seines Kapitels über die Mobilmachung, das genauso gut auch anders hätte heißen können, schreibt, dass Deutschland und Frankreich nach drei Kriegen in nur 70 Jahren inzwischen das Herz des europäischen Einigungsprozesses bildeten und dies auch den größten Fortschrittsskeptiker zuversichtlich stimmen müssen, so ist dies noch nicht einmal eine karge Zusammenfassung, sondern eher ein politisches Glaubensbekenntnis, das zudem von den neuen Frontlinien in der EU längst widerlegt ist. 

Piper bietet in seinem Buch viel Material, hauptsächlich aus der einschlägigen Sekundärliteratur oder Tagebüchern, neue Quellen erschließt er nicht. Entscheidend ist aber, dass er weder einen schlüssigen Kulturbegriff liefert noch eine überzeugende zentrale These anbieten kann. So bleibt die Lektüre allenfalls für den mit der Materie weniger vertrauten Leser interessant, eine nette Narration ohne analytische Brillanz. 

 

Ernst Piper
Nacht über Europa

Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges
Berlin 2013
587 Seiten
26,90 €
978 549 073 735


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