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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


»... daß ich nicht Eines und Eine lieben kann.«

Bärbel Reetzs äußerst aufschlußreiche biographische Porträts von  Mia Bernoulli, Ruth Wenger und Ninon Doblin, jener drei Frauen, mit denen Hermann Hesse verheiratet war.


Von Georg Patzer

 

Für die einen ist er der Autor des »Eigensinns«, der Suche nach dem eigenen Weg und der Rebellion gegen hohle Autoritäten. Der sich immer wieder gegen die vorherrschenden Meinungen stellte, sich auch immer wieder aus alten Rollen befreit und verwandelt hat. Für die anderen ist Hesse ein rückwärtsgewandter, die private Innerlichkeit zelebrierender Autor, dessen Gedichte epigonal, dessen Romane oft kitschig sind bis zur Schmerzgrenze und der nur noch von pubertären Geistern gelesen wird. Und dann kennt man noch die hübschen, harmlosen Aquarelle und natürlich die offensive Vermarktung durch den Suhrkamp Verlag. Ja, den Hesse, den kennt man.

Man kennt ihn aber nicht. Nicht genau jedenfalls. Denn Hesse hat sich auch stilisiert, und seine Biografen haben ihm dabei kräftig geholfen. Vieles kommt erst nach und nach ans Licht, vieles ist sogar, wie Hugo Balls erste Biografie zu Hesses 50. Geburtstag, von Hesse selbst beeinflusst. Zum Beispiel, dass er Hesses zweite Frau nur im Vorbeigehen erwähnt, als  »Königin der Gebirge« in einer Erzählung, und dass er sich von seinem guten Freund diktieren ließ, wie die erste zu erscheinen habe, nämlich als gemütskranke Frau, als Schizophrene, vor der sich Hesse retten musste. Und so wurde es auch fortgeschrieben.

Ja, Hesse und die Frauen. Schon in seinen Romanen kommen nicht viele vor, und wenn, dann eher nebenbei, Hauptrollen spielen sie keine: In »Siddhartha« taucht eine Kurtisane auf, bei der Siddharta einige Zeit lebt, in »Demian« gibt es eine mythische Muttergestalt, in »Narziß und Goldmund« ein paar Sexgespielinnen, im Steppenwolf bringt die Geliebte dem Helden das Tanzen bei und wird am Schluss von ihm umgebracht, und das Kastalien im »Glasperlenspiel« ist eine reine Männergesellschaft. Alice Schwarzer jedenfalls möchte man Hesses Romane nicht empfehlen.

Auch in seinem richtigen Leben war Hesse ein, böse und pointiert gesagt, egomanischer, selbstherrlicher, oft abwesender und oft auch abweisender Mann, der mit Frauen nicht viel anfangen konnte. Das jedenfalls kann man aus dem Buch von Bärbel Reetz schließen, das jetzt zum 50. Todestag erschienen ist. Detailliert listet sie viele Einzelheiten aus Hesses Beziehungen und Ehen auf, dass es einen manchmal schaudert. Schon das Verhältnis zu seiner ersten Frau, der neun Jahre älteren Maria Bernoulli, ist kompliziert. Bereits vor der Heirat meldet er sich mal wochenlang nicht, sie bedrängt ihn, er antwortet nicht, bis sie ihn in einem Brief voller »Demut und Resignation« (Reetz) schreibt: »Du kannst mit mir tun was Du willst, ich werde nie anders als in Liebe an Dich denken.«

Das erste Haus muss Mia allein suchen, als sie ihr zweites bauen, reist Hesse erst nach München, dann ins Tessin und lässt seine Frau und den kleinen Sohn mit Architekten und Handwerkern allein. Hesse flüchtet, so oft er kann, und sie lässt sich alles gefallen: »Mias Briefe sind ohne jede Klage. Immer ermutigt sie Hesse, sich zu erholen, nicht zu sorgen, versichert, dass sie seine Korrespondenz überwacht, beantwortet oder nachsendet. Sie schickt ihm saubere Hemden und Socken, packt Körbe mit Gemüse, bringt sie zur Post, erzählt in ihren Briefen von den beiden Kindern« (Reetz). Monatelang ist er unterwegs, und wenn er wiederkommt, »betrachtet er die Söhne mit 'Verwunderung': Sie machen Lärm, Heiner versucht sich im Sprechen, Bruno, den sie Butzi nennen, 'ist viel unartig und fängt nun so allmählich auch das Lügen an'.« Als sein dritter Sohn geboren wird, fährt er mit einem Freund für einige Monate nach Indien. Schließlich drängt er sie sogar mit der Hilfe seines Analytikers J.B. Lang, sich in die Psychiatrie zu begeben.

Kein schönes Bild, das Reetz hier entwirft. Ein Macho, der mit einer gleichberechtigten Ehefrau völlig überfordert ist. Es ist immer das gleiche Muster: Er verliebt sich, er will nicht heiraten, er heiratet dennoch, er flüchtet. Nur das Ende seiner dritten Ehe ist anders: keine Scheidung. Allerdings gibt es hier ein eisern eingehaltenes Arrangement, unter dem seine Frau zeitweise stark litt: getrennte Wohnungen, wenn auch nebeneinander, und er wird in Ruhe gelassen, wenn er es wünscht. Manchmal kommunizieren Hesse und seine Frau Ninon, die ihn seit ihrem 16. Lebensjahr angehimmelt und verfolgt hat, nur noch durch Zettel miteinander. Die Literatur und seine Ruhe gehen eben vor, für beide.

Auch eine andere Facette ist neu: die des politischen Menschen. Immer wieder hatte Hesse betont, dass er kein politischer Mensch ist, dass er sich nach innen und an den Einzelnen wendet. Eine Ausnahme gab es im Ersten Weltkrieg, wie man einem kürzlich publizierten Briefwechsel entnehmen kann. Wie viele Autoren hatte auch Hesse den Krieg als eine Art Befreiung zunächst begrüßt, ist aber schnell davon abgerückt. Anfang des Krieges lebte er in Bern, einer Drehscheibe für die internationale Politik, und »übte seit Sommer 1915 mit Unterstützung der Deutschen Gesandtschaft eine Geheimmission aus«, die er immer verschwiegen hat. Vor allem stellte er den Kontakt her zwischen dem liberalen Stuttgarter Landtagsabgeordneten Conrad Haußmann, der einen Verständigungsfrieden anstrebte, und französischen Mittelsmännern, vor allem Emile Haguenin, dem Leiter des französischen Pressebüros in Bern: »Alles mit Wissen und Billigung der deutschen Regierung, aber völlig inoffiziell«, schrieb Hesse. Sie scheiterten, weil die deutschen Militärs auf einem Siegfrieden bestanden.

Gleich drei Biografien sind übrigens jetzt erschienen, zum 50. Todestag. Neben der von Reetz über Hesses Frauen noch eine kritische, abwägende, präzise (von Gunnar Decker), und eine emphatische, apologetische und oft romanhafte (von Heimo Schwilk) – auch diese beiden gehen wohlweislich auf Hesses Stil kaum ein, sondern heben fast ausschließlich auf das Inhaltliche ab und bieten ab und an interessante Interpretationen seiner Werke, aber kaum neue Fakten.
 













Bärbel Reetz
Hesses Frauen
Insel TB
426 Seiten
16,99 Euro

Hermann Hesse / Conrad Haußmann
Von Poesie und Politik
Briefwechsel 1907 – 1922
Suhrkamp Verlag
408 Seiten
29,90 Euro

 


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