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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Aufbruch zu den Sternen oder Konzern-Safari?

Über Ridley Scotts »Prometheus«

Von Peter V. Brinkemper

Ridley Scotts lang erwartetes neues »Alien«-Kino-Werk hat den verheißungsvollen Titel »Prometheus – Dunkle Zeichen« (2012). Es ist unentschieden angesiedelt zwischen Prequel (exakter logischer Vorgeschichte), Remake (kommerziell motivierter Neuverfilmung), Reboot (Neustart bei Löschung der alten Logik) oder Spin-Off (Ableger, Nebengeschichte). Der Film besitzt einen gewissen erzählerischen Einfallsreichtum, darstellerische Frische und ein dezentes cinematographisches 3-D-Format mit wohldosierter CGI mit vielen beeindruckenden realistischen Schauwerten über die Künstlichkeit vieler »Avatar«-Prospekte hinaus. Das Drehbuch schert aus der Endzeit-Klaustrophobie der »Alien«-Vorgängerproduktionen aus, bleibt dabei aber ziemlich inkonsequent. Auch die Studio-Schnittfassung lässt sich durchaus kritisieren. Es gibt im Netz eine Diskussion darüber, ob 20th Century Fox für die Kinoversion massiv in den von Scott gewohnten magischen Filmrhythmus eingegriffen hat. Aber gibt es auch Gründe, warum Scott selbst diesmal eine andere Dynamik anschlug.

Zahlreiche Motive erinnern an die ältere »Alien«-Kinoserie, an klassische, vordigitale Science Fiction Filme und neuere digitale Produktionen. Selbst der Einfluss von Camerons »Avatar« und seinem fast zu gutmenschlichen neuen Weltentwurf, mit technischen Mitteln direkt zurück in eine Unschuld der Natur zu springen, sind zu spüren. Scott, der Schöpfer von »Alien« und »Blade Runner«, der Inszenator von »Gladiator« und »Black Hawk Down«, ist von Haus aus ein skeptischer cineastischer Erzähler. In der epischen Perspektive von »Prometheus« sollte es um ambivalente Kombinationen, unerwartete Drehungen und Widerhaken gehen, nicht um ein dauerberauschtes 3-D-Erlebniskino. Wenn da eine logische epische Perspektive wäre.

Die xenomorphe Dramaturgie des ersten »Alien«-Films

Scott und seine Mitstreiter präsentieren in »Prometheus« verschiedene lose baumelnde Stränge zu einer nicht wirklich unabhängigen Vorgeschichte zur »Alien«-Saga. Sie kreist um den Bauch eines jener havarierten Monsterraumschiffe, mit denen der Regisseur bereits in »Alien« 1979 Filmgeschichte schrieb. Damals stieg ein dreiköpfiges Expeditionskorps des Industrieraumers »Nostromo«, angelockt durch ein Signal auf einem unwirtlichen Planetoiden namens LV-426, in das Wrack eines riesigen hufeisen- und ankerförmigen Transporters (»Juggernaut«). Man passierte die grausigen biomechanischen Fremd-Formationen an den Wänden. In einem drehbühnenartigen Kommandoraum lag unter einer Art Revolver-Teleskop ein Fossil, der »Space Jockey«, ein einsames, zerborstenes Raumfahrer-Skelett mit traurigem Blick und Elefantenrüssel. In der Tiefe stieß man auf eine unheilvolle lebendige Fracht (»Payload«): radioaktive, vor sich hinbrütende Eier, aus denen fiese »Facehugger« (mit dem Bauplan uralter, lebender Fossilien wie dem Pfeilschwanzkrebs) jedem sich nähernden anthropoiden Wesen ins Gesicht sprangen und in die Körperöffnungen eindrangen, zur todbringenden Fortzeugung einer fast unbesiegbaren, alle nützlichen Eigenschaften anderer Wesen aufsaugenden Killer-Rasse. Durch den Mund befruchtet und in Rekordzeit herangereift, brachen die Wesen als Chestburster aus ihren Wirtsopfern hervor, um sich, in beliebiger genetischer Kreuzung, davonzumachen und draußen weiter zu Ungeheuern heranzureifen, die alles Lebendige verschlangen oder durch Säure zersetzten.

Die konservative US-Filmkritik Ende der 1970er Jahre unterschätzte die Fusion und wahrhafte Interpenetration von Naturalismus, Tiefenspychologie, Genetik, Evolution, Invasionsbiologie, Konzernimperialismus, Science Fiction und wohldosiertem Horror, bei Wahrung von Suspense und Surprise bis zum letzten Atemzug: die raffinierte Exposition einer langsam aus dem Tiefschlaf eines Langzeitfluges aufwachenden, sehr alltäglichen, untereinander zerstrittenen Mensch-Roboter-Crew auf einem schmutzigen interstellaren Industriekreuzer und ihres vom eigenen Konzern herbeimanipulierten Sonder-Anflugs; der somnambule Einstieg der Films und sodann die panische Verwirrung, Komprimierung und Beschleunigung der dramaturgischen Elemente nach der Landung auf dem stürmischen Planeten; die unheimliche Begegnung mit dem ganz Anderen, dem Ort einer rätselhaften Katastrophe und tödlichen Metamorphose einer expansiven, dabei tief zerrissenen exoterrestrischen Anti-Kultur, die Auslösung der unmittelbaren Bedrohung; das hysterische Wechselbad der Gefühle, zwischen Faszination und Abscheu, im Kampf mit den Tücken der eigenen und der fremden Bio-Technologie und der sich ausbreitenden Gewissheit, in einem, von wem auch immer beabsichtigten Labyrinth mit schäumenden Monster-Exemplaren eingesperrt worden zu sein, ausgesetzt oder hinterlassen von einer fremden, kalt-überlegenen Intelligenz, aus Unvermögen oder purer Not oder diabolischer Berechnung. »Alien«, – das war die Vision eines Kosmos als evolutionärem, gottesfernem Höllenlabor, in dem eintreffende Gäste zum Rohstoff einer mörderischen Zufalls-Schöpfung oder eines teuflischen Masterplans der ruchlosen Verbreitung und kommerziellen Vermarktung feindlich-dominanter Rassen im All missbraucht werden sollten.

Die prometheische Aufhellung der Story –
der Konzern als Gott und Monster

Mit dem mythologischen Namen »Prometheus«, dem neuen Filmtitel und Namen des Forschungsraumschiffs des weltumspannenden Weyland-Konzerns, wird eine irreführende Themen-Park-Schleife induziert: der Kampf zwischen den Göttern und dem titanischen Trickster-Halbgott, oder die uralte Spekulation, wie Geist und Materie, Fleisch und Knochen, das Rohe und das Gekochte in einer lebenswerten Zivilisation zusammenfinden, ob durch einheitliche göttliche »Wesens«-Prägung oder durch verstreute irdisch-immanente oder kosmische Lebens-Entwicklungen. Das sind schöne klassische Themen für einen Literatur-Abend am Kamin. Ridley Scott sucht mehrere Fallen zu vermeiden: die Kopie seines früheren, Maßstäbe setzenden Meisterwerks »Alien« und die Wiederholung des Strickmusters in den immer noch passablen drei Folgefilmen. Sie kreisten allesamt um die (irgendwann erschöpfte oder gezähmte) kriegerische Auseinandersetzung und genetische Annäherung zwischen Mensch und Monster; Original, Hybrid und Klon; der Frau und der schließlich auch gebärfähigen Reptilien-Königin. Unvergessen ist die Figur der von Sigourney Weaver interpretierten Ellen Ripley als Mensch und Klon im Kampf für die (kreatürliche) Freiheit und gegen kriminelle Konzerninteressen. Wenig angetan ist Scott von den neueren, trivialisierenden Horror-Action-Spektakeln »Alien(s) versus Predator«, bei denen eine transhumane Jägerrasse, die Predatoren, mit Rudeln von gezüchteten Aliens auf fremden Planeten, auch auf der Erde, blutig-spaßvolle Kult-Jagdspiele veranstalten, bis sie selbst zum Opfer der Monster werden.

Hält »Prometheus« diesem Anspruch auf Niveau und Eigenständigkeit in der Story stand? Zwar gibt es ähnliche Motive, die auch auf »Alien« vorausweisen, wobei der Bezug zur späteren Kinosaga ja nur für den wissenden Zuschauer existiert, nicht aber für die Figuren des neuen Films oder für das jüngere Publikum. Es gibt viele raumzeitliche Abweichungen und logische Inkonsistenzen, die gegen ein konsequentes Prequel sprechen, wie sie George Lucas mit den ersten drei »Star Wars«-Folgen schuf. Man hat das Gefühl, der dunklen und schmutzigen Industrie-Welt auf der »Nostromo« in Teil 1 der »Alien«-Saga komplett entronnen zu sein, um auf einem Konzernforschungsschiff einen unzusammenhängenden, ständig unterbrochenen  Traum einer infantilen Mobilisierung mitzuträumen, in dem Elektronik, Robotik, Raumfahrt, interplanetare Ökologie, Sicherheit, Militär ein allzu perfektes Netz in Sachen »Building Better Worlds« mit allen erdenklichen kollateralen Nebenfolgen weben. Es ist, als habe die Tyrell-Corporation aus »Blade Runner« das »Alien«-Franchising total positiv umgepolt, aber der Konstrukteur Eldon Tyrell hatte noch eine wunderbare Negativität in sich und seinem Prachtexemplar von einem Androiden Roy (Rutger Hauer) angestaut, so dass dieser Verweis nicht trägt. Auch »Prometheus« kennt den Kryoschlaf der Besatzung und der diesmal zum Teil geheimen Gäste. Die Landung findet am hellichten Tag statt in finsterer Nacht statt, auf dem bewölkten, alpinen, fruchtbaren Nachbar-Planeten LV-223, also einem anderen Begleiter desselben saturnähnlichen Himmelskörpers im System Zeta Reticuli wie später in »Alien«. In einem Tal führt eine Fahr- und Landebahn, von Däniken lässt grüßen, zu einer archaischen Kuppelanlage, deren Irrgänge man erkundet, komfortabel unterstützt durch dreidimensional kartographierende Flugsonden. In einer dieser Kuppeln ist allerhand versteckt, so auch der Typus des verlassenen außerirdischen Raumfrachters wie in »Alien«, diesmal aber nicht als Wrack, sondern in intaktem Zustand. Ein versiegelter sakraler Raum in der Kuppel, eine Kapelle, wird aufgebrochen und enthält einen götzenhaften, menschenähnlichen, irgendwie unfertigen Riesenkopf. Hier wie an Bord des alten fremden Schiffes lagern unzählige Urnen. Durch die Veränderung der Atmosphäre nach der Öffnung entwickelt sich in der Kuppelkapelle eine hochgefährliche, rasant evolutionäre Biomasse, die aus den Behältern fließt und auch im Boden gluckert. Dort taucht undefinierbares Geschling und Gewürm, dann eine angriffslustige Kobra-Vagina-Dentata auf. Wie in der »Alien«-Saga kommt es zum Zusammenprall und zur Überkreuzung verschiedener fremder Spezies, Kulturen und Subkulturen. All dies wird durch ein junges, viel zu naives Forscherteam archäologisch, historisch und genetisch eingerahmt und ausgedeutet, wie ein multipler Code oder die mehrsprachige Grammatik noch nicht entschlüsselter »Dunkler Zeichen«. An vielen Stellen leidet der Film trotz hervorragender Bildeinstellungen und schickem Leuchtfarbendesign unter willkürlichem Schnitt, überraschenden Szenenwechseln und theatralischer Zurschaustellung isolierter, einfältiger und eindimensionaler Akteure, während das gekonnt dialogisierte und geschickt in Einzeleinstellungen aufgelöste Gruppen-Szenario vertiefter Charaktere im ersten »Alien«-Film, unterstützt von Jerry Goldsmiths Soundtrack und der unheimlichen Magie des fremden Planetoiden, sofort überwältigte.

Die Stars des Films: Noomi Rapace und Michael Fassbender

Die Archäologin Elisabeth Shaw und der Konzern-Androide David 8 sind die interessantesten »Prometheus«-Figuren, nicht zuletzt wegen der brillanten und breit gefächerten Darstellungsleistungen von Noomi Rapace (der Star aus der »Lisbeth Salander«-Stieg-Larsson-Millennium-Trilogie) und Michael Fassbender (den man 2011 u.a. bestaunen konnte: als zurückhaltenden C.G. Jung in Cronenbergs »A Dangerous Method«; als sexbessenen New Yorker Werbemann in Steve McQueens »Shame«; und als rasanten jungen Erik Lehnsherr/Magneto in »X-Men: First Class«). Beide liefern starke Gegenparts zu Ellen Ripley und den Androiden Ash und Bishop (neben Sigourney Weaver gespielt von Ian Holm und Lance Henriksen in den »Alien«-Teilen 1 und 2).

Elisabeth Shaw ist eine weltoffene, idealistische, engagierte Wissenschaftlerin, die ihre Sehnsucht in eine seltsame Mischung, die Sterne und die Prähistorie, setzt. Sie glaubt an die Menschheit zwischen Urtümlichkeit, Fortschritt und Aufklärung, begeistert sich für einen Aufbruch, vielleicht mehr vom Himmel als auf Erden, und erhofft sich einen friedlichen Kontakt mit Außerirdischen, wohlgesonnene Götter und großzügige Konstrukteure kosmischer Technik in einer astralen Community. Wie glaubwürdig ist dieser angeklebte Carl-Sagan-Vorspann für eine vom Weyland Konzern finanzierte Luxusreise junger Forscher? Wie ernst zu nehmen sind solche Mythen bei einem weitverzweigten Konzern, der professionelles Terraforming, Genetic-Health und elektronische Technologie-Enwicklung bereits im interstellaren Maßstab betreibt? Kein Deal ohne Payoff. Und keine kosmische Romantik ohne kommerzielle Bruchlandung. Hier hätte man die Werbeförmigkeit der Auftritte der menschlichen Protagonisten am Filmbeginn im Kontext des Megakonzerns wie in der Internet-Kampagne für den Kinostart genauer erklären müssen. Andererseits ist der Film nicht komplett von der ideologischen Sichtweise des Konzerns durchtränkt, der das Humane, aber auch das Außerirdische schrittweise abschafft. Der angeblich gesuchte Gott ist vielmehr der Konzern selbst und der Androide David sein wahrer Herold. Die diffuse Neuorientierung des Scripts reicht weder zu einem logischen Prequel, noch zu einem unabhängigen Remake oder einem Spin-Off.  Die Anfangsdialoge scheinen über den alten genetischen Alien-Pessimismus hinauszugehen, sie lassen eine verheißungsvolle Ambivalenz anklingen wie bei »2001«, »Contact« und »Jurassic Park«. Elisabeth Shaw steht unter strenger Konzern-Aufsicht, repräsentiert von der eiskalt-opportunistischen Meredith Vickers (Charlize Theron), und unter der Geheimbeobachtung des mitgeschmuggelten Patriarchen, des greisen Sir Peter Weyland (Guy Pearce), der, wie in einer schlechten Apotheker-Schmonzette, von der Reise letzte Patentrezepte für seine gefährdete Unsterblichkeit erwartet.

Bemerkenswerter ist die Rolle des Androiden David 8, die neuste Konzernkreation, der, im Auftrag des Chefs, Weyland, während des Tiefschlafs der Besatzungsmitglieder und Passagiere deren Geheimnisse elektronisch ausspioniert und seinem Info-Programm einverleibt. David entscheidet, was mit den Daten passiert, an wen sie gehen, oder ob er, im entscheidenden Moment, die Übertragung unterbricht, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. David ist mobiler Super- und Personalcomputer, genialer Butler und illusionistischer Konzern-Agent in einer Person, eine Art HAL 9000 in menschlicher Gestalt. Sein Einsatzbereich ist multipel dosierbar zwischen reiner Logik und interaktiver Emotionalität, er kann sich jederzeit in den vorhandenen Workflow seiner Partner und Kontrahenten einarbeiten, unauffällig und hocheffektiv, um die Grenze zwischen Privatsphäre und Unternehmensimperativen, Freund und Feind, Tag und Traum, Wirklichkeit und Fantasy mühelos zu überschreiten. Als sich die menschliche Besatzung, wie die »Alien«-Crew, noch im Kryoschlaf befindet, ist das Luxus-Forschungsraumschiff »Prometheus« für David ein einziger Spielplatz, auf dem der Android in überzogener Geschwindigkeit seinen Tagesablauf und sein enormes Lernpensum absolviert. Davids temporeiche Kombinationsgabe ist der Schlüssel zum eigentlich intendierten Filmrhythmus und zu einer Geschichte voller Hakenschläge hinter der vordergründig linearen Handlung von der Erkundung ferner und bisher unbekannter Welten und Lebensformen. Aber bei alldem stellt Davids starke Figur dennoch keinen Ersatz für ein logisch überzeugendes neues Drehbuch dar.

Während die anderen Wissenschaftler im Team mühselig und tollpatschig das Labyrinth der außerirdischen Kuppel erkunden, ist David immer einen Schritt weiter: Er lüftet erste Geheimnisse um die verschollenen exoterrestrischen Raumfahrer, er reaktiviert uralte Korridor-Projektionen, er öffnet einen bedeutsamen Nebenraum, eine sakrale Kapelle mit seltsamen Behältern, und er macht wichtige Entdeckungen direkt im Kontrollraum des versteckten fremden Transporters: Bei den sogenannten »Spacejockeys«, Piloten-Skeletten, oft mit, wie nur der »Alien«-erfahrene Zuschauer weiß, typischen Chestburstern, handelt es sich um eine sonderbare Spezies: Zu Lebzeiten waren es wächsern-blasse Erscheinungen, die sich auf der Flucht befanden und in biomechanischen Raumanzügen mit Atemrüsseln (im H.R. Giger-Style) steckten, eingebettet in halborganischen Sitzschalen oder in barocken Hibernakuli. Anscheinend vereinen sie übermenschliche technologische Stärke mit realgenetischer Angst und Schwäche. Und eines der Anflugziele für ihre (tödliche) Fracht war vor langer Zeit ausgerechnet die Erde – Ursprung oder Endpunkt eines transgenetischen, superhybriden Entwicklungsprojektes mit einem entsprechenden interstellaren Transportlinien-Netz, das wer auch immer wie zu kontrollieren und für sich zu nutzen trachtete...?

Lawrence von Arabien und das Triboliten-Alien

Davids eigenwillige und intrigante Seiten als hochmütig-neugieriger Zentralrechner, mobiler Androide, Seelenschnüffler und mephistophelischer Cocktailmixer werden bereits angedeutet, wenn er sich, noch einsam auf der »Prometheus«, im Bordkino mit dem jungen Peter O’Toole, in der Darstellung des britisch-arabischen Doppelagenten »Lawrence von Arabien« und seinem Wüsten-Narzissmus identifiziert. Geht es bei David um mehr als um eine historische Nachahmung alter imperialer Modelle, um einen astronautischen Ausgleich zwischen einer dekadenten weißen »Herrenrasse« und ungleich vitaleren Zukunfts-Nomaden? Doch welche Rolle sollen im Casino-Einsatz des Androiden die menschlichen Spielfiguren übernehmen? In seiner kreativen Verspieltheit und dreisten Eleganz entschlüsselt David unbekannte Schriften, öffnet er Geheimtüren und aktiviert versteckte historische und kosmologische Hologramme. Rasch zieht er Verbindungslinien in Raum und Zeit. Aber er arbeitet nicht völlig systematisch oder enzyklopädisch, er ist und bleibt ein Rosinenpicker. Und bei alledem hat David es auf Elisabeth Shaw abgesehen. Sind dabei wirklich Begierde, Eifersucht oder Neid im Spiel, oder ist er darauf programmiert worden, den heimlichen Gott zu spielen, ausgewählte Menschen zu verführen, zu modifizieren, zu testen und gegebenenfalls neue Menschen oder Wesen zu züchten? »Prometheus« hat eine verschachtelte Agenda, die sich tiefgründig gibt, dabei flach bleibt: endlose Absichten hinter Absichten, Programme hinter Programmen, Demiurgen hinter Demiurgen. Das Ganze ist ein Kartenhaus, ohne die düstere Strenge der alten »Alien«-Dramaturgie. Das Weyland-Szenario schlägt von Minute zu Minute über alle Konzernsektoren immer neue Kapriolen.

Elisabeths ehrgeiziger Freund Charlie Holloway (Logan Marshall-Green) wird von David kontaminiert, mit der auf die »Prometheus« geschmuggelten und dort voruntersuchten Bio-Flüssigkeit, die nun wie K.o.-Tropfen in einen Drink geträufelt wird. Damit ist das entscheidende Experiment im Menschenpark der Weyland-Abenteuer-Safari eingeleitet. David initiiert eine Mutation bei Holloway. Dieser kann dem Gift eine Zeit lang standhalten, anfänglich sogar ohne etwas zu wissen oder zu spüren. Vor allem aber bildet er eine Art menschliches Schutzschild für das Hauptopfer von Davids Experiment. Beim Beischlaf zwischen dem bereits verseuchten Halloway und Elisabeth kommt es zu einer verdeckten hybriden Zeugung. In kürzester Zeit wird Shaw schwanger, obwohl sie selbst weiß, dass sie, nach normalen Maßstäben, unfruchtbar ist. Die Infiltration des Aliens führt bei ihr allerdings nicht zu Symptomen einer gefährlich-tödlichen Teil- oder Gesamtveränderung, wie bei Halloway und anderen Mannschaftsmitgliedern oder bei den Chestburstern der fremden Piloten. Ein tintenfischartiges oder kalmarisches Trilobiten-Alien wächst in Elisabeths Leib heran, mit charakteristischer Kopffüßer-Gestalt und Urmund-Öffnungen, verstärkt durch menschliche Geninformationen. Durch einen heroischen Kaiserschnitt auf der vollautomatisierten Diagnose- und Op-Station kann Shaw ihr Monsterbaby selbst entfernen und vorsorglich einfrieren. Als ob die Station auf der übrigens wie zufällig vom Mutterschiff abtrennbaren Einheit vom Weyland Konzern extra für sie produziert worden wäre.

In diesem ersten »Prometheus«-Teil durchläuft Elisabeth Shaw in eigener Person also, dank Davids Turbo-Intrigen, in kürzester Zeit den gesamten Zyklus der sanfteren Annäherung und Cross-Over-Reproduktion mit den Fremdwesen, für die Ellen Ripley immerhin vier vorsichtig dramaturgisch aufgebaute Filme und in Teil 4 eine mehrfache Klonnachschöpfung benötigte. Shaws zäher Idealismus und Davids amoralischer elektronischer Horizont schaffen einen seltsam miniaturisierten, nicht mehr »epischen« oder historisch-evolutionären Raum, sondern eine Art von Zapp-Soap, die über das »Alien«-übliche Katz-und-Maus-Spiel hinweg geht und aus den artifiziellen Umständen um die hybride Proto-Geburt eine evolutionäre Hardcore-Tragicomedy macht.

Zu dieser Tragikomödie mit einem Crash aus Information und Desinformation gehört auch, dass der aufgetaute Konzernchef Sir Peter Weyland mit Dolmetscher und Protokollant David und Elisabeth Shaw zum einzig überlebenden fremden Piloten auf dem Kommandodeck im Frachter in der Kuppel aufbricht, um in Dialog über die letzten Themen der Unsterblichkeit, Menschenschöpfung und Artenbedrohung zu treten. Auftreten, Abtreten, Auftauen und Einfrieren, das sind hier Operationen, mit denen das Drehbuch relativ schamlos zockt. Als David schließlich in der Summe seiner Intrigen und Anstrengungen die alles entscheidende Frage nach Leben und Tod stellen kann, schweigt der wiedererweckte vermeintliche fremde Gott, er scheint schlichtweg unzuständig zu sein und schlägt tödlich zurück.

Shaw alarmiert den Chefpiloten der »Prometheus« (Idris Elba) und dieser verhindert beherzt durch einen Zusammenprall seines Forschungsschiffs mit dem fremden Raumfrachter, dass der einzig wiedererweckte, aber ganz und gar nicht dialogbereite Konstrukteur wie ein stummer Ägypter mit seiner tödlichen Ladung wie vor Tausenden von Jahren geplant aus dem sich öffnenden Raumschiffhangar der Kuppel in Richtung Erde startet. Die Absturzsequenz gehört zu den majestätischsten Bildern der jüngeren Filmgeschichte: Shaw und Vickers laufen in Raumanzügen vor dem einschlagenden und heranrollenden gigantischen Frachter-Ungetüm um ihr Leben. Nach dem Absturz sieht sich Shaw im Showdown mit dem immer noch lebenden fremden Piloten konfrontiert. Sie lässt ihr zur Krake herangewachsenes Trilobiten-Riesenbaby aus der abgesprengten und noch intakten Medizin-Station frei und auf den Aggressor los. All dies passiert im nicht völlig nachvollziehbaren Szenenschnellschnitt. Der letzte blasse außerirdische Pilot wird von Tentakeln umschlungen; am Ende entschlüpft diesem nun getöteten Gott im Brustdruchbruch ein groteskes Mönchs-Alien (Deacon-Alien), der Prototyp aller »Alien«-Filme, mit der mitraförmigen Schädelverlängerung. Die Menschen wurden vielleicht von den Space-Jockeys (mit-) geschaffen, sind die Aliens nun ausgerechnet eine Kreuzung aus archaischer Biomasse, Mensch und Space-Jockeys? Und was passiert im Boden des Planeten, wenn die Biomasse aus den verstreuten Urnen und der zerstörten Kuppelanlage entweicht? Ist es dann Zeit für den Wandel der Atmosphäre bis zu den unwirtlichen Stürmen im ersten »Alien«-Film?

The Story must go on

Inwiefern das Nullsummenspiel des vor sich hinschwächelnden »Prometheus«-Drehbuchs die »Alien«-Saga mit einer vertiefenden Vorgeschichte bereichert oder nur eine Konzern-Safari-Halluzination auf den Niveau eines schlechten Remakes darstellt, mag der Zuschauer entscheiden. Verantwortlich dafür zeichnen die Drehbuchautoren Jon Spaihts und Damon Lindelof.  Die wächsernen Priester-Konstrukteure tauchten bereits im Vorspann des Films auf, auf manchen Promotion-Stills sogar im Chor, in einer nicht näher lokalisierten, vielleicht irdischen Naturlandschaft. Im Schatten einer wegfliegenden Untertasse wird in der aktuellen Kino-Version des Filmbeginns einem einzigen Auserwählten ein dunkler Opfertrank überreicht, nach dessen Einnahme er sich im real oder symbolisch gemeinten Kameratrickzoom in seine genetischen Urbestandteile auflöst, die beim Sturz in den reißenden Wasserfall vielleicht eine neue Ökologie konstituieren werden. Soll das den Schöpfungsakt eines später bis zur Intelligenz sich aufschwingenden Lebens auf der Erde darstellen? Die resistente Elisabeth Shaw hat auch noch das Filmfinale überlebt und sammelt Davids Einzelteile, Kopf und Körper, nach heftigem Kampf, wieder ein. Mit seiner Hilfe bricht sie in einem anderen fremden Raumfrachter auf, aber nicht zur Erde, sondern zur Heimat der Außerirdischen, um ihren Ursprung und ihr Handeln aufzuklären. Vielleicht könnte sie auch mehr Licht in das nächste Drehbuch bringen.
 


 


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